Endlich sagt mal jemand etwas Kluges zur Schublade „Homosexuellen-Literatur“!
„Ist das jetzt ein Buch, was in die typische Homoexuellen-Literatur reingehört?“, fragt der Moderator von NDR Kultur die Kritikerin Annemarie Stoltenberg im Gespräch über Odd Klippenvags Roman „Der Stand der Dinge“. Annemarie Stoltenberg darauf:
„Das finde ich nicht. Im Prinzip ist das einfach eine Liebesgeschichte, wo die beiden Helden Männer sind. Aber es wird schon auch darüber gesprochen, wie schwierig das war, sich dazu zu bekennen, es den Eltern zu sagen. Dann, als Simon, der Ältere, sich verliebt hat in den wesentlich jüngeren Annar, auch dessen Eltern das zu sagen, dass er mit einem Mann zusammen leben wird, dass er keine Familie gründen wird, dass diese Eltern dann keine Enkelkinder bekommen werden. Dass ist aber das Thema: Wie schaffe ich es, ich selber zu sein? Wie kann ich wahrhaftig mit mir selber und mit meinen Mitmenschen umgehen? Und ich glaube, das geht doch jeden etwas an. Also ich finde nicht, dass es so in die Schublade Homosexuellen-Literatur gehört, sondern das ist einfach ein schön geschriebenes Buch, in dem man sich mit dem Alter beschäftigt, ohne dass es einen bedrückt. Das ist der große Vorzug dieses Buchs.“
Die Baseler Zeitung bezeichnet Odd Klippenvags Roman „Der Stand der Dinge“ als „Homosexuellen-Roman über das Altern“. Altern Homosexuelle anders? Das wäre ja festzustellen, und Sabine Peters, die Rezensentin kommt zu einem ähnlichen Schluss wie Annemarie Stoltenberg:
Dieser Autor behandelt nicht nur das aktuelle Thema des Alterns – sein Buch ist Literatur im emphatischen Sinn. Die Sätze kommen leise und unprätentiös daher: Eine klaglose, zarte und klare Sprachmelodie, die das schöne Lieben und das schwere Altern als Bestandteile des ganzen Lebens würdigt.
Ja klar, wir nennen uns salopp einen „schwulen“ Verlag und machen, salopp gesagt, „schwule“ Bücher. Wir betonen aber auch immer wieder, dass wir Bücher für Leserinnen und Leser machen, nicht für Schwule, und dass amerikanische Literatur nicht nur von Amerikanern gelesen wird, sondern auch von Deutschen, als Krimi, als Gesellschaftsroman, aber nicht als „Amerikaner-Literatur“. Jetzt also einen Roman über das Altern und die Liebe im Alter.
Wir haben Klippenvags Roman für die Hotlist der Independent-Verlage nominiert.
Jede Stimme zählt.
Hier gehts zur Abstimmung: www.freitag.de/hotlist 2010.
Klippernvag findet sich ganz unten in der Rubrik „Internationale Belletristik“.
Mir fällt dazu sofort wieder Verena Auffermann ein, die über Joachim Helfer schrieb, bei ihm gebe es keine „Ausschweifungen ins Homosexuelle“. Und in dem schönen Roman „Frühstück mit Scot“, der morgen in den Druck geht, legt ein Vater dem 4-jährigen Sohn (!) den Handrücken auf die Stirn, nachdem ein anderer Junge mit ihm Cheerleader gespielt hat – „wahrscheinlich, um seinen Testosteronspiegel zu testen“, kommentiert der Erzähler. Ich glaube, manche Leser denken, man könne sich bei Schwulen anstecken, und brauchen deshalb vorab die Versicherung, „Nein nein, das gehört nicht in die Schublade“. In eine Schublade, die sie selbst erfunden haben. Stöhn.
Natürlich gibt es kein Schwulenliteratur. Und natürlich gibt es das. Hat ja zu tun mit was man damit meint. Wie ihr schreibt: MS verkauft Bücher mit irgendwelchem Schwulentema. Gleichzeitig sind natürlich fast jedes Buch so indivuell daß man auch sagen kann, daß es über Gefühle und so weiter geht, die wichtiger als die Sexuelle Orientierung der Romanfiguren sind. Besonders Autoren sagen immer das, weil offensichtlich niemand „nur“ ein Schwulenbuch schreiben will. Kann man auch schon verstehen. Gleichzeitig funktioniert Schwulenliteratur als eine Arte kategorisieren. Wie gesagt. Also kann ein Buch Schwulenliteratur und nicht Schwulenliteratur gleichzeitig sein.
Wichtig ist immer noch, nicht schwul zu sein, als etwas über Schwule oder Sex zwischen Männern zu erfahren. Die Liebe gibt es seit Gilgamesch und Enkidu, nur die Sexualität darf es immer noch nicht geben. Obwohl anzunehmen ist, dass mehr Sexualität zwischen Männern „passiert“ als zwischen Schwulen überhaupt!