Joseph Breitbach kennen viele wegen des spektakulären Auftritts des „Joseph-Breitbach-Preises“ im Jahr 1998, der dem Literaturbetrieb wohl sagen wollte: Was ist schon der Büchner-Preis? Wir zahlen mehr!
Breitbach gelesen haben wenige. In einer Neuausgabe mit Materialienband lieferbar ist jetzt „Die Wandlung der Susanne Dasseldorf“. Der Roman handelt von einem Jahr in Koblenz unter amerikanischer Besatzung nach dem Ersten Weltkrieg. Es geht um Interessen der Franzosen und Amerikaner im Nachkriegseuropa, um die soziale Situation der Reichen und der proletarischen Schichten, um „Einquartierungen“, Fraternisierung und Schwarzmarkt und das ständige gegenseitige Belauern der Leute unter diesen Verhältnissen und um einem schwulen Gärtnerjungen mittendrin. Jeder glaubt, den anderen mit irgend etwas in der Hand zu haben, ahnt aber gar nicht, wer den anderen noch alles in der Hand hat und wer ihn selbst schon alles in der Hand hat. Intrigen, spannende Verwicklungen, durchaus an der Grenze zur Kolportage, aber durchaus amüsant. Und mitten drin geht es – das ist der literarische „Kern“ – um Geschlechterverhältnisse zwischen den Klassen und den sexuellen Orientierungen: die gut aussehende Susanne Dasselmann, die sonst „ihren Mann“ steht, lehnt konversationsbeflissene Schlips- und Kragenmänner ab, fragt sich statt dessen, warum sie sich nicht den Gärtnerjungen „nehmen“ kann, wo doch sonst jeder besser gestellte Mann sich die Küchenmagd „nehmen“ kann. Der Gärtnerjunge ist aber schwul, … Der schwule Sekretär ist in den Gärtnerjungen verliebt und ist eifersüchtig auf Susanne und das amerikanisches Küchenpersonal, das einfach etwas aggressiver vorgeht oder dem Jungen mehr bieten oder zahlen kann … Und die Wandlung der Susanne Dasselmann: Als sie sich dem Gärtnerjungen schließlich nackt vor die Füße wirft, um einmal seine Kraft zu spüren, verschmäht der sie. Jetzt heiratet sie den Schlips- und Kragenoffizier, der bei ihnen einquartiert und schon die ganze Zeit hinter ihr her war. Immerhin kann er auch gut reiten … Alles in allem ein vielschichtiges, politisch wie sozialhistorisches Portrait einer Stadt unter Besatzung nach dem Ersten Weltkrieg. Komisch nur, dass der Verlag den Gärtnerjungen, den „eigentlichen Held des Romans“ (Klappentext), der tatsächlich im Zentrum aller intriganten Verwicklungen steht, als ein bisschen bi darstellt. Im Klappentext steht, er verteile „seine Gunst ohne jede Scheu auf beide Geschlechter“, worauf es aber weder im Roman noch in der erzählten Vorgeschichte irgend einen Hinweis gibt. Er treibt es nur mit Männern! So sind sie wohl – die verklemmten Verlage, die ihrem Publikum einen schwulen Helden wohl noch immer nicht „zumuten wollen. Habe aber den Verlag nach den Gründen für die Formulierung gefragt. Kommt Antwort, folgt Aufklärung im Kommentar! Erschienen ist der Roman erstmals 1932, dass er 1933 verboten wurde, versteht sich fast von selbst, … jetzt neu bei Wallstein.
Vielleicht meinten die mit „bi“, dass er es mit Männern und Jungs treibt? Oder könnte ich da etwas falsch verstanden haben?
Nein, Peter, das habe ich missverständlich geschrieben und jetzt korrigiert. Ich hatte das „ein bisschen bi“ in Anführungen gesetzt. Aber es ist kein (!!!) Zitat des Klappentexts! Das war meine Interpretation des dann folgenden Zitats. Ich glaube, die wollten mit ihrer Darstellung den Eindruck vermeiden, dass ihr Held schwul ist. Aber warten wir ab, ob sie sich äußern.
Das hab ich schon verstanden 🙂 Ich hab wohl die Ironie Tags vergessen.
Bei „seriösen“ Verlagen scheint die Thematik noch immer den Ruch des „Verderblichen“ zu haben.
In einem anderen Forum, dass ich gerne besuche, gab es einen Diskussionsfaden zur Listung der Autorinnen und Autoren. Ein Verlag empfahl einer ihrer Autorinnen, nicht dort gelistet zu sein, da dort auch Autoren gelistet seien, die in schwulen Verlagen publizieren. Der Betreiber der Website sollte da in Zugzwang gebracht werden, hat sich aber nicht beirren lassen. Er schrieb: Einziges Kriterium zur Aufnahme von Autoren in die Liste des Autorenforums sei, dass es keine Publikation im BOD, DZV und/oder Eigenverlag sei.
Scheinbar vererben die alten verknöcherten Hochliteraturpublizisten ihre Moral- und Ethikvorstellungen verlustfrei an ihre Nachfolger…
Darf ich mich als Gast kurz einmischen?
Peter, ich glaub, das war weniger der Verlag, sondern die Autorin selbst, die so putzige Fast-Food-Romane schreibt mit solch putzigen Titeln wie „Mitleid mit dem besten Stück“… und ihre Leserinnen nicht verschrecken wollte, daß sie solch anrüchigen Umgang hat :))
Ihrem Verlag war das schnurz, nur sie selbst zeigte damit, wes Geistes Kind sie ist.
Herzlichen Gruß aus dem besagten Forum!
Hannes
Dann bitte ich natürlich um Entschuldigung für die fehlerhafte Information – danke, Hannes 🙂
Als mein älterer Bruder ganz klein war, hat er immer das Lied gesungen „Lesbisch, lesbisch und ein bisschen schwul!“
Ich war noch jünger und habe überhaupt nichts verstanden. Hat sich ja zum Glück mittlerweile geändert.
Frederik
Verlag äußert sich zum Klappentext:
Ich hatte auch dem Verlag geschrieben, was mir am Klappentext „merkwürdig“ vorkam. Hier die Antwort:
„Wir sind ehrlich überrascht über Ihre Wahrnehmung, daß hier im Verlag Homosexualität verschwiegen oder absichtlich ungenau beschrieben wird. Wir lesen Peter als eine Figur, die sich nicht aktiv ihre Beziehungspartner aussucht, sondern lediglich reagiert und so eben die Gunst an beide Geschlechter verteilt (auch wenn er sich bei Susanne wehrt – allerdings ja mit dem Argument des folgsamen Boxers, dem der Trainer jede sexuelle Tätigkeit verboten hat).
Eine Denkweise, die sexuelle Vorlieben wegen irgendeiner Form von ‚Erträglichkeit‘ (oder eben Unerträglichkeit, wie Sie ja suggerieren) bewußt verfälscht wiedergibt, liegt uns fern – so sollte dieser Klappentext wirklich nicht gelesen werden.“
Jau, das ist halt wie ein tritt in die Eier, wenn der Leser den Klappentext partout nicht so lesen will, wie es der Verlag meint. So ne Sauerei, aber echt, hey!
lg/Peter