Archiv für den Monat: November 2006

Traurige Erinnerung an Joseph Hansen

Gestern jährte sich zum zweiten Mal der Todestag des US-amerikanischen Autors Joseph Hansen. Das alleine stimmt mich schon traurig. Traurig finde ich allerdings auch, wie sich Ungenauigkeiten Fehler in seiner Biografie weiter durch die Berichterstattung schleichen. So musste ich gestern bei den Alligatorpapieren lesen:

„Der Verfasser von knapp 30 Romanen, Dutzenden von Storys und zahllosen Gedichten lebte bis zu seinem Tod mit seiner Gefährtin in einer kleinen Kate nahe Los Angeles.“

Den gleichen Wortlaut findet man auch in der Biografie beim Argument-Verlag, der die Neuauflage von Hansens Brandstetter-Romanen betreut, bislang allerdings nur sechs der insgesamt zwölf veröffentlicht hat.

Obwohl ich Argument schon einmal darauf hingewiesen habe, steht dort leider immer noch, dass Joseph Hansen bis zu seinem Tod mit seiner „Gefährtin“ in einer kleinen Kate bei Los Angles lebte. Das ist schlichtweg falsch.

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Noch einmal: Littell: Les Bienveillantes / Die Wohlwollenden

Hajü hat im Oktober (ganz weit unten hier, deshalb kein Kommentar, würde ja kaum jemand finden) schon auf das Buch des in Frankreich aufgewachsenen Amerikaners hingewiesen, auch auf die tolle Resonanz, den dieser Roman in den Feuilletons hervorgerufen hat: Endlich ein Roman über den Nationalsozialismus und seine Verbrechen – aus Sicht der Täter. Und dass der Täter schwul ist, na klar, das wissen wir Noch einmal: Littell: Les Bienveillantes / Die Wohlwollenden weiterlesen

„Homoerotische Verwicklungen“

Lichtenberg hatte Erektionsprobleme („It knicks“); Dali hatte einen seiner Meinung nach zu kleinen Schwanz, weshalb er auf eigene sexuelle Erlebnisse verzichtete und lieber anderen zuschaute. Die Heldinnen Jane Austens witterten in sozial höherstehenden Verehrern pauschal ruchlose Verführer. Würde das irgend jemand „heterosexuelle Verwicklungen“ nennen? Klaus Mann dagegen lebte offen und extensiv seine schwule Sexualität, fand jedoch nicht so recht die große Liebe – das soll Menschen jeder sexuellen Orientierung so gegangen sein und immer noch so ergehen. Da er nun aber schwul war, ist es für den Rezensenten eines biografischen Essays („Wo freilich ich ganz daheim sein werde“ von Veit Schmidinger) ganz klar: Grund seines Unglücks sind „homoerotische Verwicklungen“. Ich kann das nicht mehr hören. Wer es hören möchte: morgen 12.30 auf NDR Kultur.

DDR 1979: Dieter Nolls Roman „Kippenberg“

Beschäftige mich gerade noch mal mit der DDR, mit den Spuren, die schwules/homosexuelles Leben in der DDR-Literatur hinterlassen hat. Eigentlich wird hier erst ab den achtziger Jahren „gezählt“. Nun habe ich nochmal Dieter Nolls Roman „Kippenberg“ aus dem Jahr 1979 gelesen, der uns auf Ebene der Handlung ins Jahr 1966 führt …… Und Noll hatte ein Millionen-Publikum!

Olaf Brühls „subjektive Chronik“ unter dem Titel „Sozialistisch und schwul“ (in: Homosexualität in der DDR. Materialien und Meinungen, Biblothek rosa Winkel Bd. 42, 2006) verzeichnet für die 50er bis 70er Jahre lediglich einige Brecht-Aufführungen („Leben König Eduard des Zeiten von England“, Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar“, „Ballade von der Freundschaft“, „Baal“ u.a., auch Frank Wedekinds „Frühlings Erwachen“), Auflagen von Klaus Manns „Wendepunkt“, Werken James Baldwins oder André Gides und Ulrich Berkes Gedichtband „Ikarus über der Stadt“. „Aber wohin tragen wir tags alle Zärtlichkeiten?“, fragt der Lyriker in seinem 1976 erschienenen Gedicht „Orte der Liebe“, in dem er vorsichtig das nächtliche Treiben in den cruising areas andeutet. Sehr vorsichtig.
Bert Thinius nennt in seinem Essay „Erfahrungen schwuler Männer in der DDR und Deutschland-Ost“ (ebenfalls im oben genannten Materialienband) gerade einmal drei wissenschaftliche Titel, die vor 1989 erschienen sind. Er zitiert darüber hinaus Kurt Bachs Lehrbuch „Geschlechtserziehung in der sozialistischen Oberschule“ aus dem Jahr 1974, in dem Bach betont wissenschaftlich-aufklärend und ganz neutral argumentiert, wenn es um Konsequenzen im sozialen Leben geht, aber meint: „Man soll sich nicht mit Homosexuellen befreunden oder ihre Gesellschaft aufsuchen, aber man soll sie auch nicht verunglimpfen.“

Ganz auf der Ebene einer „wissenschaftlichen Weltanschauung“ bewegt sich auch der bislang in diesem Zusammenhang kaum erwähnte Roman „Kippenberg“ von DDR 1979: Dieter Nolls Roman „Kippenberg“ weiterlesen

Schöne Cover

Es gibt schon so viele Kommentare zu Axel Schocks Beitrag über Buchcover, dass ich das Thema hier noch einmal neu aufgreifen möchte. Bis jetzt hatte sich die Diskussion so ziemlich am Himmelstürmer Verlag festgebissen, und wenn es auch interessant zu erfahren ist, dass zwar der Verleger sagt, auf den Inhalt kommt es an, doch ein Autor widerspricht und den Fleisch-Zwang anprangert, ist dieser Aspekt ja nicht der einzige, der sich bei diesem Thema zu diskutieren lohnt. Nur eine kleine Anmerkung kann ich mir nicht verkneifen: Ebenso wie der Leser zu seinem Geschmack stehen und „öffentlich“ lesen sollte, was er sich schließlich freiwillig gekauft hat, sollte auch der Verleger ein Konzept, das nun wirklich offensichtlich ist, nicht vertuschen wollen: Offenbar mögen ja viele Leute diese Umschläge und Inhalte, da kann ihm doch egal sein, was die anderen denken. Suhrkamp und DTV machen es ja auch nicht anders, wie wir bei unseren Taschenbuchlizenzen erleben. Schöne Cover weiterlesen

Plädoyer für die Kurzgeschichte

Ich liebe Kurzgeschichten. Und weil Kurzgeschichten scheinbar eine zutiefst amerikanische Tugend sind, liebe ich Kurzgeschichten amerikanischer Autoren: Richard Ford, Ron Carlson, Raymond Chandler, Annie Proulx …
All diese Autoren haben gemein, dass sie – bis auf Annie Proulx – nie eine Kurzgeschichte mit, für oder über Schwule geschrieben haben.
Zurück in den deutschsprachigen Raum: Es gibt Anthologien verschiedener Verlage, die „schwule“ Kurzgeschichten herausbringen. Man trifft da immer die üblichen Verdächtigen, jedoch nur äußerst selten ein Buch mit Kurzgeschichten eines einzelnen Autoren. Dabei würde ich wirklich gerne öfters schwule Kurzgeschichten lesen. Wahrscheinlich hat jeder veröffentlichte Autor eine ganze Lade von Kurzgeschichten, die er oder sie hin und wieder, wenn sich die Chance ergibt, bei einem Wettbewerb oder für eine Anthologie einreicht. Interessanterweise scheint es leichter zu sein, eine schwule Geschichte bei nicht schwul orientierten Kleinverlagen im Rahmen einer Anthologie unterzubringen, als bei schwulen Verlagen. Beispielsweise bei Lerato.

Kurzgeschichten sind eine großartige Sache: Man kann schmökern, flippt von einer Welt in die nächste und genießt häppchenweise. Warum also ist der Tenor der Verleger, wenn man Kurzgeschichten einreichen möchte: „Das verkauft sich nicht! Geht nicht. Will keiner.“
Gerade bei Kurzgeschichten kann man ein weites Spektrum abdecken: Von der tragischen Liebesgeschichte über Splatterpunk, Horror und Utopie – wieso eigentlich nicht? Schwule Jungs in einem Geisterschloss? Ein türkischer Death Metal Gitarrist, der von uralten Dämonen vergewaltigt wird? Der Weltuntergang aus der Sicht eines schwulen Paares? Peter Pan, der schlussendlich auf unserer Welt strandet, nicht mehr fliegen kann und sich als Stricher verdingt?

Meiner Meinung nach müssten solche Geschichten nicht einmal homoerotische Inhalte haben – genügt doch schon der schwule Fokus, der Blickwinkel auf eine bestimmte Thematik. Nicht in jeder Geschichte muss geküsst, gelutscht und Brustwarzen geleckt werden.

Könnten wir das Für und Wider diskutieren? Warum keine Kurzgeschichtensammlungen einzelner Autoren?

Joseph Breitbachs Gärtnerjunge: Ein bisschen bi – oder nicht doch stockschwul?

Breitbach Dasseldorf Joseph Breitbach kennen viele wegen des spektakulären Auftritts des „Joseph-Breitbach-Preises“ im Jahr 1998, der dem Literaturbetrieb wohl sagen wollte: Was ist schon der Büchner-Preis? Wir zahlen mehr!
Breitbach gelesen haben wenige. In einer Neuausgabe mit Materialienband lieferbar ist jetzt „Die Wandlung der Susanne Dasseldorf“. Der Roman handelt von einem Jahr in Koblenz unter amerikanischer Besatzung nach dem Ersten Weltkrieg. Es geht um Interessen der Franzosen und Amerikaner im Nachkriegseuropa, um die soziale Situation der Reichen und der proletarischen Schichten, um „Einquartierungen“, Fraternisierung und Schwarzmarkt und das ständige gegenseitige Belauern der Leute unter diesen Verhältnissen und um einem schwulen Gärtnerjungen Joseph Breitbachs Gärtnerjunge: Ein bisschen bi – oder nicht doch stockschwul? weiterlesen