Erinnern wir uns an einen interessanten Roman von Sten Nadolny, vor Jahren erschienen: „Selim oder die Gabe der Rede“. In der Konfrontation mit dem fremden, morgenlaendischen Selim erfaehrt sich der Erzaehler am Ende selber als fremd. Er merkt ploetzlich, dass er Linkshaender ist. Waere er nicht auf den „Anderen“ gestossen, haette er sich selbst nie als „anders“ wahrgenommen. Abgesehen davon, dass hier auf sehr schoene Weise gezeigt wird, wie produktiv die Begegnung mit dem Andersdartigen fuer die sein kann, die sich fuer „normal“ halten, geht die Geschichte irgendwie weiter:
Selim bleibt ein Einzelkind
Unter diesem Titel schreibt neulich (im Fruehsommer, glaube ich) Peter Schneider in der „Zeit“ darueber, dass die Migranten, die seit Jahrzehnten in unser Land kommen, im Bewusstsein der „heimischen“, „deutschen“ Literatur noch nicht angekommen sind, dass ihre Situation noch immer nur in Buechern von AutorInnen mit Migrationshintergrund, wie man heute wohl korrekt sagt, behandelt wird. Er klagt nicht an, hat ja auch selbst nichts getan in diese Richtung, er stellt lediglich etwas fest und knuepft die Frage daran an, wie lange es wohl dauern mag, bis die Migranten und ihre Kinder, Enkelkinder und Urenkel wirklich ankommen.
Kann man diese Feststellung und die Frage nicht auch in Bezug auf Schwule und Lesben formulieren? Wie sieht der Befund aus, wenn wir nach der Repraesentanz schwuler und lesbischer, dieser „anderen“ Lebenswirklichkeit aus Perspektive der „normalen“, sprich „heimischen heterosexuellen Literatur“ fragen?? Wo und wie treffen die ganz normalen, aber doch irgendwie anderen Figuren in den heterosexuellen Romanwelten auf das Homosexuelle, wie begegnen sie ihm?
Ich bin ueberzeugt davon, dass „wir“ weiter gekommen sind auf dem Weg ins kollektive Bewusstsein der Literatur, wuerde mich aber ueber sachdienliche Hinweise freuen! Andere vielleicht auch! Also: Bitte Lektuereerfahrungen und Fundstuecke in den Kommentaren festhalten!!