v. Cramm und (!!) Bill Tilden

Der Amerikaner Marshall Jon Fisher hat jetzt die Geschichte, Vorgeschichte und das ganze Drumherum des Davis-Cup-Herren-Einzel-Finale 1937 ausgebreitet. „Ich spiele um mein Leben“ lautet der deutsche Titel, der Untertitel: „Gottfried von Cramm und das beste Tennismatch aller Zeiten“. Während hierzulande – wohl wegen des Marketings – auch durch die Covergestaltung beinahe der Eindruck erweckt wird, es handele sich um eine Biographie von Cramms, rückt der Originaltitel drei Spieler gleichberechtigt ins Zentrum. Cramm, seinen Gegner Don Budge und seinen Freund/Trainer Bill Tilden. Die Verschiebung der Perspektive hat Folgen, die eine Frage aufwerfen.
fisher-cramm
von Cramm: Bereits 1934 und 1936 hatte von Cramm die Französischen Meisterschaften gewonnen, 1935, 1936 und 1937 in Wimbledon das Endspiel im Herreneinzel erreicht – und jedes Mal verloren. Seine Frau hatte sich inzwischen scheiden lassen, sein Freund, der jüdische Schauspieler Manasse Herbst, musste aus Deutschland emigrieren. In der Endrunde des Davis Cup geht es um mehr als den lang ersehnten Sieg auf dem englischen Rasen. „Ich spiele um mein Leben“, gestand von Cramm seinem Freund und Trainer Bill Tilden. Denn der 1909 geborene von Cramm war schwul und wegen Vergehen nach § 175 im April 1937 bereits von der Gestapo verhört worden. Anders als zum Beispiel der Schauspieler Gustaf Gründgens trat er nicht in die NSDAP ein, äußerte sich sogar kritisch über die Partei und ihr Regime. Einen Sieger von Cramm würde man vielleicht in Ruhe lassen, aber einen Verlierer?

Endspiel-Gegner Don Budge: Der war ein Außenseiter und hat sich als Einwandererkind in den USA hochgespielt hat, ist genauso interessant, soll hier aber etwas stiefmütterlich behandelt werden.

Bill Tilden: Die frühere Nummer Eins des amerikanischen Tennis war ebenfalls schwul und hat pikanterweise 1937 die deutsche Mannschaft trainiert. Tilden kannte den Druck, unter dem von Cramm stand, unter dem schwule und lesbische Profi- und Spitzensportler heute noch stehen. Er führte ein Doppelleben wie von Cramm, bekannt war „es“ nur in kleinsten Kreisen. Deshalb – so meint Fisher – wurde er auch nicht Trainer der amerikanischen Mannschaft: Der amerikanische Tennisverband hatte Angst, dass es irgendwann mal herauskommt und es einen Skandal gibt.

So dreht sich alles in dem Buch um das Verhältnis von Sport, Sexualität und Politik – immerhin spielte von Cramm für Nazi-Deutschland und das Publikum in Wimbledon jubelte auch dem Vertreter des NS-Staats zu. Immerhin war der jüdische Tennispartner (und Konkurrent um den Platz der Nummer Eins in Deutschland), David Prenn, 1933 aus der Mannschaft geflogen, immerhin war der Sport (Max Schmeling Boxweltmeister, Olympiade 1936, auch Tennis: denn beim Davis-Cup war die deutsche Mannschaft wegen WK 1 lange ausgeschlossen) ein wichtiges Feld für die Nazis, Reputation zu erwerben und Selbstbewusstsein zu demonstrieren. Andersherum haben kritische Leute, vor allem Juden, diesen Zusammenhang gesehen und haben beispielsweise zum Boykott der Olympischen Spiele 1936 aufgerufen. Aber so einflussreich waren sie nicht, auch in den USA und Europa hat Antisemitismus den Blick verstellt, wog die Sportgeilheit schwerer.

Spiel und Nachspiel
: Gottfried von Cramm verliert das Finale gegen Don Budge. Sein Leben war deshalb aber nicht bedroht, doch von Cramm wird 1938 aus heiterem Himmel verhaftet. Wie schon im Gestapo-Verhör vor dem großen Match legt man ihm seine Beziehung zu Manasse Herbst zur Last. Von Cramm spielt die Beziehung herunter, stellt seinen Geliebten als Erpresser dar, hat gute Beziehungen kommt so mit einer glimpflichen Strafe davon. 1939 wird von Cramm in den Kriegsdienst eingezogen, es folgen Verletzungen, unehrenhafte Entlassung aus der Wehrmacht, nach dem Krieg erneute Erfolge im Tennis, eine kurze Ehe mit der Woolworth-Erbin Barbara Hutton und eine neue Karriere als Baumwollhändler. 1976 stirbt er bei einem Autounfall.

Don Budge wurde 1937 zum Sportler des Jahres gewählt, ihm gelang 1938 als erstem Spieler ein Grand Slam, also alle vier großen Tennisturniere im Einzel zu gewinnen. Danach wechselte er ins Profi-Lager und wurde 1964 ins größte Tennismuseum, der International Tennis Hall of Fame in Rhode Island aufgenommen.

Das Pikante, was hier in der Wahrnehmung kaum vorkommt: Von Cramms Trainer Bill Tilden kam in Amerika nicht so glimpflich davon wie von Cramm in Deutschland. Er wurde mehrfach wegen Homosexualität verurteilt, die Tenniswelt wandte sich ab von ihm, er ist daran zerbrochen. So schreibt der Autor im Fokus des Endspiels und seines Umfelds beinah gleichberechtigt über Antisemitismus und Schwulenverfolgung/-diskriminierung in Deutschland, Europa und Amerika! Und er schreibt nebenbei über amerikanischen Rassismus, wenn er in seiner leider maßlos ausufernden Montage unzähliger Tourniere, Spiele, Sätze, Spieler, Zuschauer und Kommentatoren auch die Geschichte des schwarzen Friedensnobelpreisträgers Ralph Bunch erzählt: Der hat in Wimbledon wohl auf der Zuschauertribüne gesessen, konnte aber noch in den 50er-Jahren seine Kinder in keinem US-Tennis-Club anmelden. Diese Aspekte gehen in der Wahrnehmung hier leider etwas unter -alle Blicke werden auf von Cramm gezogen, gelenkt, geworfen.

Schauen wir nicht gerne auf die Christopher Street und die Stonewall Inn, auf das, was da begonnen hat. Wissen wir nicht allzu wenig über die konkrete Situation von Schwulen in den USA vor 1969?? Ich weiß da zumindest sehr wenig – und würde mich langsam mal dafür interessieren!

Marshall Jon Fisher: Ich spiele um mein Leben. Gottfried von Cramm und das beste Tennismatch aller Zeiten. Aus dem Amerikanischen von Clemens Brunn und Maximilian Vogel, Osburg Verlag 2009, 417 Seiten, EUR 22,90

Über Detlef Grumbach

Detlef Grumbach gehört zum Team von Männerschwarm und arbeitet obendrein als freier Kulturjournalist. Schwule Bücher machen, sie "verkaufen" und Literatur insgesamt beobachten - das soll sich hier niederschlagen.

2 Gedanken zu „v. Cramm und (!!) Bill Tilden

  1. Martin J. Gössl: Als die erste Münze flog und die Revolution begann. Eine historische Betrachtung und Analyse. 2009
    978-3-902080-02-08
    (Die Jahre vor den NYer Ausschreitungen, sh. S. 19-36)

    Video: Before Stonewall

  2. Gut, dass einer mal was vorschlägt, nur weiß ich nicht, ob Detlefs Interesse sich von Seite 19 bis Seite 36 bereits erschöpfen lässt 😉

    Und meine Erinnerung daran ist, dass die Zeit „Before Stonewall“ im gleichnamigen Film vor allem aus der Perspektive eines Bewusstseins nach Stonewall wahrgenommen und vermittelt wird. Überspitzt gesagt ist das ganze Leben vor Stonewall in diesem Film vor allem dadurch definiert, dass Stonewall noch nicht stattgefunden hat. Das Ergebnis ist also ein Artefakt der Methode, würde man theorie-theoretisch dazu sagen, und wahrscheinlich nicht alles, was es über die Zeit vor dem Homo-Big-Bang zu sagen gibt, vielleicht noch nicht mal das Wesentliche.

    Denn wenn etwas typisch für Dasein und „So“-Sein vor dem Epoche machenden Ereignis ist, dann der Umstand, dass keiner wissen konnte, was ihm die schwule Emergenz ermöglichte, bzw. ihr die lesbische. In anderen Worten: Das vergangene Leben im Licht zukünftiger Ereignisse zu betrachten heißt nicht unbedingt, das Leben so wahrzunehmen, wie es gelebt worden ist.

    Deshalb scheint macht mich dieses Buch neugierig: Weil es offenbar (hier vertraue ich Detlefs Urteil) prä-schwule Protagonisten so darstellt, wie sie in ihrem Handeln und Bewusstsein mit hoher Wahrscheinlichkeit tatsächlich gewesen sind. Da kann ich mich anschließen: Darüber würde ich gerne mehr erfahren.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert