„Die Welt†überschrieb ihre Rezension des Romans mit „Der Tag des glücklichen Singleâ€. Denn worum geht’s? Der Brite George verlebt einen ganz normalen Tag, amüsiert sich beim Lesen auf dem Klo über einen toten Philosophen, gibt sich beim Frühstück in Gedanken der Verachtung für seine heterosexuellen Nachbarn hin, denkt sich auf dem Weg zur Arbeit originelle Strafen für dumme Politiker aus, und angekommen in der Uni analysiert er die angepasste Langeweile der jungen Generation. Er macht sich über Kollegen lustig, ist im Seminar streitlustig und hält in der Kantine beim Mittagessen eine große Rede zur Verteidigung der Amerikaner gegen die dekadenten Europäer. Er besucht eine sterbende Freundin im Krankenhaus und später eine nostalgisch-selbstmitleidige Freundin zum Abendessen, kann den Tag dann immer noch nicht beenden und trifft so auf einen Studenten, der sexuell mit seiner Freundin nicht so richtig klar kommt, was Anfang der 60er Jahre hieß: er will, sie nicht. George hält die zweite Rede dieses Tages, er versucht, dem Jungen zu erklären, dass er sein Leben gefälligst leben soll, anstatt sich mit Ersatzstoffen zufrieden zu geben. Er bietet ihm sogar sein Haus für Sex mit Mädchen an. Falls in dieser Situation geflirtet wird, dann vielleicht unbewusst von Seiten des Studenten; für George ist dieses unfertige Kind ein Erziehungsobjekt, kein potenzieller Liebhaber.
Ist irgend etwas von all dem in Tom Fords Film wiederzuerkennen? Ich denke nicht. Wer weiß, welche Midlife-Krise der Produzent&Regisseur gerade durchmacht, aber es ist einfach frech, diesen selbstbewussten, sogar überheblichen und selbstgerechten George in ein solches Meer von Tränen zu tauchen. Verdammt noch mal, an Filmen über unglückliche Homosexuelle besteht nun wirklich gar kein Bedarf – hier bestand die Möglichkeit, das Gegenteil zu zeigen, einen lebensklugen Mann Ende Fünfzig, der die Trauer über den Tod seines Freunds nicht verdrängt, sondern in sein Leben zu integrieren in der Lage ist. Stattdessen inszeniert Ford einen verklemmten überkorrekten Lebensmüden, der kleine Studenten anhimmelt, und um das Fass zum überlaufen zu bringen ertönt bei dessen Selbstmordvorbereitung auch noch „Ebben alla montagna“ aus La Wally – da bekommt man wahrhaftig Mordgedanken!
Colin Friths Darstellung immerhin ist so stimmig, dass sie sich fast gegen das blödsinnige Drehbuch aufzulehnen scheint: in diesem Lächeln, dieser Art zu reden steckt viel zu viel Klugheit für ein so abgeschmacktes Schicksal. Und Frau Moore begeistert durch eine wundervolle alte Schlampe auf dem mühevollen Weg, abends wieder halbwegs präsentabel zu wirken, dafür verdient sie alle Achtung, und auch derjenige, der hier ein kleines Meisterstück an Personenregie vorgelegt hat. Ein echter Trost, der den Abend aber nicht retten kann. Eine Schande für Don Bachardy, eine solche Verballhornung zugelassen zu haben – hoffen wir, dass es immerhin echte Geldnot war, die ihn zu diesem Schritt getrieben hat! Pfui!
Je reicher die Leute, desto mehr Zaster brauchen sie zum blanken Überleben, das ist bekannt, doch ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Herr Bachardy Pleite sein könnte. Was ich mir aber durchaus vorstellen kann, ist, dass es einem derart kalifornischen Menschen vollkommen gleichgültig ist, wie man ein Buch verfilmt. Diejenigen, die das unbedingt im Kino sehen wollen – wird er sich sagen – werden sich schon ihren Reim drauf machen, und wenn nicht, dann kann man ihnen auch nicht helfen. Wer sich über so etwas groß den Kopf zerbricht, der hält es wohl kaum über Jahrzehnte in Santa Monica aus. Wenn der Westküstenamerikaner uns gründliche Europäer eines lehren kann, dann dieses: dass „gesellschaftlicher Fortschritt“, Beach volley und massive Wurschtigkeit und doch auch irgendwie zusammenhängen.
Ich habe Joachims Text einem renommierten schweizer Filmkritiker zukommen lassen. Hier seine Antwort
„Sehr geehrter Herr Thommen,
Danke für den Hinweis. Ich habe die Kritik gelesen und wie so oft gestaunt, über den so unterschiedlichen Zugang der Menschen zu einem einzigen Film. Ich kann nicht alles völlig nachvollziehen, aber was wohl zu bedenken bleibt, ist die Ansiedlung des Stoffes nicht in der Gegenwart, sondern in einer ganz klar noch engstirnigeren, verkapselteren Welt. Ich denke, da hat Tom Ford mit dem Setting sehr bewusst einen Griff in die Vergangenheit getan, um allenfalls ein zusätzliches Licht auf die Gegenwart zu werfen – ein Verfahren, das im Kino meist recht gut funktioniert.
Mit freundlichen Grüssen, Michael Sennhauser
Herr Sennhauser hat nicht verstanden: Bereits Isherwoods Roman spielt in einer Welt, wie er sie in seiner Antwort charakterisiert. Umso wichtiger ist die Art und Weise, wie der Autor seinen Helden in dieser Welt agieren lässt. Und diese Weise ist der Inszenierung durch Tom Ford diametral entgegengesetzt. Die Wahl der 60er Jahre ist keinesfalls ein Kunstgriff von Tom Ford, wie mag er nur darauf kommen? Lesen Filmkritiker keine Bücher? Auch nicht bei Buchverfilmungen?
Der Weg von Nordwestengland nach Kalifornien ist sicherlich ein anderer als der von Texas.
Isherwood lebte über Jahrzehnte bei Hollywood. Er zog ganz freiwillig hin, während Auden beispielsweise an der Ostküste blieb. Im Gegensatz zu Auden war Isherwood, so scheint es mir zumindest, privat recht glücklich in der Liebe; er blieb durch und durch Engländer und nahm seine Wahlheimat für nicht mehr als das, was sie ist. Die Menschen in und um Hollywood, im Großraum Los Angeles – sein Roman spielt ja auch dort – waren sicherlich niemals so engstirnig und verkapselt, wie ein renommierter schweizer Filmkritiker sich das vorstellen mag, man kann in diesen Gefilden schöne Bücher schreiben und es sich, speziell mit etwas Finanzkraft, ziemlich gut gehen lassen; es wird dort allerdings auch besonders viel Unterhaltungsware für ein engstirniges und verkapseltes Publikum hergestellt, denn es war ja schon immer die Provinz, die über den finanziellen Erfolg eines für die Massen konzipierten Produkts bestimmt. Ich vermute, dieser Film da möchte eben auch einen gewissen Einspielerfolg haben. Ein Schweizer denkt sicherlich häufig sehr viel freier als er bei sich leben darf, in Südkalifornien hat man aber schon immer um einiges freier leben dürfen als man dem Rest der Welt mitteilen wollte. War man im Filmgeschäft tätig, hat man den Zuschauern stets weismachen wollen, es ginge dort im Grunde doch genauso moralisch wie in Hintertupfing zu; man müsse sich nur anschauen, zu was entfesseltes Startum letztendlich führt: ein Drama nach dem anderen! Das alles so verlogen wie die Tränen des Tiger Woods. Wohl deshalb sind Hollywoodproduktionen gemeinhin so enttäuschend.
Wer 160 mehr oder weniger renommierte Kritiken (bzw. Verrisse) auf einen Schlag möchte, findet sie bei den Rotten Tomatoes.
Sehr schön, das Liverpool Echo:
„Crafted with the same attention to detail that Ford brings to his menswear collections“
Oder die Village Voice, Scott Foundas: „turning George from a mild depressive into a full-blown suicide case“ […] „One can think of any number of actual porn films with a less obvious touch and more genuine feeling.“