Wir arbeiten an einer Gesamtdarstellung des Dichterstreits zwischen Heinrich Heine und August von Platen. Dieses gegenseitige Abwatschens eines Schwulen und eines Ex-Juden ist auch für den heutigen Verkehr zwischen Heteros und Schwulen sehr aufschlussreich. Mich hat es dazu gebracht, „Die Bäder von Lucca“ noch einmal gründlich zu lesen, und ich muss sagen, ich bin ziemlich begeistert vom letzten Kapitel – wobei die ersten zehn sich leider wie Dieter Nuhr lesen (heißt der Dieter?). Aber das XI.! Ich stelle meine Lesart Heines hier einfach mal zur Diskussion. Mich hat er zu meiner eigenen Überraschung überzeugt. Los geht’s:
„Kein Seiltänzer in Europa balanciert so gut wie er auf schlaffen Ghaselen.“
Unter dem Vorwand der Reiseerzählung schreibt Heine das, was man heute von Stand-up-Comedians zu hören bekommt: ausgedachte Anekdoten über schräge Vögel. Ich-Erzähler ist der Dr. jur. Heinrich Heine, dem in den Bädern von Lucca der konvertierte Jude Markese von Gumpelino alias Gumpel begegnet, in Gesellschaft von dessen „Kammerdiener“ Hyazinth, der jedoch niemand anderes ist als der Altonaer Lotteriebetreiber und Hühneraugenschneider Hirsch. Heine zeichnet diese beiden jüdischen Figuren als wahre Knallchargen, die jedem Klischee entsprechen. Gumpelino will sich ebenso wie das Christentum nun auch klassische Bildung aneignen, kommt dabei aber über unverstandene Verdinglichungen nicht hinaus. In einer Nacht, in der ihn ein versehentlich eingenommenes Abführmittel daran hindert, mit der seit langem angebeteten Frau zu verkehren, liest Gumpelino die Gedichte des Grafen Platen, und auch am folgenden Tag ist er noch ganz begeistert davon. Soweit die Kapitel I bis X der „Bäder“; im XI. Kapitel stellt sich Heine dann endlich die Frage: „Wer ist denn der Graf Platen“, und nun wird er überwiegend ernst. Die direkte Auseinandersetzung mit den Dichtungen Platens wird durch verschiedene kleine Geplänkel vorbereitet, aber im Grunde sind die Judensatire der Kapitel I bis X und die Platenkritik des XI. Kapitels voneinander unabhängig. Die Judensatire gehört nur insofern zur Auseinandersetzung, als Heine Platens Antisemitismus aufgreift und literarisch aufhebt.
Den Rahmen der Platenkritik bildet die Zielsetzung, „einen neuen Narren auch für die Literatur brauchbar zu machen“, sprich: den sich selbst verkennenden Platen als komische Figur im Stil der Commedia dell’arte zu prägen. Damit bedient sich Heine des literarischen Auftretens Platens für einen literarischen Zweck. Nicht genug, Heine legt sich explizit fest: „…, ich werde das Materielle, das sogenannt Persönliche, nur insoweit berühren, als sich geistige Erscheinungen dadurch erklären lassen, …“ Daran hält er sich.
Heine behauptet, dass Platens erste Veröffentlichungen wenig Resonanz fanden, und er sich deshalb darauf verlegte, Satiren gegen andere Schriftsteller zu verfassen, was beim Publikum gut ankam. (Dieser Methode bedient sich Heine hier ebenfalls, schließlich markieren die „Bäder von Lucca“ trotz der Empörung über die Art seiner Kritik den Beginn seines Ruhmes.) Allerdings seien diese Satiren insofern wenig interessant, als er sich mit bereits hinlänglich kritisierten Personen befasste; soviel zum Theaterstück „Die verhängnisvolle Gabel“.
Der Anspruch des Grafen auf Dichterruhm stützt sich jedoch auf das dichterische Werk, dem Heine bescheinigt, unter größten Mühen erarbeitet zu sein – was er jedoch für einen ungeeigneten Weg erklärt, große Werke hervorzubringen: er selbst schreibe Gedichte vornehmlich in Verbindung mit gutem Essen. Platens Arbeitsweise bringe mit sich, dass er lediglich die äußeren Formen erfasst: „Ungleich dem wahren Dichter, ist die Sprache nie Meister geworden in ihm, er ist dagegen Meister geworden in der Sprache … Nie sind tiefe Naturlaute, wie wir sie im Volksliede, bei Kindern und anderen Dichtern finden, aus der Seele eines Platen hervorgebrochen …“
Bezüglich des Inhalts der Gedichte nimmt Heine Platen in Schutz. Er unterstellt, dass Platen ohnehin nie ausgelebt hat, wovon er schreibt, und ansonsten gilt: chacun à son goût. Anderen Kritiker wirft er vor: „Aber so sind die Menschen, es wird ihnen sehr leicht, in Eifer zu geraten, wenn sie über Sünden sprechen, die ihnen kein Vergnügen machen würden.“ Er selbst sieht „in seiner erlauchten Liebhaberei … nur die zaghaft verschämte Parodie eines antiken Übermuts.“ Allerdings dreht er dieses menschliche Mitgefühl sogleich in einen literarischen Kritikpunkt um: Verglichen mit Nero, der sich mit Pythagoras vermählt und anschließend Rom anzündet, sei Platen jemand, der „bei kümmerlichem Öllämpchen sein Ghaselchen ausseufzt.“ Außer Nero ruft Heine Petronius als Vergleichsgröße auf: dessen „schroffe, antike, plastisch heidnische Offenheit“ sei kraftvoll, Platen dagegen nur „romantisch, sehnsüchtig, pfäffisch, – ich muss hinzusetzen: heuchlerisch.“ Nota bene: der sehr betont heterosexuelle Dichter Heine wirft dem Kollegen Platen vor, als Schwuler nicht so frei und kraftvoll aufzutreten, wie andere vor ihm es bereits getan haben.
Nachdem er den Verdacht inhaltlicher Vorbehalte derart abgewehrt hat, kommt Heine auf den Vorwurf zurück. „der Graf Platen ist kein Dichter.“ Zunächst legt er seine Kriterien auf den Tisch: Dichtung müsse in der Lyrik über Naturlaute verfügen, in der Epik Gestalten hervorbringen. Und gleich nimmt er den schwulen Platen wieder in Schutz: „Der Mangel an Naturlauten in den Gedichten des Grafen rührt vielleicht daher, daß er in einer Zeit lebt, wo er seine wahren Gefühle nicht nennen darf, … Diese Angst läßt bei ihm keine eignen Naturlaute aufkommen, sie verdammt ihn, die Gefühle anderer Dichter, gleichsam als untadelhaften, vorgefundenen Stoff, metrisch zu bearbeiten, …“ Der Mangel an Gestalten ließe sich so jedoch nicht erklären.
Da Platen sich immer wieder selbst in seinen Gedichten als Dichterfürst stilisiert, setzt Heine sich abschließend mit diesem Selbstlob auseinander. Er bezeichnet es als ständiges Miteinander von „weinerlichste(r) Seelenerschlaffung und … erlogene(m) Übermut“. Im „König Ödipus“, einem Theaterstück, in dem Platen erneute Heine und Immermann angreift, zeige sich Platen „endlich ganz wie er ist, mit all seiner blühenden Welkheit, seinem Überfluss an Geistesmangel, seiner Einbildung ohne Einbildungskraft, …“, denn „der arme Graf konnte nur einige Äußerlichkeiten des Aristophanes nachahmen, nämlich die feinen Verse und die groben Worte.“
Schließlich kommt Heine darauf zu sprechen, wie er selbst dargestellt wird, als der „getaufte Heine“. Sofort verfällt er wieder in die jüdischen Klischees und entwirft ein kraftvolles antisemitisches Vorurteil, um dann zu erklären: „solche gute, ausgemalte Bilder stehen nicht im „König Ödipus“, und daß sie nicht darin stehen, das nur ist der Fehler, den ich tadle.“ Heine verkneift sich die Gönnerhaftigkeit nicht: „Es tut mir in der Seele weh, wenn ich sehe, wie der arme Graf jede Gelegenheit zu guten Witzen vorbeigehen lassen!“ Und warum überhaupt lasse er Ödipus nicht die Mutter töten und den Vater heiraten?
Nachdem Platen die Fehde mit der dummen Unterstellung begonnen hatte, auch ein getaufter Jude könne doch wohl kein zweiter Petrarca sein, beschreibt nun Heine, dass dem Grafen Platen ganz einfach die Kraft fehle, um geistreich, witzig und ein Dichter zu sein, ja sogar, um ein fröhlicher Schwuler zu sein. Heine bestreitet Platen jede Substanz, und dabei kann er auf homophobe Seitenhiebe ganz verzichten. Wenn er auf Platens Homosexualität eingeht, so deshalb, weil sie so jämmerlich ist. Heine will in Platen den Narrentypus des „Eingebildeten Dichters“ erschaffen – aus heutiger Sicht könnte man sagen, es sei ihm gelungen, allerdings wollten seine Zeitgenossen es nicht so sehen.
Der Versuch, Platen mit dem Argument zu verteidigen, er sei nun einmal der erste offen schwule Dichter der Moderne gewesen und habe es damit schwer gehabt, kommt nicht zum Zuge, weil Platen kein „schwuler Dichter“, sondern ein „Dichter“ zu sein reklamiert – damit setzt er sich objektiven Beurteilungen aus, und genau so beurteilt ihn Heine. Daran ist nicht das geringste auszusetzen. Befremdlich ist allerdings Heines Obsession, in Verbindung mit Platen und seiner Dichtung immer und immer wieder auf das Gesäß und auf Scheiße zu sprechen zu kommen – ganz so souverän, wie es sein „Chacun à son goût“ glauben machen will, ist er wohl nicht. Und etwas albern ist die Forderung, der Schwule müsse ebenso wie der Heterosexuelle das „ganze Geschlecht“ lieben, also jeden Mann, also auch Heine und Immermann. Da hätte er vielleicht erst einmal ein wenig nachdenken sollen.
Zeichnet sich da eine der weniger erfreulichen Veröffentlichungen des Männerschwarmverlags ab? Zwar ist die Platenfeindlichkeit und Heinebejubelung eine alte deutsche Tradition, dass aber ausgerechnet Sie, geschätzter Bartholomae, hier mit den abgenudeltsten Klischees hantieren, erstaunt mich dann doch. Der stilsichere Heine, der sich wacker gegen Antisemitismus zur Wehr setzt, einerseits, die unfähige Schrankschwuchtel Platen andererseits? Da könnte man noch einmal ein wenig nachdenken.
Wenn ich lese, wie da anachronistische Begriffe wie Homosexualität, Homophobie, Antisemitismus und schwul durch die Gegend fliegen, freue ich mich schon auf die angekündigte „Gesamtdarstellung des Dichterstreits“, die einen schönen Verriss erlauben wird. Auch weil das literaturwissenschaftliche Instrumentarium, das da andeutungsweise zum Einsatz kommt, mir ebenfalls nicht ganz ausgereift zu sein scheint. Was beispielsweise, wenn man fragen darf, meint die ominöse Formel „Inhalt der Gedichte“?
Ach ja, ach ja, Platen hatte in Deutschland noch nie eine Chance, denn in ein paar Versen von ihm ist mehr Poesie und Formkraft als in Heines Gesamtwerk. Das macht nicht populär. Heine hingegen, zu dem Karl Kraus eigentlich alles Nötige schon mal gesagt hat, ist (anachronistisch etikettiert) die Currywust der deutschen Literatur: vulgär, effektsicher und geschmackslos, also massentauglich.
Nachdem in den letzten Jahren einige Bücher zu Stefan George erschienen sind, die diesen und seine Texte vor allem von seiner „Homosexualität“ her deuten, kommt nun also wieder Platen an die Reihe. Man wird daraus womöglich nicht nur etwas über „den heutigen Verkehr zwischen Heteros und Schwulen“ lernen können, sondern auch über den von heutigen Schwulen und nichtheutigen „Schwulen“. Darauf freue ich mich. Gnaz ehrlich.
Übrigens: Da Platen vermutlich ein „toter Hund“ ist und nicht gelesen wird, seien alle Interessierten darauf verwiesen, dass viele seiner Texte im Internet frei zugänglich sind. Heine bekommt man sowieso überall.
@ Stefan Broniowski: Sie können mich duzen oder siezen, aber Nachnahme ohne „Herr“ geht nicht. Haben Sie Mitleid!
Ich lese Platen sehr gern und war im Heine-Streit gefühlsmäßig immer auf Platens Seite. Sobald am anfängt, die Dinge konkret zu rekonstruieren, ergibt sich für mich selbst überraschend ein anderes Bild. Was als Heine-Bashing begonnen wurde, verändert sich unter der Hand zunehmend ins Gegenteil.
Aus heutiger Sicht ist besonders interessant, dass niemand Harry Heine gegen Platens plumpen und unappetitlichen Antisemitismus in Schutz genommen hat, dass aber Heine selbst von anderen Juden wegen der Attacke gegen Platen angefeindet wurde: „sowas tut man nicht“. So würde heute kaum noch ein arroganter Schwuler von seiner heterosexuellen Mitwelt in Schutz genommen.
Der Text im Blog ist lediglich die Zusammenfassung der „Bäder“, ohne eine Erörterung der Position oder des Streits.
Entschuldigung, lieber Joachim, dann duze ich Dich, wenn ich darf, die laxe Redeweise (Kombination von Hamburger Sie und Münchner Du?) war nicht als Insult gedacht.
Die bloße Zusammenfassung der „Bäder“ ist, mit Verlaub, keine, sondern schon deren Deutung. Oder hat etwa Herr Heine den Ausdruck „Antisemitismus“ gebraucht? Kommt da etwa nicht ein interpretatorisches Moment hinein, das dem Ganzen einen politschen Effekt verleiht? (Zumal wenn der – ich wage zu sagen: angebliche – Antisemitismus dann als plump und unappetitlich näher gekennzeichnet wird, als ob es auch raffinierten und leckeren gäbe …)
Doch wie gesagt, ich bin auf die Gesamtdarstellung (oder weitere Postings hier) gespannt. Vielleicht trägt ja mein früher Warnruf zu besonderer Aufmerksamkeit bei Begriffswahl und Thesenbildung ein ganz kleines bisschen bei? Man hilft ja gern.
Lieber Stefan, der Blogeintrag sollte natürlich ein Versuchsballon sein, um zu sehen, wer sich in welcher Weise zu Wort meldet. Ich dachte, da käme vielleicht auch mehr, aber nun ja.
„Petrarca des Laubhüttenfests“ ist wohl „objektiv“ plump, weil Heine mit dem Laubhüttenfest nun wirlich nichts zu tun hat, und „seine Küsse sondern ab/ Knoblauchgeruch“ ist „objektiv“ unappetitlich und plump, aus demselben Grund. Mit Literatur hat beides zudem gar nichts zu tun. Zudem sind die Knoblauchverse auch noch schlecht. Und beide Sätze sind so gut wie alles, was Platen zu Heine, den er gar nicht kannte, jemals geschrieben hat.
Höre ich Widerspruch?
Gern, lieber Joachim, an Widerspruch soll es nicht fehlen! Zwar nicht dazu, dass Platens Wortwahl plump und unappetitlich ist, denn das ist ein Geschmacksurteil, über das man disputieren kann; ich finde es verständlich, auch wenn ich es so nicht teile. Aber Widerspruch oder zumindest Bedenkenanmeldung, ob die Charakterisierung als „antisemitisch“ wirklich angemessen ist. Ist der Begriff nicht etwas zu überdimensioniert für die zwei Sätze? Wird Platens Polemik damit nicht automatisch eingereiht in eine Linie, die zur Ermordung von Millionen Menschen führte? Passt das wirklich? Ich stelle da, meine Zweifel nicht verhehlend, ehrlich gemeinte Fragen, denn vielleicht überzeugt mich ja die Argumentation im größeren Zusammenhang der Gesamtdarstellung.
Den Versuchsballon habe ich durchaus als solchen erkannt, habe aus der Hüfte in seine Richtung etwas Pulver verschossen und freue mich nun auf die Beiträge anderer! Wo seid ihr, ihr Heinefreunde, Platenverächter, Heineignoranten und Platenadoranten?