„Mangels pornografischer Qualität
nicht hinreichend verdächtig“
Eine Amtsrichterin spricht Klartext und brüskiert übereifrige Staatsanwaltschaft
Der Vorwurf, Kinderpornografie herzustellen und zu verbreiten, ist gravierend. Träfe er zu, sollte schnell reagiert werden. Träfe er nicht zu, sollte auch das schnell geklärt werden, um den Betroffenen die Last des Verfahrens abzunehmen. Doch fast anderthalb Jahre arbeiteten der Autor Fabian Kaden („Davids Sommer“, „Leonardos Reise“, „Murats Traum“) und seine Männerschwarm-Verleger unter dem Damoklesschwert eines Strafverfahrens, das immerhin, von der gesellschaftlichen Ächtung einmal zu schweigen, mit einer fünfjährigen Gefängnisstrafe hätte enden können. Und das, obwohl sie sich auch nach gewissenhafter Selbstprüfung keiner Schuld, keines Versäumnisses bewusst waren.
Fabian Kadens Roman „Murats Traum“ erfülle den Straftatbestand der Kinderpornographie, so glaubt ein durch die zumeist undifferenzierte öffentliche Debatte verwirrter Leser und erstattet im Sommer 2007 Strafanzeige beim Bundeskriminalamt. Das inkriminierte Buch legt er bei. Die Sache könnte also schnell geklärt werden: einfach lesen und verstehen. Doch erst im Februar 2009 bereitet eine Hamburger Richterin dem Spuk per Beschluss ein Ende. Sie stellt fest: „Bereits mangels pornografischer Qualität des Romans „Murats Traum“ sind die Angeschuldigten der Verbreitung einer kinderpornografischen Schrift im Sinne des § 184 Abs.1 StGB nicht hinreichend verdächtig.“ In der Begründung zitiert sie den Schriftsatz der Verteidigung, der Roman sei „eine Erzählung über die menschliche Reifung und charakterliche Entwicklung von jungen schwulen Männern an der Schwelle zum Erwachsensein“. Daran knüpft sie an und stellt fest: „Die Auseinandersetzung mit dieser Themenstellung schließt die explizite Schilderung sexueller Handlungen ein. Anhand dieser sexuellen Erlebnisse erfahren die Figuren eine Persönlichkeitsentwicklung, wobei die detailreiche und ausführliche Schilderung der Erlebnisse dem Leser die Entwicklungen der Figuren eindringlich vor Augen führen soll. (…) Die sexuellen Erlebnisse stellen sich somit als organischer Bestandteil der Handlung dar und werden nicht in übersteigerter, anreißerischer Weise, sondern vielmehr realistisch und detailgenau dargestellt. Der Roman beschränkt sich damit eben nicht auf die Schilderungen sexueller Begierde, die durch einen anonymisierten und respektlos behandelten Partner befriedigt wird. Vielmehr erleben alle Figuren durch das Erfahren des sexuellen Aktes mit unterschiedlichen Partnern eine starke und durchaus bewusste Persönlichkeitsentwicklung. (…)“
Dass es Fabian Kadens Roman aus rechtlicher Sicht an „pornografischer Qualität“ mangelt, wird das Renommée des Autors als Meister der erotischen Literatur nicht beeinträchtigen. Insofern könnten Autor und Verlag mit diesem Beschluss zufrieden sein und zur Tagesordnung übergehen. Doch während Verlag und Autor sehr wohl wissen, was sie tun, müssen ernste Zweifel erlaubt sein, ob das auch auf die Ermittlungsbehörden zutrifft, deren Handeln jede Verhältnismäßigkeit der Mittel vermissen lässt und von einer Mischung aus Unkenntnis und Hilflosigkeit gekennzeichnet ist. So werden ein Autor und zwei Verleger, deren literarische Verdienste außer Frage stehen – der Verlag wurde erst 2001 mit der Programmprämie der Hamburger Kulturbehörde ausgezeichnet – und die ansonsten nicht durch kriminelle Energie aufgefallen waren, nicht etwa zu einem Gespräch unter vernünftigen Menschen geladen, sondern von einer übereifrigen Staatsanwältin durch die Art ihres Vorgehens gleichsam vorverurteilt. So wurde das Verfahren unnötig in die Länge gezogen. Das kann so nicht hingenommen werden. Autor und Verlag stellen deshalb fest:
1. Dass Justizia blind sei, wird fälschlicherweise oft beklagt. Sie soll es aber sein, weil sie ohne Ansehen der Person urteilen soll. Aber heißt das auch, dass Staatsanwälte und Polizisten nicht lesen dürfen, wenn ein Buch Gegenstand des Verfahrens ist? Hätte sich einer der Beteiligten im BKA oder bei der Hamburger Staatsanwaltschaft einigermaßen sachkundig mit dem Fall beschäftigt, wäre das Ermittlungsverfahren gar nicht eröffnet worden.
2. Die Staatsanwaltschaft darf nicht „parteiisch“ sein und ist verpflichtet, von Anfang an auch entlastendes Material zu ermitteln. Darf sie sich in einem sensiblen Fall von „Kinderpornografie“ von der allgemeinen Aufgeregtheit anstecken lassen? Wer soll denn einen klaren Kopf bewahren wenn nicht die Justiz? Aber weder im beantragten Durchsuchungsbeschluss für die Räume des Verlags noch in dem folgenden Antrag, ein Strafverfahren zu eröffnen, wird auch nur ein inhaltlich differenziertes Argument vorgetragen. Auf die inhaltlichen Stellungnahmen des Autors und des Verlags wird im Laufe des Verfahrens nicht eingegangen.
3. Ein Untersuchungsrichter erlässt einen Durchsuchungsbeschluss, Polizei und Staatsanwaltschaft durchsuchen im Januar 2008 Buchhandlung und Laden aufgrund einer Rechtsauffassung, die 14 Monate später von einer Kollegin als „abwegig“ zurückgewiesen wird. Ob irgend jemand sich die Frage gestellt hat, welchen Beitrag zur Ermittlung eine solche Durchsuchung wohl leisten könne, da das Corpus Delicti, das Buch selbst, ja längst vorlag? Anstatt den Text einer rechtlichen Prüfung zu unterziehen, verfügt der Richter, „Druckstöcke, Negative, Matrizen und Masterbänder“ beschlagnahmen lassen. Das klingt nicht nach Kenntnis in Sachen moderner Buchherstellung. So wurden die Exemplare im Verlag und – ohne einen dafür vorliegenden Beschluss – gleich auch im Buchladen Männerschwarm (andere Firma, andere Räume) beschlagnahmt!
4. Irgendwie muss die Staatsanwaltschaft geahnt haben, dass sie auf dem Holzweg ist. Denn auch nach der Beschlagnahme des Buchs geschah erst einmal gar nichts. Schließlich wurde die Beschlagnahmung wegen Überschreitung der vorgeschriebenen Fristen von der übergeordneten Instanz, vom Landgericht Hamburg, aufgehoben. Die Bücher wurden in die Buchhandlung und den Verlag zurück gebracht. Nur auf den entlastenden Brief, dass die Ermittlungen jetzt eingestellt werden, warteten Autor und Verlag vergeblich. Dass schließlich eine Amtsrichterin den Sachverhalt prüft und den Spuk dann mit klugen Argumenten beendet, ist erfreulich. Davor ist viel Zeit, Arbeitskraft und auch Geld verschenkt worden, musste ein Autor und sein Verlag unnötig lange unter einem unhaltbaren Verdacht leben.
5. Schließlich bleibt die Frage im Raum, wie sich die Ausweitung von Straftatbeständen (seit November letzten Jahres wird nach § 184 c StGB auch die Herstellung und Verbreitung jugendpornographischer Schriften unter Strafe gestellt) auf die künstlerische Produktion und mögliche Ermittlungsverfahren auswirkt, wenn Leser Staatsanwaltschaften nicht einmal mit dem bis dato bestehenden Vorschriften adäquat umgehen können.
Ich lese und höre doch öfter, dass Polizei und Staatsanwaltschaften ganze Heerscharen von Fachleuten unterhalten, um die Kinderpornografie im Internet zu bekämpfen…
Ausserdem sollte es Rechtspraxis sein, dass erforschte und erkämpfte Freiheiten zwischen den Menschen nicht wieder durch Verordnungen gestohlen, sondern durch erlernte Praxis in einger Verantwortung erhalten werden!
Ich habe schon früher in einer TV-Sendung erklärt, dass die Freiheit/Möglichkeit/das Wissen, nein zu sagen, auch die Wahl offen lässt ja zu sagen. Sonst ist Moral eine Bevormundung wie schon immer…