Die Erzählung um einen Jungen im Alter zwischen dreizehn und sechzehn Jahren gibt ganz unverkrampft Auskunft über arabische Emotionalitäten, deshalb sind ihr viele Leser zu wünschen.
Alles beginnt mit einem nahezu kontextfreien Verständnis von Glück, wie er im christlichen Abendland vor schon sehr langer Zeit einmal existiert hat. Wenn so charmant erzählt wird, solange man glücklich sei, brauche man eigentlich gar nichts anderes, denkt der Leser zuerst, hä? Und wozu dann der „persuit of happiness“, um mit der amerikanischen Verfassung zu reden? (Oder: „O Lord, won’t you buy me a Mercedes Benz“ – um mit Janis Joplin zu reden?) Dieser Junge denkt sogar darüber nach, sein Glück lieber nicht so sehr zu zeigen, um die Kumpels nicht zu ärgern. Er hat einen Vater, der ihn liebt, eine Amme, die ihn liebt, und eine Mutter im Himmel, die bei der Geburt seines kleinen Bruders gestorben ist, weshalb er wieder und wieder mit Kissen und Jodtinktur (wegen der roten Farbe) Gebären spielt, und zwar im jetzt ungenutzten ehemaligen Elternschlafzimmer vor dem großen Spiegel.
Keine Mutter, aber eine „Lalla“, was so etwas wie Prinzessin bedeutet und hier konkret ein betagtes Kindermädchen meint. Die Lalla hat früher bei einer französischen Familie gearbeitet und bewahrt weiterhin als kleinen Schatz das Foto ihres Schützlings Noé auf, das sie unserem Helden öfters zeigt. Der lässt sich heimlich davon einen Abzug machen, denn dieser etwas ältere Junge verkörpert alles, was er sich für sein zukünftiges Leben wünscht: die europäische Lebensweise. Die kennt er sonst nur vom Fernsehgucken im Schaufenster des Hitachi-Geschäfts, und ihr Höhepunkt besteht darin, dass kleine Jungs zum Frühstück heiße Schokolade statt Tee bekommen. Ein halbherziger Versuch, diese Sitte auch in seiner Familie einzuführen, scheitert sofort. Und wenn er schon keine Schokolade bekommt, dann will er eben Noé, daraus entwickelt sich eine regelrechte Besessenheit. Durch eine kleine Mogelei schafft er es schließlich, die französische Familie och einmal herbeizulocken und den weißen Jungen kennen zu lernen.
Vorher hat er eine weniger aus Hirngespinsten bestehende Freundschaft mit dem Jungen Youssr geschlossen, einem Waisen, der sein Geld als Fremdenführer für Touristen verdient. Die beiden verbringen viel Zeit zusammen und beteuern sich regelmäßig ihre Liebe – allerdings beteuern sie ebenso inständig, dass diese Liebe ganz bestimmt nichts mit Sex zu tun habe. Ein solches Ausmaß zielgehemmter Erotik habe ich zuletzt in Bodo Kirchhoffs „Eros und Asche“ gefunden, es ist immer wieder ein reichlich klägliches Erlebnis. Man darf vermuten, dass der Erzähler sich von Noé wie von Youssr etwas mehr wünscht, als die zu geben bereit sind, und das ist nicht unbedingt Schokolade. Rachid O. kann nicht wissen, dass im fernen Deutschland darüber ein toller Schlager gesungen wird.
Hallo!
Das klingt gut. Wie lautet die ISBN und wie viel kostet es?
einfach bei gaybooks.de bestellen – kostet 9,90
Auf http://www.berlinerliteraturkritik.de/detailseite/artikel/coming-out-roman-heisse-schokolade.html schreibt Angelo Algeri: „In Deutschland ist „Heiße Schokolade“ beim kleinen Verlag Bücken-Sulzer erschienen. (…) Mit Bewunderung und Anerkennung auf der einen Seite, dass dieser Verlag ein schwules Buch herausbringt, bin ich auf der anderen Seite (mal wieder) erstaunt darüber, dass schwule Literatur aus dem Ausland nicht von den hiesigen homosexuellen Verlagen, insbesondere Männerschwarm und Querverlag, angenommen wird. Am Preis für die Lizenz kann es bei diesem Buch wohl nicht gelegen haben – wenn ein kleiner Verlag aus dem Bergischen Land es sich leisten kann …“
Originell. Es beschwert sich jemand, dass ein schwuler Roman ausnahmsweise mal nicht in einem einschlägigen Verlag erscheint. Früher hätte man das vielleicht als Zeichen gesellschaftlichen Fortschritts gedeutet. Heute ist es aber wohl längst selbstverständlich, dass Schwules gefällligst nur dort vorkommt, wo man es im Auge behalten kann.
Ingesamt aber ist Algeris Besprechung rührend. Besonders die Stelle am Schluss, wo er noch mehr Bücher arabischer schwuler Autoren – „auch in Deutschland lebender“ – einfordert. Putzig.
Rachid O. ist in Frankreich bei Gallimard erschienen, was in etwa Suhrkamp entspricht, in Anbetracht dessen ist ein Verlag für Regionalia des Bergischen Landes schon putzig, und leider muss man annehmen, dass das Buch dort ganz einfach „beerdigt“ ist. Die Übersetzung ist okay, aber die Aufmachung erinnert an Books on demand, und niemand erfährt davon.
Wirklich ärgerlich ist, dass der wegen offen schwuler Stoffe so hochgelobte Autor Taia sich weigert, von schwulen Verlagen veröffentlicht zu werden, und sich in Deutschland natürlich kein Mainstreamverlag dazu bereit findet. Taias Verlag Seuil reagiert einfach nicht auf unsere Anfragen nach den Rechten, das habe ich überhaupt noch nie erlebt und kann es mir nur erklären, weil Taia sich öffentlich von schwulen Verlagen distanziert.