„Ich bin kein Date!“ – oder: der zauberhafte Dr Watson

Eine neue Verfilmung der BBC erklärt, wie man heutzutage das Verhältnis von Sherlock Holmes und Dr Watson auffassen würde, und das Ergebnis ist eine reine Freude. „Ein Fall von Pink“, der erste Film einer Miniserie, war nun auch im deutschen Fernsehen zu sehen und ist geradezu ein Lehrstück dafür, wie man eine ungewöhnliche Männerfreundschaft inszenieren kann, ohne wie sonst zumeist hinter vorgehaltener Hand zu kichern.
Als die beiden ihre gemeinsame Wohnung in der Baker St. beziehen, meint die Vermieterin, „oben“ gäbe es auch noch ein zweites Schlafzimmer, „falls Sie das brauchen sollten.“ Dr Watson ist auf putzige Weise empört, warum sollten sie das denn wohl nicht brauchen? Aber die Vermieterin meint nur, „hier gibt es doch alles, zwei Häuser weiter zum Beispiel …“ – aber dann passiert schon wieder etwas aufregendes und der Klatsch über die Nachbarschaft wird uns vorenthalten.
Abends geht Holmes mit Watson in seine Stammkneipe, und der Wirt fragt, „was darf ich Ihrem Date bringen?“ Dass Watson – leicht empört – betont, er sei kein Date, ist dem Wirt ganz egal. Sofort kommt er mit einer Kerze und meint, „So ist es romantischer“.
Indem die alte Geschichte konsequent und sehr intelligent in die Gegenwart übertragen wurde, ist es letztlich unvermeidbar, dass eine solche Art von Zusammensein von anderen offen angesprochen wird. Dass die wohlmeinenden Mitmenschen dabei schon mehr wissen als die zukünftig Verliebten selbst, ist ein dramaturgischer Kunstgriff, aber dass sie natürlich vollkommen recht haben, verdient eine kurze Überlegung.
Ein in unserem Verlag erstveröffentlichtes biografisches Lexikon trägt den Untertitel „Freundesliebe und mannmännliche Sexualität“ – so weit muss man den Bogen spannen, um dem Sachverhalt gerecht zu werden, der mit dem Begriff „Homosexualität“ nun einmal sehr unzureichend bezeichnet wird. Dass Watson Holmes liebt, scheint mir außer Frage zu stehen, und dafür gibt es auch ein fast objektives Kriterium: er lässt sich immer wieder darauf ein, Dinge „für Holmes“ zu tun – er reagiert fast reflexhaft auf persönliche Wünsche des Freunds. Das fällt auf, denn so etwas tun sonst nur Paare. Da er keine genitalen Fantasien hat, tut sich Watson schwer damit, seine Lage zu begreifen. Gespannt bin ich darauf, ob die weiteren Filme mehr Klarheit darüber bringen werden, was sich Holmes eigentlich dabei denkt.
Mir geht es ganz bestimmt nicht darum, Holmes und Watson oder Ernie und Bert zu „outen“. Interessant ist vielmehr, dass uns hier eine Form der Männerfreundschaft ins Gedächtnis gerufen wird, die – seit der Einführung der Ko-Edukation? – aus der Mode und aus dem öffentlich Wahrnehmbaren verschwunden ist. Bei Evelyn Waugh kann man noch ganz unbefangen davon reden, dass zwei Männer sich lieben, ohne dabei an Schwänze, Ärsche und dgl. zu denken. Ich weiß wirklich nicht, ob das wünschenswert ist, aber im Falle Watson-Holmes à la BBC ist es auf jeden Fall richtig poetisch. Und Watson ist so schnuckelig …

15 Gedanken zu „„Ich bin kein Date!“ – oder: der zauberhafte Dr Watson

  1. Eine wirklich grandiose Mini-Serie! Die Darstellung des Verhältnisses zwischen den beiden ist wirklich erfrischend! Insbesondere dass Sherlock den Unterstellungen bezüglich ihres Verhältnisses nie widerspricht, ist sehr interessant …

    In der englischen Originalfassung (die deutsche habe ich nicht gesehen) ist die Vermieterin übrigens deutlicher: »Oh, don’t worry. There’s all sorts round here. Mrs Turner next door’s got married ones.«

    — Keine Ahnung, warum das auf Deutsch offenbar entschärft wurde.

  2. In der dritten und letzten Folge, hier heute abend – die Serie wurde offenbar nach ganz Europa verkauft – France 2, unter dem Titel „Le grand jeu“, extra angeschaut, outet Sherlock ein U-Boot anhand von Anhaltspunkten, die nichts Gewagteres als die üblichen Klischees vom schwulen Narziss bedienen. Etwas enttäuschend seitens eines zeitgenössischen Aspergers. Doch vielleicht entging mir ja etwas. Ich hab allerdings auch sonst nicht viel an diesem Chaos kapiert. Nicht schlimm, denn so geht es mir bei Kriminalfällen fast immer – bin hier nicht einmal in der Lage, aus lauter Enttäuschung zu spoilen. Fortschritte hinsichtlich der gewollten Rezeption von Homosexualität seitens der britischen Fernsehschaffenden sehe ich unter Inbetrachtziehung dieser dritten und letzten Folge jedenfalls keine.

  3. Ich habe den Film zwar nicht gesehen, möchte aber … Kleiner Scherz. Doch man ist ja hier vom Herrn Administrator zu Recht dazu angehalten, zuvörderst über LITERATUR zu posten. Also: Den ersten Sherlock-Holmes-Roman, „Eine Studie in Scharlachrot, veröffentlichte Arthur Conan Doyle im Jahre 1887. Es wäre nun wirklich interessant zu wissen, wann genau sich zum ersten Mal jemand „etwas“ dabei dachte, dass da zwei Männer zusammen wohnen, das heißt: „es“ sich nicht bloß dachte, sondern „es“ auch öffentlich aussprach. Hundertvierundzwanzig Jahre später jedenfalls hat eine solche Wohngemeinschaft (und Freundschaft) wohl längst ihre prinzipielle Unschuld verloren. Sozusagen: from scarlet to pink.
    Warum aber ist es denn, wie Joachim schreibt, „letztlich unvermeidbar, dass eine solche Art von Zusammensein von anderen offen angesprochen wird“ — was genau zwingt dazu? „Dass die wohlmeinenden Mitmenschen dabei schon mehr wissen als die zukünftig Verliebten selbst, ist ein dramaturgischer Kunstgriff, aber dass sie natürlich vollkommen recht haben, verdient eine kurze Überlegung.“ Dass sie Recht haben womit?
    Kommt da eine versteckte, gar unterdrückte Wahrheit zum Vorschein? Oder zeigt sich in solchem „Rechthaben“ nicht vor allem dies, dass nicht, wie sie selbst vielleicht meinen, die „in einer Beziehung“ befindlichen Personen die Art ihrer Beziehung definieren, sondern dass es ihre Umgebung ist, also der soziokulturelle Kontext, wodurch die Beziehung bestimmt wird? Sie erhält einen abgegrenzten Raum des Möglichen und Unmöglichen zugewiesen, in dem die Akteure sich einrichten dürfen, den sie aber um den Preis des Unverständlichwerdens nicht verlassen können.
    Konkreter formuliert: 1887 konnten zwei Männer noch aus wirtschaftlichen Erwägungen (Holmes war seine Wohnung zu groß und zu teuer, Watson suchte ein günstiges Quartier) zusammenziehen und in der Folge Freunde werden. Dann aber kamen Nietzsche, Freud und die ganze „Hermeneutik des Verdachts“. Spätestens 2010 also müssen die Herren sich fragen lassen, ob sie nicht vielleicht doch etwa schwul sind. Selbstverständlich wäre es völlig okay (und angeblich sogar egal), wenn sie’s wären, wir sind ja aufgeklärt und tolerant, aber wenn sie’s sind, dann sollen sie’s bitte schön auch sagen. Wenn das keine repressive Toleranz ist, weiß ich auch nicht.
    So wenig es Joachim darum geht, Sherlock und John oder Ernie und Bert zu outen, geht es nun mir darum zu behaupten, dass in der Zeit der offenen Repression (siehe etwa Criminal Law Amendment Act von 1885, nach dem Wilde verurteilt wurde) irgendwie alles besser war, ganz bestimmt nicht. Aber wie das „letztlich unvermeidbare“ ach so wohlmeinende offene Ansprechen, also in meinen Worten: der Problematisierungs- und Geständniszwang, Teil einer „reinen Freude“ sein soll, verstehe ich nicht.
    Freundschaft von Männern, bei der nicht sofort an „Schwänze, Ärsche u. dgl.“ gedacht wird (von wem übrigens?) ist wohl tatsächlich aus der Mode gekommen und aus dem öffentlichen (und privaten) Wahrnehmungsvermögen verschwunden. Das wird aber nicht nur an der Koedukation liegen, obwohl diese Form der Zwangsheterosexualisierung gewiss ihre Rolle spielt, sondern auch an einem Effekt der homosexuellen „Emanzipation“ selbst, nämlich an dem aufgeklärt-wohlmeinenden Zwang, gefälligst eine Identität zu haben und sich in definierten Relationen zu befinden. Einst konnte, weil manches „undenkbar“ und „unaussprechlich“ war, nach außen hin weitgehend offen bleiben, was zwei Männer verbindet. Heute glaubt man immer schon im Voraus zu wissen, was es sein kann und was nicht, und wartet lediglich auf die Bestätigung. Es lebe der Fortschritt!

    Im Übrigen konnte ich zumindest in der zweiten Folge (hab also doch was gesehen!) gar nichts von der von Joachim für die erste beschriebenen „Liebe“ Watsons für Holmes erkennen. Ich behaupte, jemanden wie diesen kalten, manipulativen, egozentrischen Typen kann man auch gar nicht lieben! (Sherlock ist nach meiner völlig laienhaften Einschätzung jedoch kein Fall von Asperger-Syndrom, denn er kann die Emotionen anderer erkennen — sie sind ihm bloß weitestgehend egal!) John wünscht sich eher jemanden wie Sarah: herzlich, einfühlsam, kooperativ. Jemanden in der klassischen Frauengeschlechterrolle eben. Was seine Nachgiebigkeit gegenüber Sherlocks Bedürfnissen betrifft, so ist er eher gutmütig und etwas waschlappig, sympathieheischend normal und fast etwas trottelig — also die klassische Assistenzfigur des genialisch-dämonischen Ausnahmemenschen (siehe Zeitblom und Leverkühn) — als in irgendeinem Sinne verliebt, so scheint mir. Von Sherlock ist John freundschaftlich fasziniert, Sarah könnte er lieben. Anknüpfend an Joachims Posting-Überschrift ist für mich der zitable Schlüsselsatz darum: „Keine Sorge, das nächste Date wird anders.“

    Mein Eindruck: Mit Literatur hat diese Doyle-Umarbeitung der BBC wenig bis nichts zu tun. Was wiederum wenig bis nichts über ihren Unterhaltungswert sagt. Und Hobbits für schnuckelig zu halten, steht sowieso jedem frei. (Man könnte auch Anderson niedlich finden oder Scudder, äh, Lestrade.) Mein Fall, wenn ich das erwähnen darf, ist die etwas zwanghafte Ästhetik dieser Verjetztzeitigung allerdings nicht. Ich mag eher den Charme der alten Filme mit Rathbone — und den schlichten Witz von Billy Wilders Version, in der Holmes sich und Watson für ein Paar erklärt, um eine allzu begehrliche Frau loszuwerden.

  4. Krafft-Ebings „Psychopathia“ erschien schon ein Jahr früher, 1886, aber in England scheint es seine verheerende Wirkung erst sehr viel später entfaltet zu haben, wenn überhaupt. Meine etwas kryptischen Sätze, auf die sich Stefan bezieht, sollten sagen: Heute sind pikante Feststellungen oder Unterstellungen ein so fester Bestandteil des öffentlichen Lebens, dass man die Besonderheit eines solchen Zusammenlebens nicht einfach ignorieren kann, weder als Vermieterin noch als Leser. Und ja, für den ersten Teil dieser Serie meinte ich sagen zu können: Watson liebt Holmes, zumindest in einem „platonischen“ Sinn. Die zweite Folge war in erster Linie wirr, und Herr Schlegel macht uns für die dritte auch keine Hoffnung, wie schade. Wir werden also wohl nichts mehr über den schnuckeligen Watson der ersten Folge erfahren. (Sein Verhältnis zur gedateten Kollegin ist allerdings rein kumpelhaft, da knistert nichts, Sympathie ist alles.)

    Worauf ich jedoch hinauswollte war diese besondere vorauseilende Toleranz, die sich im Verhalten von Vermieterin und Wirt ausdrückt, und die für Watson genauso unangenehm ist, wie es eine gehässige Verdächtigung wäre. Toleranz wie Gehässigkeit wiederum sind gleichermaßen Ausdruck einer umfassenden Schimmerlosigkeit aufgrund einer ebenso umfassenden Gleichgültigkeit. Die gestiegene Toleranz ist somit kein Indiz dafür, dass irgendwer sich irgendwie Gedanken darüber gemacht hat, was es mit Schwulen wohl auf sich haben könnte, will sagen, die Ausgrenzung als ein Personenkreis, der einen nichts angeht, besteht fort. Und das bringt dieser Film, wie ich finde, sehr gut zum Ausdruck.

  5. So formuliert, liegen unsere Deutungen recht nahe beieinander, lieber Joachim, nur dass ich das Repressive, also bestimmte Wahrnehmungsverhalten, Denkmuster und Sprachkonventionen Erzwingende der zeitgenössischen Toleranz noch stärker akzentuieren möchte. Ausgrenzung ja, durchaus, aber eben auch Eingrenzung, Festlegung, Definition. Die darauf gründende selbstgefällige Gleichgültigkeit kann dann, meine ich, jederzeit in Schlimmeres umschlagen.

    Der literarische Watson heiratet übrigens im Verlauf der Erzählungen. Seine Frau heißt allerdings Mary, nicht Sarah. (Dass beim BBC-Watson je irgendetwas knistert, kann ich mir, nebenbei bemerkt, kaum vorstellen.)

    Witzig: Krafft-Ebing hatte ich neben N. und F. schon hingeschrieben, dann aber wieder gelöscht, eben weil die „Psychopathia sexualis“ vor 1887 erschienen war … Wie es scheint, wurde sie zwar erst vergleichsweise spät ins Englische übersetzt, aber Doyle, der bei den Jesuiten in Feldkirch zu Schule gegangen war, konnte ja Deutsch. Was ihn aber, soweit ich sehe, nicht dazu brachte, das „German vice“ zu thematisieren.

  6. Auch die dritte Folge von „Sherlock“ scheint mir in ihrer rasenden Bemühtheit eher langweilig. Aber die vom sehenswerten Andrew Scott verkörperte Figur des Moriarty könnte dazu anregen, die Analyse des erotischen Subtextes neu ansetzen zu lassen: „Wir sind für einander bestimmt, Sherlock.“ Man wird sehen, wo das endet. Arthur Conan Doyle, der Holmes 1893 loswerden wollte, ließ ihn bekanntlich im Zweikampf mit seinem Widersacher zu Tode kommen. (Was er zehn Jahre später revidierte: H. überlebte doch.) Wie könnte man da widerstehen, Wilde zu zitieren: Jeder tötet, was er liebt.
    Dass die Figur Moriartys, wie wohl die jedes großen Bösewichts, die Phantasie auch abseits von Doyle und sogar Holmes anregte, kann man zum Beispiel aus den Wikipedien erfahren. Doch wenn ich nichts übersehen habe, ist noch niemand darauf gekommen, aus M. und H. ein (in monströser Hassliebe aneinander gefesseltes) Paar zu machen. Okay, so pervers muss man ja auch erst einmal sein.
    Die BBC-Serie triggert übrigens, was immer ihre Vorzüge oder Mängel sonst sein mögen, die kreative Phantasie vieler in mancher Hinsicht, wie mir ein paar Streifzüge durch die Bloggosphäre gezeigt haben. Am niedlichsten finde ich dies.

  7. Also ich finde schon, dass der Film immer mal wieder neue Sichtweisen und neue Figuren einführt. Dass Watson jetzt zwar eine Freundin hat, dort aber entweder auf dem Sofa oder auf der Luftmatratze schläft, ist schon verrückt – warum fährt er nicht nachhause? Und wie er sich als wandelnde Bombe für Holmes zu opfern bereit ist, raubt sogar dem furiosen Sherlock zeitweilig die Sprache. Dass sie aus dem Sturz den Wasserfall hinab ein schäbiges Londoner Hallenbad gemacht haben, ist ganz allgemein einfach charmant, ebenso das Don Quixotte Zitat: bei dessen dritter Ausfahrt traf er auf Leute, die seine Bücher kannten, so auch hier, die Polizisten kennen Watsons Blog über den ersten Fall. Ich mag das einfach.

  8. Man könnte freilich gerade das miefige Hallenbad, das die Reichenbachfälle substituiert, als Metapher dafür nehmen, dass das zeitgenössische Britannien jeder Weltläufigkeit entsagt und sich, Globalisierung hin oder her, in sich verschlossen hat. Wenn es, wenn schon kein Schweizer Wasserfall, so doch wenigstens ein sehenswertes Bad, etwa in Budapest oder Wien, gewesen wäre! Oder ein Istanbuler Hamam. Oder eine von Tom-of-Finland-Typen bevölkerte Sauna in Helsinki. Das hätte wirklich Charme gehabt!

    Watsons sinnloser Heroismus war Holmes offensichtlich bloß peinlich. Zu sentimental. Zumal er sich gerade im erregenden show-down mit seinem wahren lover befand (vgl. meine Moriarty-Arbeitshypothese).

    Und in dramaturgischer Hinsicht finde ich den cliff-hanger peinlich primitiv. Lindenstraße für BBC-Konsumenten. Schalten Sie auch bei der nächsten Staffel wieder ein, wenn Sie Dr. Watson sagen hören wollen …

  9. An diesen eigentlich belanglosen Filmen „outen“ sich hier ganz verschiedene Humores, dafür zumindest ist dem BBC zu danken. Mich freut das relativ erfrischend Andere, aber natürlich hat das auch seine Mängel. Lieber Stefan, ich würde sagen: um sich über die Mängel zu echauffieren, sind die Filme zu unwichtig. Und nein nein nein, ein pompöses Bad wäre genau das, was eigentlich immer genommen wird. Sich für solch eine piefige Location zu entscheiden, ist m.E. ein Zeichen von Größe. Das damit gesparte Geld haben sie lieber für den Schmuck der Galeristin ausgegeben, der war dafür doch wirklich zum Totlachen, also: eine Klappe, zwei Fliegen.

  10. A propos miefiges Hallenbad, daneben weitere piefige Locations und ein nicht besonders hübscher jugendlicher Hauptdarsteller; schließlich auch noch diesjähriger Teddy-Award (ein Bear in der Frühphase und ein Teddy passen natürlich gut zusammen) – und trotz allem wirklich sehenswert: „Ausente“, ein argentin. Film von Marco Berger. Sah gestern dieses Werk hier im Kino, es läuft vielleicht gerade auch im deutschsprach. Raum. D. h. für diejenigen, die das Festival verpasst haben und sich von teils vernichtenden ideologischen Kritiken nicht abhalten lassen. Mich hat dieser gewiss bescheidene Film jedenfalls einigermaßen beeindruckt. So sehr wie in meiner Jugend Skolimowsiks „Deep End“ sicherlich nicht, aber das war ja der ultimative versifftes-Hallenbad-Film. Mehr oder weniger heruntergekommene öffentliche Schwimmeinrichtungen – meist außerhalb der allgemeinen Öffnungszeiten – sind als Dekor momentan übrigens ziemlich in Mode. Woran das wohl liegen mag? Weil es mittlerweile so viele davon gibt? Sollte es letzten Endes darum gehen, den Zuschauer diskret auf die Verschuldung der Kommunen im Finanzkapitalismus hinzuweisen?

  11. Ehrlich gesagt, der Schmuck der Galeristin ist mir überhaupt nicht aufgefallen. Selektive Wahrnehmung … (Für Bibelkundige: Spr 1,22) Im Übrigen bin ich mit Wilde und Brecht einer Meinung: Für die Zuschauer nur das Teuerste. Die BBC soll lieber an anderem sparen (etwa an der Produktion ihrer dumpf-reißerischen Geschichts-Dokus) als an Sherlock-Holmes-Kulissen.

    Andererseits wären ein Hamam oder eine Schwulensauna ja nicht notwendigerweise etwas Pompöses gewesen. (Und beide Orte hätten es ganz zwanglos erlaubt, Andrew Scott statt in Anzug und Totenkopfkrawatte bloß im Handtuch zu zeigen.)

    Mir wäre wohl einfach eine nicht so britische Örtlichkeit lieber gewesen, aber ich bin halt schlechterdings nicht anglophil. Mit échauffage hat das nichts zu tun, mit Körpersäften und Temperamenten aber schon, das stimmt.

    Übrigens könnten wir mit unserer Deutung, das Hallenbad sei gleichsam ein Wasserfallersatz, auch daneben liegen: Der angekündigte dritte Teil der zweiten Staffel trägt immerhin den Titel „The Reichenbach Fall“.

  12. Ist eine späte Nachbemerkung erlaubt, ohne in den Verdacht zu geraten, von den „eigentlich belanglosen Filmen“ regelrecht besessen zu sein? Ich ersuche im Voraus um Entschuldigung, wenn ich hier jemanden mit meinen umfänglichen Betrachtungen langweile. Ich könnte sie auch in meinem Blog veröffentlichen, aber hierorts hat ja schon so etwas wie eine Diskussion stattgefunden, an die ich anschließenmöchte. Also:
    Der Zufall in Gestalt von einsfestival hat es mir erlaubt, den „Fall von Pink“ anzuschauen — in Kenntnis der anderen Teile der (ersten) Staffel und der Postings hier. Mein Eindruck? Tatsächlich ist in dieser Folge die Thematisierung des Verhältnisses von Holmes zu Watson und umgekehrt am stärksten. Als ob man gleich zu Anfang hätte klären müssen, was die beiden eigentlich verbindet. Aber geklärt wird selbstverständlich in Wahrheit gar nichts.
    Joachims Deutung, John sei in Sherlock verliebt, kann ich mich also immer noch nicht anschließen. Und sehe in dem Filmchen auch wirklich nicht „geradezu ein Lehrstück dafür, wie man eine ungewöhnliche Männerfreundschaft inszenieren kann, ohne wie sonst zumeist hinter vorgehaltener Hand zu kichern“. Nun gut, es wird die Möglichkeit mit gekünstelter Selbstverständlichkeit in den Raum gestellt, es könne sich um eine homosexuelle Beziehung handeln. Aber doch vor allem, um explizit dementieren zu können: „Ich bin nicht sein Date.“
    Mir scheint im Gegenteil, dass es das gesamte Narrativ implodieren ließe, würden Holmes und Watson ein Liebespaar oder auch nur Sexpartner. Dass verliehe dem Ganzen eine Dynamik, die die Spannung auf dieser Ebene ruinierte.
    Drei Ebenen möchte ich unterscheiden. Einmal die des Kriminalfalls als solchen. Sie ist recht banal und eigentlich langweilig. „Wer war es und wie wird er überführt“, ist hier keine besonders relevante Frage. Dann gibt es die Ebene der Umarbeitung des von Arthur Conan Doyle geschaffenen Mythos in etwas Zeitgenössisches. Das Ergebnis kann man gelungen finden oder allzu angestrengt. „Wie werden die altbekannten Motive übersetzt oder transformiert“, ist schon eine recht interessante Frage, die die Erzählung auch wirksam vorantreibt. Und dann gibt es eben noch die dritte Ebene, die der (psychologischen) Eigentümlichkeiten der Figuren und der Beziehungen zwischen ihnen, wobei selbstverständlich die Charaktere von Sherlock und John am interessantesten sind und eben auch der Charakter ihrer Beziehung. „Läuft da was und wenn ja, was“, taucht als implizite Frage motivisch immer wieder auf und hält den sonst etwas wirren Handlungsablauf geradezu hintergründig zusammen und auf Trab.
    „Er gehört zu mir. (…) Ich sagte: Er gehört zu mir.“ Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Sätze von Holmes über Watson um Marianne Rosenberg willen eingebaut wurde, aber der schwule Hörer der deutschen Synchronfassung darf an dieser Stelle wohl kichern, ob hinter vorgehaltener Hand oder nicht …
    Verbale, mimische, situative Anspielungen auf etwas Unausgesprochenes, die gar keine sein müssen, aber so verstanden werden können, sind zahlreich. „Ich hatte gehofft, Sie würden etwas tiefer gehen.“ Ein Schelm, wer Schwules dabei denkt. Aber selbstverständlich ist das Männerpaar eben kein homosexuelles Paar. Man könnte sagen, die Erzählweise parasitiert an der Möglichkeit eines erotischen oder sexuellen Verhältnisses; würde diese aber realisiert, also Möglichkeit zur Wirklichkeit, verhungerte der Parasit.
    Selbstverständlich hätte von den aufgeklärten Zeitgenossen, repräsentiert durch Mrs Hudson oder Angelo, niemand etwas dagegen, wenn John und Sherlock miteinander fickten. Denn irgendwie ist es ja schon merkwürdig, dass die beiden (mehr oder minder) gutaussehenden Herren nicht in festen weiblichen Händen sind, also denkt man sich seinen Teil, und Homosexualität wäre eine prima Erklärung für einige Merkwürdigkeiten …
    Eine explizit homosexualisierende Interpretation des Doylschen Stoffes wäre also keineswegs wirklich skandalös — aber für die überwiegende Mehrheit des Publikums, die man sich als heterosexuell vorstellen dürfen wird, völlig langweilig. Man hat ja nichts gegen Schwule, aber deshalb muss man sich ja nicht unbedingt für sie interessieren.
    Man kennt das ja: Treiben es die Cowboys nicht miteinander, redet niemand von einem heterosexuellen Western. Tun sie es aber, ist das Etikett Homo-Western unvermeidlich. Sex oder Liebe oder Sex und Liebe zwischen John und Sherlock machte aus den hier besprochenen Filmen ein Minderheitenprogramm. Und sowas bringt keine Quote.
    Aber irgendetwas ist ja doch ungewöhnlich am Verhältnis dieser beiden Figuren zueinander. Bloß was? Gerade durch die Übersetzung ins Zeitgenössische wird eine, wie Joachim es sehr treffend bezeichnet, „Form der Männerfreundschaft“, die längst „aus der Mode und aus dem öffentlich Wahrnehmbaren verschwunden ist“ im Grunde undarstellbar. Wenn zwei Männer einander „lieben“ (falls das das richtige Wort ist), denkt man heutzutage dabei eben an „Schwänze, Ärsche und dgl.“. Zugleich ist es in bestimmten fällen unvorstellbar, dass derartiges ausgesprochen oder gar gezeigt würde. Kulturkritisch gesagt: Nicht etwa, deshalb, weil Homosexualität verboten wäre, sondern erschreckenderweise vielmehr deshalb, weil sie hier und heute nur für Homosexuelle erlaubt ist.
    Sherlock und John dürften zwar durchaus schwul sein, sie sind es aber nicht, weil sie dann eindeutig wären. Und damit (mindestens für Heteros) eindeutig uninteressant. Nur indem eben gerade ausdrücklich nichts zwischen Holmes und Watson läuft, könnte weiterhin eben doch etwas zwischen ihnen laufen und die Spannung bleibt aufrecht. (Zumindest in dieser ersten Folge.)

  13. Der Verlauf diese Debatte ist für mich sehr hilfreich, weil mir damit nach und nach klarwird, was ich eigentlich meine (+mit dem ersten Eintrag gemeint habe). Vito Russo hat in seinem legandären „Celluloid Closet“ aufgearbeiet, wo und wie im Hollywood Film schwule Anspielungen gemacht werden, mit oder ohne Wissen der Akteure („Dagen Sie bloß Charleton Heston nichts davon!). Mein Wort vom Musterbeispiel meinte nun, dass der Verdacht, der sich unweigerlich aufdrängt, in diesem Fall im Film selbst ausgesprochen und behandelt wird. Das ist doch ein Schritt weiter, oder? Denn Damit wird den Heterosexuellen die Möglichkeit geboten, ihre Kriterien für Homoverdacht abzugleichen. Damit es ihnen nicht so geht wie dem armen Lehrer Beck in Christine Wunnickes Erzählung „Orchideen“, der meint, man erkenne Schwule daran, dass sie Orchideen auf dem Klo stehen haben.

  14. Durchaus, durchaus: ein Schritt weiter. Oder eine weitere Drehung der Schraube? Das sich unweigerlich Aufdrängende und das Aussprechen- und Behandeln-Müssen hängen ja wohl zusammen, oder? Dass es unmöglich (geworden) ist, keinen Verdacht zu haben, ist gewiss ein Fortschritt, aber in welche Richtung?

    Und was genau meinst Du mit dem Abgleichen? Gibt es denn „richtige“ Kriterien (im Unterschied zum mutmaßlich falschen Kriterium „Knabenkraut im Klosett“), die auf eine „wahhre“ Identität schließen lassen, die dann womöglich nur noch gestanden werden muss? Wozu wollen Heteros denn überhaupt sowas wissen?

    Ich habe die übrigens Ben-Hur-Anekdote von Vito Russo (bzw. Gore Vidal) immer so verstanden, dass da Schwule Heteros verarschen. Und wenn’s bei „Sherlock“ umgekehrt wäre? Aber nein, das geht zu weit.

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