Freude für Wunnicke-Fans: „Nagasaki, ca. 1642“

Mann mit praktischer und philosophischer Kriegererfahrung weit draußen in der fremden Welt trifft Mann mit sprachlicher Begabung vom europäischen Kontinent – nein, nicht Joshua Jenkins und Douglas Fortescue, sondern Abel van Rheenen und Seki Keijiro, ein junger Niederländer und ein Japaner in den besten Jahren. Wenn man noch kurz zurückdenkt an die „Kunst der Bestimmung“, wo ein junger verspielter Adeliger einen strengen seriösen Mann der Wissenschaft trifft, dann merkt man, dass es diese Konstellation der Autorin wohl angetan hat.
Ich finde es überhaupt nicht schlimm, wenn ein Autor oder eine Autorin öfters das gleiche Buch schreibt, solange es ein gutes Buch (und eine gute Autorin) ist. Während also einerseits Nierensteine in Vitrinen gestellt, andererseits am Lagerfeuer Kugeln gegossen und Läuse geknackt werden, werden in „Nagasaki“ Samuraischwerter montiert und richtiges Stehen geübt. Die Handlung spielt unmittelbar nach Clavells „Shogun“, Seki Keijiro erwarb seinen Kriegerruhm bei der Belagerung Osakas, wer die Fernsehserie oder den Roman kennt, weiß, was ich meine. Seki kriegt Rasierbrand und Abel erlebt fernöstliche Stellungen beim Geschlechtsverkehr (seitliche Wolke, wütender Hummer), mit weniger tiefgründigem Ambiente wären wir bei dieser Autorin auch nicht zufrieden gewesen. Das macht ganz einfach Spaß.
Worum geht es in diesem kleinen Roman (eine „Novelle“, wie draufsteht, ist es wohl nicht, würde ich meinen)? Seki war als Schüler einer Söldnertruppe in einen älteren Jungen verliebt, dem eine spezielle Leidenschaft für Feuerwaffen zum Verhängnis wurde, und Seki hat diesem Freund geschworen ihn zu rächen, falls ihm ein Unglück widerfährt. Man denkt hier an Fortescues Leidenschaft für Fotokameras und bewegte Bilder, weshalb der alte Joshua Jenkins viele Jahre nach dem Tod seines Freundes das erste Kino besucht, gewissermaßen als Reverenz an den Toten.
Hier, im Unterschied zwischen Joshuas Gedenken und Sekis Rache, liegt eventuell das Problem der japanischen Geschichte: Rache ist blöd und gibt nicht viel her. Von dem Moment an, als Seki weiß, wer die defekte Kanone gebaut und nach Japan gebracht hat, wird die Geschichte leider ein wenig langweilig, woran auch das plötzliche Auftreten des toten Freundes als Geist nichts ändern kann.
Aber erst einmal ist „Nagasaki, ca. 1642“ eine wirklich große Freude. Christine Wunnicke hat zwei großartige Charaktere erfunden, den jungen polyglotten Reederssohn Abel, der fröhlich durch die Welt turnt und allen tierisch auf die Nerven geht, und den schweigsamen Kriegshelden Seki, dem Familie und Personal tierisch auf die Nerven gehen, so dass er schließlich einen Auftrag als stellvertretender Statthalter von Nagasaki annimmt, dem japanischen Tor zur Welt, wo niederländische Händler auf einer im Hafen aufgeschütteten künstlichen Insel leben und recht erfolglos Handel mit den Japanern zu treiben versuchen. Da Abel dolmetscht, lernt er Seki in offizieller Mission kennen, und ihn beeindruckt dessen Art zu stehen, als sei er im Erdboden verwurzelt. Er bittet ihn darum, ihn Stehen zu lehren („Bestimme mich!“), und als Gegenleistung verspricht er, über die fragliche Kanone nachzuforschen. Mehr soll hier nicht verraten werden. Ich habe das Buch an einem Abend durchgelesen!

4 Gedanken zu „Freude für Wunnicke-Fans: „Nagasaki, ca. 1642“

  1. Eben nicht, Johanna!
    Für den Japaner ist Rache nicht blöd. Und da Frau Wunnicke mit diesem Buch dem „Feeling“ klassischer japanischer Literatur so nahe kommt, wie frau es als Europäerin nur kann, hat die zweite Hälfte nicht nur ihre Berechtigung sonder ist auch der weit spannendere Teil.
    Wie Frau Wunnicke den Gleichmut Keijiros einfängt, der in neue Liebe und alte Rache gleichermaßen aufblüht und mit den Erwartungen des Lesers (und des Geistes des alten Geliebten) spielt ist einfach großartig. Als Europäer glaubt man natürlich, dass die neue Liebe für ihn eine „bessere“ Erlösung ist als das Ausführen seiner Rache. Für Keijiro als Samurai ist beides zusammen viel spannender (was er sogar selbst sagt). In Japan wird die Schönheit zwar in der Perfektion (z.B. der Kriegskunst) gesucht, als wirklich schön angesehen werden aber nur Dinge die einen kleinen Makel haben. Und wann das Beenden der Lebens des Geliebten durch eigene Hand bzw. das Objekt seiner lebenslangen Rache zu lieben kein faszinierender Makel ist, weiß ich auch nicht…

  2. Ich finde auch, dass das Buch „eine wirklich große Freude“ ist und hoffe, dass es viele Leser finden wird.

    Zur „Rache“: Ich glaube gar nicht, dass die Probleme des Herrn Seki irgendetwas mit Rachsucht zu tun hätten (nicht einmal, wenn das kulturell-altjapanisch erklärbar wäre: meine Güte, Herr Seki pfeift doch auf Konventionen), sondern eher mit Versprechen und Verrat. Und das finde ich alles schon sehr, sehr relevant und gar nicht langweilig oder blöd.

  3. Ob es nun um Rache geht oder um das Versprechen, den Tod zu rächen, könnte eine Spiegelfechterei sein, auch sehr japanisch! Meine bescheidene Beanstandung besteht darin, dass die Beschreibung der Winkelzüge des Herrn Seki, sobald es um Rache für seinen toten Freund geht, nicht sehr interessant ist, da mag sein Versprechen etc. noch so „relevant“ sein – Relevanz (wofür?) macht einen Text weder besser noch schlechter, sondern bestenfalls relevanter …
    Falls Volker damit recht hat, dass „Nagasaki, ca. 1642“ nach japanischem Muster „gestrickt“ ist – was ich Christine Wunnicke sofort zutraue -, so bin ich trotzdem kein japanischer Leser, sprich: das Japanische an der Machart kann mich literaturtheoretisch interessieren, ohne mich dabei als Leser positiv zu beeindrucken. Vor zwanzig Jahren kamen (echte) chinesische Kriminalromane auf den Markt, die die Besonderheit aufweisen, den Vollzug der Strafe ebenso ausführlich zu beschreiben wie Tat und Ermittlung. Das fand ich persönlich ebenfalls langweilig, und ganz offensichtlich hat sich diese importierte Schreibweise hier nicht durchgesetzt. Authentische chinesische Küche soll übrigens, anders als das Zeug, was man hier in solchen Restaurants kriegt, für Europäer ziemlich ungenießbar sein – muss man in dem Fall den Ekel überwinden, der Relevanz zuliebe? Nö, oder?

  4. Oh je, das täte mir leid, wenn wir wegen einem Detail jetzt von der wirklichen Freude zur Überwindung des Ekels gelangt wären.

    (Mit „relevant“ hatte ich nur gemeint, dass „uns“, oder besser wahrscheinlich mir, Themen wie Versprechen und Verrat nahe gehen können. Dass ich damit Erfahrungen verbinde, mit den Konventionen der Rache im Japan des 17. Jahrhunderts aber nicht. Der Herr Seki wirkte auf mich jetzt nicht so, als ob er mit Lust – sozusagen mit der Vendetta-Arie des Bartolo aus Figaros Hochzeit im Ohr – an die Rache ginge, sondern der tut halt schweren und traurigen Herzens und in aller ehrenwerten Selbstzerfleischung, was er zu müssen glaubt. Das war zumindest mein Eindruck beim Lesen, ich glaub anders hätte ich ihn weniger gemocht. Aber was weiß ich? Der lässt sich ja nicht in die Karten schauen.)

    Dass Wunnicke-Texte gerne mal in anderen Welten spielen, die dann schon auch mal ihre eigenen Regeln und Rätsel (und Gespenster) haben, mag ich. Macht doch auch Lust, sich über die Royal Society oder die Niederländische Ostindien-Kompanie schlau zu machen, oder?

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