Benny Ziffer redet sich um Kopf und Kragen

Der im März auf deutsch erschienene Roman „Ziffer und die Seinen“ ist vor allem Ausdruck eines nahezu militanten schwulen Selbstbehauptungswillens, wie wir ihn in Westeuropa schon gar nicht mehr kennen. Glücklicherweise brauchen wir ihn auch nicht. Nebenbei macht der Autor deutlich, dass er viele Schwule für hedonistische Arschlöcher hält, aber das ist ja irgendwie klar, schließlich sind viele Heterosexuelle auch hedonistische Arschlöcher.

Pikanter Weise hat Autor Benny Ziffer nicht nur als Soldat seine Pflichten gegenüber dem Vaterland, sondern als Erzeuger von Nachwuchs auch die Pflichten gegenüber der Genealogie erfüllt – er ist verheiratet und Vater von drei überwiegend erwachsenen Kindern. Dabei ist ganz und gar nichts böses zu denken, denn wie heißt es so schön, einige meiner besten Freunde sind Familienväter. Unter prominenten Hamburger Homos war es in den 80er Jahren geradezu schick, eigene Kinder in die Welt zu setzen. Aber was mag Herrn Ziffer dazu getrieben haben, Schwulsein als „ein toter Stamm, der keine Wurzeln und Äste hat“ zu bezeichnen? In einem Interview der Jüdischen Allgemeinen fährt er fort: „Die Homosexualität erscheint stets als Last und nie als Sache, die gut und fröhlich ist.“, und schwule Beziehungen scheitern seiner Meinung nach daran, dass es „nichts (gibt), das eine solche Verbindung von innen zusammenhält.“ (9.7.2009)

Die älteren von uns erinnern sich vielleicht noch an Quentin Crisp, der mit seiner Autobiografie „The naked civil servant“ zum Vorzeigeschwulen Englands avancierte und in späteren Jahren nicht müde wurde zu betonen, niemand würde gern und freiwillig als Schwuler leben. Das wurde seinerzeit als Schrulligkeit eines bereits recht betagten und ansonsten ja verdienstvollen Herrn abgetan. Wenn zwanzig Jahre später aus einer ganz anderen Kultur ganz gleiche Töne zu vernehmen sind, mag man zu der Befürchtung neigen, emanzipatorischer Kampfgeist und schwuler Selbsthass gehörten irgendwie zusammen. Nun ist Benny Ziffer nicht nur sympathisch, sondern auch klug, so dass man mehr als bereit ist, nach Entschuldigungen für solche Dummheiten zu suchen. Vielleicht sind sie im Wesen der jüdischen Familie zu finden.

Man kann wohl behaupten, dass auch die jüdische Familie von einem militanten Selbstbehauptungswillen geprägt ist, wie wir ihn in Westeuropa nicht mehr kennen. Ziffer selbst sagt über sich, dass man bis zu deren Tod der Sohn seiner Eltern bleibt, der stets kontrolliert, aber auch jederzeit unterstützt wird, und er sagt weiter, dass er selbst sich seinen Kindern gegenüber genauso neurotisch verhalte wie seine Herkunftsfamilie zu ihm. Vermutlich wird man diese Einstellung in Israel nicht als neurotisch empfinden, diese Bewertung habe ich hinzugefügt. Wenn ich solche Geschichten höre, erscheint mir die jüdische Heterosexualität als kleines Pflänzchen, das unter Bergen von Dünger verkümmert und erstickt. Ich bin halt nicht in dieser Welt aufgewachsen und verfüge deshalb nicht über das psychologische Rüstzeug, ihren Belastungen standzuhalten. Die Vorstellung, niemals allein, nie mein eigener Herr zu sein, sondern unentwegt von Eltern oder Kindern in irgend eine Pflicht genommen zu werden, ist ein Alptraum. Dieser Alptraum ist in den Augen Ziffers sicherlich ein gesunder Baum mit vielen Wurzeln und Ästen, und das Fehlen solcher Unausweichlichkeit mag ihm öd und leer erscheinen.

Warum konnte er nicht ein wenig nachdenken und das sagen, was er vermutlich wirklich gemeint hat – dass er die jüdische Familie trotz allem liebt und sich niemals vorstellen könnte, in einer menschlich so kalten Welt wie Deutschland zu leben? Denn er müsste unser Land gut genug kennen, um bemerkt zu haben, dass auch heterosexuelle Familien „tote Stämme“ sind, die weder in Intensität noch Dauer den jüdischen vergleichbar sind. Dann hätte er mir erspart, diesen Text hier zu schreiben – denn eine solche Gedankenlosigkeit kann ich nun wirklich nicht unwidersprochen stehen lassen, auch und gerade, wenn sie von einem sehr geschätzten Autor unseres Verlags stammt.

4 Gedanken zu „Benny Ziffer redet sich um Kopf und Kragen

  1. Könnte es sein, dass seine Schrulligkeit weder mit der jüdischen, noch mit der deutschen und schon gar nichts mit schwulen Kultur zu tun hat?
    Homosexualität lässt (sich er)leben, ohne alle diese Zusammenhänge!
    Immerhin haben wir in der AIDS-Krise plötzlich von jüdischen und schwulen Autoren Notiz genommen, die nicht so schrullig waren wie Beni Ziffer. ZB „Der letzte Gold“…

  2. Thommen ist zuzustimmen. Auch für mich sieht das da oben so aus, als würden hier zwei symptomatische Sichtweisen von Familie gegen einander in Stellung gebracht.

    Einersetits ist da die, die irgendwann aufhört, eine zu sein, und sei es auch nur, damit man endlich seine Ruhe vor ihr haben kann:
    „Die Vorstellung, niemals allein, nie mein eigener Herr zu sein, sondern unentwegt von Eltern oder Kindern in irgend eine Pflicht genommen zu werden, ist ein Alptraum.“
    Das sagt der Verfasser, und frei übersetzt heißt nichts Anderes als: Nur eine tote Familie ist eine gute Familie.

    Daran ist so lange nicht bemerkenswert, solange man den Wunsch nach Ruhe nicht zu handgreiflich in die Tat umsetzt.

    Aber: Auf der anderen Seite ist eben die Familie, die zeitlebens nicht aufhört, eine zu sein. In der „bis zu deren Tod (jemand) der Sohn seiner Eltern bleibt, der stets kontrolliert, aber auch jederzeit unterstützt wird.“

    Es sollte jedem klar sein, wie diese Divergenz der Sichtweisen entsteht: weil hier jemand mehr oder weniger subtil mit der Gleichsetzung „jüdisch = neurotisch“ und deutsch = gesund“ operiert:

    „Vermutlich wird man diese Einstellung in Israel nicht als neurotisch empfinden, diese Bewertung habe ich hinzugefügt.“

    Da fällt mir nur Gremliza ein: „Solcher Dreck lässt sich nicht kommentieren“.

    Benny Ziffer jedenfalls hat es besser verdient.

  3. Man verlässt die Herkunftsfamilie, wenn man selbst eine gründet oder dazu in der Lage ist, alle anderen Verhaltensweisen sind in Europa zu allen Zeiten belächelt worden. Insofern ist die Klammerfamilie ebenso neurotisch wie das vierzigjährige Kind, das sein Hotel Mama nicht verlassen will. Natürlich werden Absonderlichkeiten, sobald sie sehr verbreitet sind, nicht mehr als solche wahrgenommen – dafür lassen sich in jeder Regionalkultur genügend Beispiele finden. Für Deutsche ist es evtl. symptomatisch, zur Aufwertung von ansonsten dümmlichen Stellungnahmen sogenannte Autoritäten zu zitieren, auch wenn es dafür gar keinen Grund gibt – das mögen dann Israeli neurotisch finden.

  4. „Natürlich werden Absonderlichkeiten, sobald sie sehr verbreitet sind, nicht mehr als solche wahrgenommen“ – das ist die einzige Hoffnung, die dem, der so etwas sagt, noch bleibt. Difamierende Abwehrversuche sprechen eben so für sich wie die Tatsachen, die sie in ungelenker Wut desjenigen, der sich ertappt fühlt, verleugnen sollen – was ihnen nicht gelingen wird, auch ohne, dass es dafür einer weiteren Stellungnahme bedarf.

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