„Etwas Kleines gut versiegeln“, das ist ein wundervoller Titel, und wer dadurch neugierig wird, bekommt einen wahrhaft kulinarischen Text geboten. Protagonistin Lisa reist nach Australien und führt in eine schräge Welt, wo geschlechtliche Eindeutigkeiten mehr oder weniger leichtfüßig überwunden werden. Sie wohnt beim Ex ihres schwulen Bruders und kriegt Bens haarige Beine nicht aus dem Kopf, wie sie unter seinem Fummel hervorkommen. Die Handlung im Einzelnen nachzuerzählen würde ein Weilchen dauern und zudem nicht viel nützen, hier geht es um Lebensgefühle, um kleine, eigene Welten, und natürlich stets um Lisas Art, auf die Welt um sie herum zu blicken. Man kann also sagen: Prima, solche Bücher brauchen wir, davon sollte es viel mehr geben. Ja und nein.
Svealena Kutschke wurde von der Jürgen Ponto Stiftung gefördert (ein nützliches Überbleibsel der Dresdner Bank …) und gewann den Open Mike Wettbewerb der Literaturwerkstatt Berlin; so wird der Wallstein Verlag auf sie aufmerksam geworden sein. Auch das ist prima, weil es den Glauben bestärkt, dass gute Autoren und Autorinnen sich schon durchsetzen werden. Svealena Kutschke hat sich durchgesetzt und wird sicher noch manche schöne Bücher schreiben, doch in jungen Jahren derart auf sich aufmerksam zu machen hat die eine oder andere Voraussetzung. Hier ist es sicher die liebevoll-schräge Geschichte, die auf nette Art ins Prickelnd-Fremde führt, ohne den Leser dabei zu beunruhigen oder zu attackieren, und auf jeden Fall ist es die schon erwähnte kulinarische Qualität des Texts selbst.
„Schon jetzt fühlte ich mich in Nicks Gegenwart wie ein Schmetterlingssammler, der mit ausgefeilten Netzschwüngen einer seltenen Art hinterherlief.“ Mit solchen Sätzen gewinnt man Wettbewerbe und bezirzt den Rezensenten, weil sie fast von selbst ein Oups im Kopf des Lesers hervorrufen. Aber was trägt ein solcher Satz zum Verständnis der Situation bei? Mir scheint, als verwende die Autorin die Ursuppe ihres Plots als Reservoir und Triebkraft zugleich, mit deren Hilfe sie einen Oups-Satz nach dem anderen hervorbringt – doch leider entschweben diese Sätze sofort in höhere Sphären, anstatt sich bei der Ursuppe für die Abstammung zu bedanken und das Licht des besseren Verständnisses auf sie zu werfen. Und hier sieht man am lebenden Objekt, zu welchen Sätzen die Lektüre des „gut Versiegelten“ den Rezensenten treibt!
Also lassen wir die blubbernde Ursuppe lieber beiseite und versuchen es mit einer anderen Metapher, die schließlich bereits in der Überschrift angekündigt wird: dem Regietheater. Als altmodischer Theatergänger bekommt man heute zumeist dem Eindruck, dass die Regisseure dem Stück, das sie auf die Bühne bringen sollen, nicht viel zutrauen. „Kleist? Du meine Güte, was stelle mich damit nur an, damit es ankommt.“ Und dann stellen sie etwas damit an und ich gehe verärgert nach Hause, weil ich gern Kleist gesehen hätte. Mag es sein, dass Svealena Kutschke dem gleichen Irrtum erlegen ist und sich gedacht hat, hm, eine Reise nach Australien, schräge Gender-Bender, das druckt bestimmt kein Schwein? Wir wollen ihr bestimmt nicht vorwerfen, dass sie nach dem Läppchen greift und ihre Sätze schön aufpoliert – aber vielleicht hat sie das eine oder andere mal nicht aufgepasst und das Funkeln hat sich verselbständigt, der Leser kneift geblendet die Augen zusammen und kriegt von der Geschichte nur noch die Hälfte mit. „Form follows function“ – in der Architektur bringt diese Regel schöne Dinge hervor, warum es nicht auch einmal in der Literatur versuchen?