„Die Rasenden“ – Karin Beiers „Vorzeitsfamilienmordgemälde“

Wie der unvergessene Liedermacher Ulrich Roski so treffend sang, „Selbst der allergrößte Mist/ zahlt sich irgendwann für irgendjemand aus.“ Nachdem ich einen deprimierenden Abend bei Karin Beiers „Rasenden“ im Deutschen Schauspielhaus verbracht habe, gibt mir dieser „allergrößte Mist“ doch immerhin den Vorwand, auf ein wunderbares Buch hinzuweisen, und, wie ich am 18. Januar merken musste, ein höchst prophetisches.
August von Platen muss sich ebenfalls sehr geärgert haben, nicht über das Regietheater, aber über die Theaterdichter seiner Zeit, des frühen 19. Jhdts. So kam er auf die eigenartige Idee, selbst ein solches furchtbares Theaterstück zu schreiben, und zwar eine zeitgenössische Bearbeitung des „Ödipus“. Außerdem rahmt er die Niederschrift dieses Stückes selbst ein mit einem Blick in die Schreibwerkstatt, in der sich Dichter, Chor, Publikum und der durchreisende Verstand begegnen; letzterer ergreift dann allerdings als erster die Flucht.
Hier zwei kleine Ausschnitte aus Platens Theaterstück.
Zu Beginn schildert der Chor die Reaktion des romantischen Dichters, nachdem er den Ödipus des Sophokles gelesen hat. Im Deutschen Schauspielhaus wird es nach der Lektüre des Euripides und des Aischylos wohl ähnlich zugegangen sein:

Chor
Der Hochbegabte schleuderte
Das fade Buch ins allerdürrste Heidekraut:
„Das also“, rief er, „wäre solch ein Meisterstück,
Der tragische Kanon eures Aristoteles?
Pedanten ihr! Nun will ich einen Ödipus,
Ich selbst erfinden, zeigen euch, wie jener Mensch
Es hätte machen sollen, ein historisches
Vorzeitsfamilienmordgemälde bühnenhaft
Dem Publikum vorbeizuführen. Jenes Stück
Ist bloß als Bruchstück anzusehn! Wo wäre denn
Dekorationsveränderung und sonstige
Freischützkaskadenfeuerwerkmaschinerie?
Wo ist was Komisches eingestreut? Die nötigen
Anachronismen fehlen; geographische,
Selbst andre Schnitzer find‘ ich nicht.

Was dann als „romantischer Ödipus“ über die Bühne ging, beschreibt der entsetzte Verstand folgendermaßen:

Verstand
Alles schier so lappenhaft
Gestickt, und eins ans andre nur so hingenäht,
Dass ich den Bühnenschneider für den wirklichen
Verfasser halte.
Auch hat vielleicht ein lustiger Vogel hier und dort
Was Witziges eingeflochten, unterhaltender
Das lahme Spiel zu machen.

Chor.
Also kennst du nicht
Die Mode, dass man Tragisches jetzt und Komisches
Naturgemäß zusammenschachtelt insgemein,
Weil ja das Menschenleben selbst buntscheckig ist?

Verstand.
Das Leben freilich; aber sicher nicht die Kunst.

Wem also „Die Rasenden“ am Deutschen Schauspielhaus gefallen haben, der wird auch an Platens „Romantischem Ödipus“ seine Freude haben, denn dort findet er den drögen Klassiker höchst unterhaltsam aufgepeppt und seiner komplexen, schwer verständlichen Dramaturgie gänzlich entkleidet.

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