Stephen Spender not available

Kurz vor seinem Tod veröffentlichte der britische Lyriker Stephen Spender einen Roman, den er als junger Mann geschrieben hatte, sein literarisches Debut: „The Temple“, der Roman erschien dann auch in deutscher Sprache unter dem Titel „Der Tempel“. Derzeit ist die Originalausgabe in den USA erhältlich, in England und in Deutschland nicht. Unsere Anfrage nach den deutschen Rechten wurde kommentarlos mit dem Satz beschieden, diese Rechte seien „not available“. Die betagte Witwe des verstorbenen Spender hat die Verwaltung der Rechte an eine Agentur übertragen (Ed Victor), die auch auf Nachfrage nicht näher erklärt, weshalb eine NA in Deutschland nicht erwünscht ist. Der Piper Verlag, der die deutsche Erstausgabe veröffentlicht hatte, erklärt dazu, dass sie ganz unmissverständlich erklärt haben, keine Neuausgabe bringen zu wollen, und dass sie damit die Rechte zurückgegeben haben. Die „Stephen Spender Foundation“, die sich parallel zur Agentur um Promotion für Spender kümmert, unterstützt unser Anliegen. Die Leiterin der Foundation erklärte sich sofort bereit, bei der Agentur nachzufragen, weshalb wir die Rechte nicht bekommen. Nach der Mitteilung, sich kümmern zu wollen, verstummte dann auch die Foundation, so dass sich der Eindruck einschleicht, dass ein düsteres Geheimnis über den deutschen Rechten des „Tempel“ liegt, ähnlich dem Bermuda-Dreieck, in dem ahnungslose Seefahrer auf Nimmerwiedersehen verschwinden.

Der Roman ist so etwas wie das Hamburger Pendant zu Isherwoods „Berlin Stories“: ein englischer Student, eindeutig das Alter Ego des Autors, kommt auf Einladung eines reichen Hamburger Kaufmannssohns in die Hansestadt und erlebt den Kontrast deutscher Jugendbewegung zur verklemmten britischen Muffigkeit. Allmählich kippt dann die Situation, und die Nazis treiben den jungen Leuten die Lebensfreude aus. In seinen Bezügen zu Körperlichkeit, Beziehungsformen und sexueller Orientierung ist „Der Tempel“ ein sehr originelles Stück Literatur, das man wirklich veröffentlichen sollte.

Ähnlich wie Isherwood in „Christopher and his Kind“ schrieb auch Spender nach dem Roman einen Tatsachenbericht über diesen Lebensabschnitt („World within world“), der vor einigen Jahren Gegenstand von rechtlichen Auseinandersetzungen wurde, als Spender den amerikanischen Autor David Leavitt beschuldigte, in seinem Roman „While England Sleeps“ umfangreiches Material aus „World within world“ gestohlen zu haben. Penguin GB stampfte Leavitts Roman daraufhin ein, später wurden Änderungen vorgenommen. In Deutschland verlor Leavitt deshalb (oder zumindest: zeitgleich) seinen Verlag Rowohlt und veröffentlichte dann ein wenig unter Niveau bei Bastei Lübbe.

„The Temple“ ist durchaus ein Schlüsselroman: der (schwule) Kaufmannssohn und Fotograf Herbert List ist in der Figur des Joachim mühelos zu erkennen, Isherwood und Auden treten kaum maskiert auf, und dann ist da noch der (schwule) jüdische Großkaufmann Stockmann. Kann es sein, dass hier jemand darauf aus ist, Spenders Indiskretionen zu unterdrücken? Weiß jemand, wer mit Stockmann gemeint ist?

4 Gedanken zu „Stephen Spender not available

  1. Gottfried Lorenz verdanke ich den Hinweis, es könne sich bei Stockmann um Emil Erwin Kugelmann handeln:

    Emil Erwin Kugelmann, geb. 9.9.1885 als zweites Kind von Ferdinand Kugelmann und dessen Frau Elena, geb. Hahn. Elena war 17 Jahre jünger als Ferdinand, sie heirateten 1881 in Paris.
    Die Familie lebte in einer Villa an der Außenalster, Alsterkamp 21 Ecke Harvestehuder Weg. Ferdinand K. war im Im- und Export zu einem großen Vermögen gekommen; der 1. WK brachte seine Überseegeschäfte weitgehend zum Erliegen. Er starb im Jahr 1915, und bei seiner Beerdigung war der Bürgermeister und Vertreter des Senats anwesend.
    Erwin war protestantisch getauft, wurde jedoch von den Behörden als „Halbjude“ eingestuft (Vater Jude, Mutter war Halbjüdin: jüd. Vater/ chr. Mutter). Er hatte drei Brüder und zwei (Zwillings-)Schwestern. Er arbeitete bei der Deutschen Bank, verlor diese Stellung jedoch aufgrund mehrfacher Verhaftungen und Gefängnisaufenthalte wegen „sittenwidrigen“ Verhaltens. In der Zeit vom 14.9.1936 und dem 20.6.1939 wurde er siebenmal teils verurteilt, teils im KZ Fuhlsbüttel in Schutzhaft genommen. Die Verhöre setzten ihm psychisch und physisch stark zu, zwei Tage nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis starb er am 22.6.1939. (nach: Hamburg auf anderen Wegen S. 51)

    Ein Robert Donald Kugelmann bewohnte 1939 eine Villa am Harvestehuder Weg 55 und wird als Millionär bezeichnet – ein Bruder Erwins? Er vergiftete sich nach Erhalt des Deportationsbefehls im Juli 1942 mit seiner Frau.

    Es sieht leider nicht so aus, als handele es sich um eine heute noch einflussreiche Familie.

  2. In „Der Tempel“ heißt die Figur Ernst Stockmann, das könnte passen, auch die Wohnlage (in etwa) und der Altersunterschied bei den Eltern. Der Vater im Roman lebt allerdings noch und Ernst ist erst 25!
    Wie stark das möglicherweise literarisiert ist, mag man aus dem Vergleich mit „Welt in der Welt“ ersehen. Das spielt die Familie nur ganz am Rande eine Rolle, ziemlich distanziert ist hier von „Dr. Jessel“ (kein Vorname) die Rede.

  3. Nachtrag zur Schlüsselromanentschlüsselung: In dem Geschichtswerk „Hamburg auf anderen Wegen“ wird auf S. 282 behauptet, Stockmann sei Erich Alport.

  4. Spannend, verschwörerisch, was da so durchklingt.

    Da wird man neugierig, wie die Sache schließlich weitergegangen ist. Denn das Buch ist mittlerweile neu erschienen.

    Wie hat sich die Sache freundlich aufgelöst?

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