Wir haben festgestellt: es gibt keine sachgerechte Literaturförderung in Deutschland, sei es nun Autorenförderung, Verlagsförderung oder Buchhandelsförderung. Andere Kunstgattungen funktionieren anders, Film und Theater ist komplett subventioniert, die Bildende Kunst ist ein rein kommerzielles Geschäft geworden: Künstler sind Investitionsobjekte, daneben gibt es einen selbstfinanzierten Kunstbetrieb, der an Selbstausbeutung jeden armen Poeten weit in den Schatten stellt – schließlich müssen Materialien und Ausstellungsräume finanziert werden und nicht nur die eigene Zeit. Ein Freund hat mir gesagt: „Ich kann jetzt gar nicht mehr ins Geschäft kommen, ich bin (mit 40) zu alt, insofern ist keine ausreichende Wertsteigerung meiner Arbeiten mehr zu erwarten.“ Falls es entwürdigende Rahmenbedingungen für Künstler gibt, dann sind sie hier.
Christine hat gefragt, Warum soll man vom Schreiben leben können? Ich gebe dazu meine eigene Lebensgeschichte als Beispiel: Vor 25 Jahren wurde ich Buchhändler und tat damit in fast jeder Hinsicht dasselbe, was ich vorher in der Alternativpolitik getan hatte: Inhalte ans Volk bringen, Veranstaltungen bewerben und durchführen, so etwas eben. Und der Witz war: ich konnte, wenn auch sehr bescheiden, davon leben. Ein Bewerber für eine freie Stelle bei uns formulierte den schönen Satz: Ich bin mehr wert, als ich hier verdienen kann. Da haben wir alle herzlich gelacht. Zurück zu den Autoren: sicher gibt es obsessive Persönlichkeiten, die nach einem Achtstundentag erst so richtig zur Hochform auflaufen, aber ehrlich gesagt wäre mir das heute in meinem gesegneten Alter nicht mehr möglich. Wie schön wäre es also, wenn man, jenseits von Marktwert und dergleichen Scheiß, die Zeit dazu hätte, etwas sinnvolles zu tun.
Wenn Detlef recht hat, und Schriftsteller schreiben, weil sie etwas zu sagen haben, dann könnten sie anschließend darüber nachdenken, wie sie dem Gesagten Nachdruck verleihen. Als ich in Studententagen ein Flugblatt geschrieben habe, habe ich es natürlich auch verteilt. Für das Verteilen von Büchern sind die Verlage zuständig, auf jeden Fall soweit, als dazu ein bestimmtes Know How erforderlich ist. Aber wer sagt denn, dass Autoren nicht dabei helfen dürfen? Niemand kennt das geistige Umfeld seines Werks so gut wie der Autor selbst. Ich vermute, dass derart aktive Autoren dem Verleger ganz schön auf die Nerven gehen können, insofern sage niemand, ich wolle es mir leicht machen.
Stefan Broniowski fragt zurück: Wie soll man bewirken, dass Nachfrage nach guten Büchern entsteht, und die einzige Antwort, die mir dazu einfällt, ist: indem man allen anderen „vormacht“, wie spannend es ist, sich mit englischer Barocklyrik, japanischem Schwertkampf oder einstürzenden Kellergewölben zu befassen. Diese Begeisterungsübertragung ist im deutschen Buchhandel in der Institution der Verlagsvertreter etabliert, und gerade diese Vermittlungsinstanz ist aus verschiedenen Gründen praktisch als Ganze den Umstrukturierungen des Markts zum Opfer gefallen. Wer heute reist, ist zumeist fest angestellt und singt das Lied des Brotherrn. Ich habe erlebt, wie spannend es sein kann, wenn der Lektor/ Verleger sein bestes gibt, um den Vertreter zu begeistern, wobei diese Begeisterung ausreichen musste, dass zunächst der Vertreter den Buchhändler, und dann der Buchhändler den Kunden begeistern konnte. Natürlich hat das fast niemals geklappt, aber doch von Zeit zu Zeit. Einmal haben wir erlebt, wie eine Taschenbuchlizenz, die wir vergeben haben, sehr erfolgreich wurde. In diesem Fall war die TB-Lektorin von sich aus auf uns zugekommen, sie war begeistert und hat ihre Vertreter damit angesteckt. Da Taschenbücher im Buchhandel in etwa so gehandhabt werden wie das Gewürzregal im Supermarkt, war das ein völlig unwahrscheinliches Ereignis. Dieser Weg ist jetzt so gut wie verschüttet, weshalb man andere Möglichkeiten der Begeisterungsübertragung finden muss. Das ist eine überaus kreative Herausforderung. Es geht darum, die Auseinandersetzung mit Literatur als Kunstform wieder ins Leben hineinzutragen und das Feld nicht den Potters und Meyers zu überlassen. Finde ich.
Aus der Perspektive eines Autors stellt sich die Sache so da: Ein Buch zu schreiben ist in der Regel ökonomischer Selbstmord. Wenn die Kreativität ganz in den Freizeitbereich gedrängt wird, braucht man sich nicht wundern, wenn erstens die entstehenden Werke zu langsam produziert werden (als daß ein Verlag den Autorennamen richtig vermarkten könnte, was wiederum die Basis zu Verbesserung des Status / der Verkäuflichkeit des Autors wäre -> Teufelskreis), und wenn andererseits Werke, die auf größeren Buchmärkten (z. B. dem englischsprachigen) schon vorhanden sind, gezielt für den deutschen Buchmarkt adaptiert werden und diese somit übermächtige Konkurrenz die deutschsprachigen Autoren (bzw. deren wirtschaftliche Interessen) geradezu erschlägt.
Enthusiasmus, ja, den braucht man schon allein, um den eigenen kreativitätsmotivierten Suizid überleben zu können. Im übrigen sind Autoren häufig nicht unbedingt die großen Vermarktungskünstler (alle Ausnahmen zugestanden). Das Talent (und der Arbeitswille), das man braucht, um schöpferisch tätig zu sein, ist ein anderes als das der Vermarktung, und Charisma wird durch jahrelange Wortfeilerei im stillen Kämmerlein nicht unbedingt gefördert.
Auf der anderen Seite sollten die Kreativen sich ja auch, ist das Werk dann vollbracht, schnell an das nächste Werk machen. Keine Zeit verlieren. Aus der Autorenperspektive wendet man sich gerade deshalb an Agenten bzw. Verlage, damit die die Vermarktung übernehmen. Die Vermarktung den Profis zu überlassen – was liegt näher! Denn dies neben der Brotarbeit und dem Schaffen selbst noch zu übernehmen wird sehr, sehr leicht zur Überforderung. Würde diese Arbeit von den Verlagen an die Autoren zurücküberwiesen, dann wäre ein Verlag für Autoren nichts anderes als eine „Book on Demand“-Druckerei. Mit den entsprechenden Folgen, nicht nur für das Verlagswesen, sondern auch den Buchhandel usw. usf. Aber, Joachim, soweit kenne ich Dich schon, daß ich weiß, daß Du diesen Gedanken nicht so weit treiben willst, wie ich ihn gedreht habe, um ihn ordentlich abschmettern zu können.
Also: Als Autor habe ich die Möglichkeit, den Verleger zu überzeugen, daß er mein Buch druckt. Ich kann, sofern ich Beziehungen oder die Zeit habe, mich da ganz gut reinzuhängen, evtl. hier und da eine Lesung organisieren. Und das ist es eigentlich schon … Anzeigengestaltung etc. sollte man nun wirklich den Verlagen überlassen (Fachwissen! Kosten-Nutzen-Relation!), und Rezensionen zu bewirken, das kann ein Autor wohl auch nur über im Glücksfalle vorhandene Beziehungen. Mehr fällt mir jetzt gar nicht ein … gibt es noch mehr?
Nun, kurz gesagt: den Markt am Leben zu erhalten braucht die Hilfe derjenigen, die den „Content“ schaffen. z.B. hat in Hamburg der Autorenverbund „Machtclub“ erfolgreich daraufhin gearbeitet, ein Publikum für seine Art von Literatur zu finden. Diese sinnliche Überzeugungskraft haben die Kreativen, nicht die Vermarkter.
Gut. Dabei kann man jetzt entweder stehen bleiben – und wieder an die Arbeit gehen (sei´s Brot-, sei´s künstlerische Arbeit). Oder man versucht etwas zu tun. Soweit es speziell um „homosexuelle“ Literatur geht, um schwullesbische AutorInnen (die Definition wieder einmal beiseitegelassen, um das Thema nicht zu überfrachten), hätten wir hier sofort das alte Problem.
Ich glaube nicht, daß es in Berlin eine größere Schwierigkeit wäre, eine weitere Literaturbühne zu organisieren. Ich glaube aber, daß es sehr schwierig wäre, eine schwullesbische Literaturbühne zu etablieren. Einerseits wäre die Interessentenkreis klein, andererseits wäre der Autorenkreis noch kleiner – da weichen sie nämlich in die innere Emigration aus, unsere schreibkundigen Schwulen und Lesben, und zwar grade die besseren und klügeren: Der Buchmarkt etikettiert unbarmherzig, und ein einmal erworbenes Etikett wird man nicht mehr los. Das Wapperl „schwul“/“lesbisch“ schadet dem Marktwert dauerhaft. Ich kenne auch AutorInnen, die mir gesagt haben, daß sie unter einem solchen Wort schon deshalb nicht auftreten wollen würden, weil sie als Autorinnen/Autoren wahrgenommen werden wollen, nicht als lesbisch/schwul, weil sie nach dem Wert ihrer Arbeit gemessen werden wollen. Haben sie nicht recht?
Außerdem wäre eine schwullesbische Lesebühne – da sie die Grenzen zementiert, nicht auflöst – von vornherein kontraproduktiv.
– Dies so in den luftleeren Raum hinein geschrieben. –
Wir bemühen uns in dem zu diesem Zweck gegründeten Verein „Qultur e.V.“ darum, in Berlin ein Literaturfestival zu veranstalten, um dem allgemeinen Publikum vorzuführen, welchen Beitrag Literatur aus schwuler Perspektive zur Literatur als Ganzer leistet. Vielleicht klappt es mit dem nächsten Förderantrag, dann würde das Festival in 2012 stattfinden. Das größte Problem liegt bereits im Vorfeld: Kollege Jim Baker erklärt, dass ihn ein allgemeines Publikum nicht interessiert, sondern dass er sich an schwule und lesbische LeserInnen richtet. Damit spiegelt er wieder, was Heteros ohnehin von der Produktion schwuler Verlage halten. Unsere Position, dass wir zwar aus der Nische, aber in die große Welt hinein veröffentlichen, und zwar nur solche Bücher, die grundsätzlich für jeden kultivierten Menschen von Interesse sind, wird beharrlich nicht wahrgenommen. Selbst wenn wir das Geld kriegen, stellt sich sehr die Frage, ob wir damit aus dem Getto heraus kommen werden.
Will sagen: wer braucht eine schwule Lesebühne? Schwule Autoren sollten sich in bestehende literarische Zusammenhänge integrieren und dort zeigen, was sie anders machen. Beispiel Joachim Helfer, dessen Bekanntheit sehr viel stärker aus seiner „Gschaftlhuberei“ als von seinen wenigen Veröffentlichungen resultiert. Er ist mit seinem Charme den verschiedensten Einrichtungen auf die Pelle gerückt, hat moderiert und dergleichen, und das unbeschadet der Tatsache, dass seine Bücher stets zu einhundert Prozent in schwulen Zusammenhängen spielen. Von nix kommt nix!
Endlich ein argumentativer Kern: Von nix kommt nix! Das muss ich mir merken.
Der Kern nützt allerdings nur demjenigen etwas, der weiß, was was ist 😉
In München läuft zur Zeit das ‚Literaturfest‘ mit Bücherschau und Interviews mit Autoren. Neben den großen Verlagen sind auch kleine dabei, von denen wohl nur Fachleute gehört haben. Es gibt auch Gemeinschaftsstände und leere Stände. Schwule Verlage habe ich nicht gesehen. Ich denke, es wäre eine schöne Gelegenheit, sich – vielleicht ebenfalls mit einem Gemeinschaftsstand – auch nicht-schwulen Lesern zu präsentieren, die möglicherweise noch gar nicht wissen, daß es diese Verlage gibt, bzw. die Literatur, die sie vertreten. Es müssen ja nicht unbedingt Pornos oder Aktbildbände sein (obwohl auch ein opulenter Mapplethorpe ausliegt).
Aber nichts ist. Dann darf man sich auf Verleger-/Autorenseite aber auch nicht beklagen, daß man a) nicht aus der Nische herauskommt und b) zu wenig Bücher verkauft.
George
@ George: Putzig, wieso denkst Du bei Büchern aus schwulen Verlagen gleich an Pornos und Aktfotografie? Es sind zum guten Teil solche Vorurteile, die uns zu schaffen machen. Unter den inzwischen 300 Büchern unseres Verlags sind gerade mal elf Pornos, das spielt also ohnehin keine Rolle.
Unser Verlag war fast zwanzig Jahre lang auf der Frankfurter Buchmesse vertreten. Dass wir nun nicht mehr hinfahren liegt daran, dass die Scheuklappen des Publikums immer größer geworden sind. Es ist ziemlich zermürbend zu sehen, wie hunderte und tausende von Menschen vorbeigehen und mit einem „ach, schwul“ ruckartig den Kopf zur anderen Seite drehen. Dass wir IN DIESEM JAHR nicht auf dem Münchner Lesefest sind heißt mit Sicherheit nicht, dass wir es nicht versucht haben, auf solchen Events Präsenz zu zeigen. Also bitte etwas Vorsicht mit schnellen Schlussfolgerungen! Nur Idioten laufen immer wieder vor dieselbe Wand, wir sind alt genug, um als Fehlern oder Misserfolgen zu lernen.
Ralf König wird heute Abend in München in einer Talkrunde mit Christoph Süß zu sehen und hören sein. Ralf zeichnet und veröffentlicht seit dreißig Jahren, und er wird eingeladen, nachdem er drei Bücher über gänzlich Unschwules, nämlich über Figuren der christlichen Mythologie veröffentlicht hat. Wer das für einen Zufall hält, müsste schon recht naiv sein. Und genau darauf kommt es an: in diese Veranstaltungsprogramme aufgenommen zu werden. Daran beißen wir uns derzeit leider immer noch die Zähne aus. Ob wir mit einem Stand vertreten sind wäre von gleicher Wichtigkeit wie der sprichwörtliche Sack Reis in China, der umfällt oder nicht.