Archiv für den Monat: März 2012

Kracht gegen Krüss oder: ein schwuler Helgoländer in der Südsee

Autor beim Verlag Kiepenheuer und Witsch zu sein erweist sich wieder einmal als Abenteuer. Hatte erst vor wenigen Jahren eine anonyme Literaturwissenschaftlerin versucht, Kiepenheuer-Autor Zaimoglu als Plagiator von Kiepenheuer-Autorin Özdamar zu „entlarven“, so wird das Klima nun rauer, indem Kiepenheuer-Autor Diez Kiepenheuer-Autor Kracht als rassistischen Herrenmenschen bloßstellt, es dann aber wohl doch nicht so gemeint hat. Nun ja, andere Verlage, andere Sitten.
Nachdem Herr Kracht in seinem „Faserland“ nicht mehr heimisch ist, befindet er sich auf Reisen, und da er Schriftsteller ist, schreibt er darüber. Damit das nicht ganz so banal daherkommt, verwendet er seine frisch erworbene Ortskenntnis für historische Travestien: „Imperium“ gibt vor, in den pazifischen Besitztümern des letzten deutschen Kaiserreichs zu spielen, wo der versponnene Vegetarier Engelhardt die Welt mit Hilfe der Kokosnuss zu retten versucht. Man denkt sofort Mr. Smith, der in Graham Greenes „Comedians“ auf Haiti vegetarische Produkte in Mode bringen will (in der Verfilmung gespielt von Paul Ford). Für eine Nebenfigur mag das angehen, sich für die Hauptfigur Engelhardt zu interessieren fällt dagegen nicht ganz leicht.
Unter der Überschrift: „Wir wollen nun über die Liebe sprechen“, bekommt Engelhardt unverhofften Besuch: Aueckens, ein blonder junger Mann von Helgoland, sehr beziehungsreich, da Helgoland gerade erst gegen Sansibar und andere Inseln von England eingetauscht wurde. Aueckens ist „ein erstklassiger Mistkerl“ und schwul. Sofort erzählt er, wie er erfolglos versucht hat, einen jungen Helgoland-Touristen recht rabiat zu vernaschen. Den Misserfolg führt er darauf zurück, dieser junge Mann sei ein ungewaschener Jude gewesen. Als er kurz nach seiner Ankunft den malaiischen Boy Engelhardts, Makeli, brutal vergewaltigt, wird er, mit einem runden Gegenstand erschlagen, tot aufgefunden. Makeli verehrt seinen weißen Herrn seitdem noch inniger.
Kracht mag hier ein wenig durcheinander gekommen sein. Selbst heute, wo in der Tat viele Homosexuelle diese Weltgegend als Sextouristen bereisen, sind die heterosexuellen Europäer weit in der Überzahl, umso mehr zu Beginn des 20. Jhdts. Man ist es irgendwann leid, dass der Bösewicht, der im Roman kurz sein Unwesen treibt und dann natürlich sterben muss, so penetrant und einfallslos ein Schwuler zu sein hat. Und man fragt sich, was die Gegenüberstellung des brutalen Vergewaltigers einerseits, des innig verbundenen Freundespaares Engelhardt-Makeli andererseits wohl zu bedeuten haben mag.
Wer sich für deutsche Herrenmenschen im Kolonialdienst S.M. interessiert, dem sei Hans Dieter Schreebs Roman „Hinter den Mauern von Peking“ aus dem Jahr 1999 empfohlen, auch hier ist der Herrenmensch schwul, aber immerhin eine der Hauptfiguren. Kracht ist in Sachen politischer Korrektheit sicherlich nichts vorzuwerfen, dafür ist sein „Imperium“ ganz einfach zu zahnlos, vor allem, wenn es Vergleiche zu Graham Greene provoziert.

Stephen McCauley: Insignificant Others (2010) sind leider wenig signifikant

Der Titel ist ein Wortspiel. Armistead Maupin beendete seine „Tales of the City“ mit dem Band „Significant Others“ (dt. „Schluss mit lustig“), da auf dem Höhepunkt der Aidskrise das Zusammenleben der Schwulen eine andere Verbindlichkeit annahm als zuvor. (Nach einer großen Pause gibt es inzwischen zwei Fortsetzungsbände der „Tales“.) McCauley, der als Autor mit dem Roman „Object of my Affection“ berühmt wurde, benutzt die etwas flapsige Formulierung des „Unbedeutenden Anderen“ als bewusstes Gegenmodell zur großen Liebe der jungen Jahre: Der gesetzte, in fester Beziehung lebende Großstadthomo kann es sich leisten, hin und wieder etwas Unwichtiges nebenher laufen zu lassen. Damit hat er bei mir die Erwartung geweckt, dass sich im schwulen Mainstream der USA vielleicht eine kleine Gegenbewegung zu dem niederschmetternden Spießertum abzeichnen könnte, das mit den Romanen David Leavitts begann und durch die Figur des schwulen Michael in der HBO-Soap „Six Feet Under“ abschließend zum Ausdruck gebracht wurde. Weit gefehlt, statt eine Lanze für die Vielfalt der Lust zu brechen, exerziert McCauley lediglich eine Nullhypothese durch: Die Eingangsthese, eine gute Beziehung könne einige „insignifivant others“ durchaus vertragen, wird im Laufe des Romans zurückgenommen, die holde Zweisamkeit triumphiert. Die auf gut 200 Seiten überaus wortwitzig dahinplätschernde Handlung ist zudem leider zu leicht und luftig angerührt, als dass sie die Fragestellung nebst Auflösung mit dem Maß an Substanz unterlegen könnte, das immerhin die innere Auseinandersetzung mit dem Problem zu einem lohnenden Unternehmen machen würde.
Worum geht’s?
Ricky und Conrad sind seit langem ein Paar. Ricky arbeitet in einer Software Firma, die mit dem Problem zu kämpfen hat, dass die jüngeren Mitarbeiter regelmäßig nach sehr kurzer Zeit den Job wechseln – eine ganz andere Generation, die ganz anders lebt, weshalb es gerade so wichtig wäre, sie zu integrieren. Ricky hat mit zwei Baustellen gleichzeitig zu tun, bis er schließlich lernt, dass Offenheit der beste Weg zu einer Lösung ist, denn die anderen sind zwar nicht vorhersehbar, aber vernünftiger, als man denkt.
Conrad betreibt zusammen mit Doreen eine Beratungsfirma, die Neureichen dabei hilft, für ihre teuren Häuser teure Kunstwerke einzukaufen. Seine Klienten leben überwiegend in Florida und Texas, weshalb er viel auf Reisen ist.
Beide Männer sind in ihren Vierzigern, aber bestens durchtrainiert und sexuell aufeinander abgestimmt: Ricky ist der Ficker. Beide haben wohl hin und wieder andere Affären und nehmen das nicht so genau. Ricky allerdings ist seit mehreren Jahren mit dem verheirateten Hetero Benjamin befreundet, mit der er gemeinsam ein kleines Appartment gemietet hat, in dem sie sich treffen können. Er gibt es nicht zu, aber er ist in Ben verliebt. Ben ist ständig von schlechtem Gewissen geplagt, was ihrem Sex durchaus gut tut. Nachdem die beiden schließlich Schluss gemacht haben, stellt sich heraus, dass Bens pubertierender Sohn ahnt, was sein Vater heimlich treibt, seine Lebenslüge platzt.
Zunächst führt es jedoch zu Komplikationen, dass Ricky eine SMS auf Conrads Handy liest, die von einem Clarke stammt, der das nächste Treffen mit Conrad kaum noch erwarten kann. Es stellt sich heraus, dass Clarke ein Mann Anfang sechzig ist, der in Ohio lebt und recht wohlhabend ist. Clarke möchte gern mehr von Conrad haben, und Conrad fährt für längere Zeit nach Ohio, Ricky und Conrads Geschäftspartnerin Doreen bleiben jeweils „verwitwet“ zurück. In Conrads Abwesenheit begreift Ricky, dass es falsch war, aus der Gewöhnung der langjährigen Beziehung heraus die Lösung bei anderen Männern zu suchen, anstatt diese Energie in die Beziehung zu stecken, und da auch bei Benjamin die Schuldgefühle überhand nehmen, trennen die beiden sich. Conrad kommt früher als erwartet aus Ohio zurück, erklärt, dass das nicht das richtige gewesen sei, und dass sie doch beide ihre Affären bleiben lassen sollten. Ricky sagt ihm, er habe seine schon beendet. Friede, Freude, Eierkuchen.