Claudia Liebrand, Professorin für deutsche Sprache und Literatur in Köln, unterzieht die Verfilmung der amerikanischen Erzählung „Brokeback Mountain“ einer Analyse – und verwirrt mich armen Leser mit der Behauptung, es handele sich hier um einen klassischen Western. Wie mag sie darauf kommen? Die Erzählung konzentriert sich immerhin noch auf das gemeinsame Schafehüten (oder waren es Ziegen?), der Film jedoch erzählt amerikanischen Alltag der 60er Jahre ohne jedes Gaballere, ohne Kühe, Gangster und Indianer. Ob die Hüte ausreichen, um das Genre zu markieren? Ich bitte um Aufklärung!
Kenne den Text nicht, so daß ich en detail dazu (noch) nichts sagen kann; aber der klassische Western ist ja allenfalls auf der Oberfläche eine Sache von Schießereien und Indianerüberfällen. Eher geht es um die Grenze (frontier), um Männlichkeit und dergleichen.
Hinweise dazu z.B. bei Wikipedia und im arte-Interview mit Norbert Grob.
Ich erinnere mich dunkel an einen Western mit Glenn Ford, in dem es um den Kampf eines Schafzüchters gegen die übermächtigen Viehbarone ging. Da ich denke, dass man einen Western mit Glenn Ford durchaus als „klassisch“ bezeichnen kann, gibt es also mit den Schafen in Brokeback Mountain einen weiteren Anknüpfungspunkt zum Western.
Ob gelegentliche Anknüpfungspunkte den Film deshalb zu einem „klassischen Western“ machen, müssen diejenigen entscheiden, die ihn gesehen haben.
Ein typisches Merkmal des Western (Ob klassisch oder modern) mag mitunter auch die landschaftliche Weite, ja Unbegrenztheit sein, gegen die sich der Mensch, dort einmal angesiedelt, verbissen wehrt. Wobei sich dies vermutlich weniger in eng zusammenstehenden Häusern zeigt sondern eher in engen moralischen, religiösen und gesellschaftlichen Konzepten.
Ich glaube schon, dass Annie Proulx einen modernen Western im Kopf hatte, als sie die Kurzgeschichte Brokeback Mountain schrieb, und ich glaube auch, dass Ang Lee genau diesen Kern in den Film übetrug. Zwei Männer, zwei männliche Männer brechen aus ihren engen gesellschaftlichen Grenzen aus nicht nur um zu ficken (Dass auch, und wie!) sondern um im Beisammensein die viel versprochene und durch die Landschaft suggerierte Grenzenlosigkeit zu teilen.
Dass die Beiden dabei sich selbst neue, ebenfalls enge Grenzen stecken, sie zumindest anstreben, kann nur durch den Tod selbst aufgelöst werden.
Es ist ein Western, weil sich in der Geschichte Männer auf den Weg machen um in der grenzenlosen Freiheit von Wyoming eine neue, erdverbundene Nähe zu suchen. In den wenigen Szenen, in denen die Beiden intim sind, offenbart sich die gesamte Verzweiflung des Menschen, der statt Freiheit nur neue Mauern findet, beinahe ein Aufschrei einer zu tode erstarrten Menschlichkeit, die sich entweder fügen oder zerbrechen muss.
Ein Western braucht keine von Mundharmonikamelodien begleiteten Züge, die irgendwo in in irgendeinen öden Bahnhof einfahren und sie brauchen keine heroischen Gesichter, verkniffene Augen, die über der Kimme blinzeln (Ich meine die aus Stahl, nicht die … also die halt).
Vielleicht meinet die gute Frau statt klassischer Western einfach nur: Open Range. Wo man sich verlaufen kann, zueiander finden oder schlicht und ergreifend zerbrechen.
Zu Beginn ihres Sammelbandes: Geschichten aus Wyoming lässt Annie Proulx einen pensionierten Rancher zu Wort kommen:
„Mit der Realität konnten wir hier draußen noch nie viel anfangen“
Vielleicht ist das die Definition des klassischen Western.
lg/Peter
Wie lustig, dass auch Leute auf die Frage reagieren, die den Film „Brokeback Mountain“ gar nicht gesehen haben. Ein Kriterium für „klassische Western“ ist ganz klar die Zeit, in der sie spielen, nämlich die „Landnahme“ im Westen der USA mit allen Begleiterscheinungen, die das seinerzeit mit sich gebracht hat, Siedler, Indianer usw. „Brokeback Mountain“ spielt in den 60er Jahren auf dem Land, es gibt außer der Werbung des Filmverleihs überhaupt keine Hinweise auf das Western Genre.
Johanna, deine Argumentation scheuert hart auf der Ebene der Attribute und Phänomene entlang, das ist doch sonst nicht Deine Art! 😉
Ich finde, Peter hat ein paar ganz sinnvolle Strukturmerkmale des Westerns (Chaos vs. Struktur, Anomie vs. Gesetz, Weite vs. Enge, Männlichkeit vs. Weiblichkeit, Kultur vs. Natur, etc.) benannt, und wie das mit Strukturen nun mal ist: Sie sind ahistorisch – können also, wenn man nicht aufpasst, die empirische Wirklichkeit prägen.
Wer beim Western-Genre nur an die Postkutsche, die Indianer und das Schießeisen denkt, wirft aus meiner Sicht die Frage auf, ob ihm/ihr vielleicht der Kreidefelsen von Bad Segeberg den Blick versperrt; vielleicht nur Mangels tiefergehendem Interesse an diesem Genre, was an sich nichts Schlimmes wäre.
Um die Problematik, auf die Frau Liebrand hinweist, deutlich und womöglich verständlich zu machen, möchte ich etwas weiter ausholen. Soweit ich das richtig erinnere, erzählt der Western vom Eingriff des Menschen in eine Situation des „Ursprungs“: Kommen die Siedler und bringen den Ackerbau. Landnahme eben, und bis hier stimmt auch Johanna zu 😉
In „Broke Back Mountain“ ist es nun ganz umgedreht, denn schließlich geht es um zwei Invertierte 😉 Inhaltsangabe: Zwei inzwischen von der Kultur hinlänglich gezähmte Kerls fangen, einmal sich selbst überlassen, miteinander das Ficken an – und verlieben sich in einander, aber das erfährt man erst am Schluss.
Natürlich verlieben sie sich nicht wirklich, sondern nur ganz unausgesprochen, zwischen den Zeilen, ohne Bewusstsein ihrer Liebe. Zur Begründung, warum das gar nicht anders sein kann, verweist der Film auf die gesellschaftlichen Bedingungen männlicher Existenz in den 1960er Jahren im Mittleren Westen der USA.
Nach vielen, vielen Jahren erfolgreicher Fickerei, pardon: Landnahme, zeigt sich, dass es mit den beiden so nicht weiter gehen kann. Außer wegen sozialer Umstände vielleicht auch, weil die beiden nicht miteinander über einander reden können. Über den Grund, warum das mit dem Reden nicht klappt, lässt uns der Film im Unklaren, es dürfte aber der hinlänglich bekannte sein: „Männer sind halt so“.
Auf Grund ihrer systematischen Sprachlosigkeit gehen die beiden sympathisch, aber nichts desto trotz tragisch veranlagten Herren in den erweiterten Koordinaten von Kultur und Natur also verloren. Und es ist dann zwar traurig, dass es für sie keinen Ort gibt, weder „da draußen“ noch „hier drin“, aber letzten Endes ist es bloß ein Einzelfall.
So viel zum Inhalt, aus meiner Sicht.
Eine Erzählrichtung, die den befreiten Ursprungszustand gegenüber dem verklemmten Zivilisationsprodukt privilegiert, darf im Western-Genre, soweit ich etwas davon verstehe, nur dann erfolgen, wenn am Ende Recht und Gesetz wieder hergestellt sind. So geschieht es auch beim „Broke Back Mountain“: die Befreiung von der Norm erfolgt nur zum Schein und für den Moment, und auf Dauer werden die Protagonisten von den Umständen eingeholt.
Schließlich ändert auch das momenthaft befreite So-Sein (florierender Homo-Sex) nichts am persönlich verfassten, sprach- und bewusstlosen männlichen Dasein; die gesellschaftlichen Bedingungen erweisen sich gegenüber den Einzelnen als stärker. Insofern trägt auch bei „Broke Back Mountain“, ganz wie im klassischen Western, die Kultur den Sieg über die Natur davon.
Der finale Ritt in den Sonnenuntergang beendet bei „Broke Back Mountain“ die Geschichte des Scheiterns und findet in einem „mobile home“ genannten Wohnwagen statt. „Von nun an geht’s bergab“ möchte ich mit Hilde Knef hinterhergerufen haben, aber womöglich ist es in den „Swinging Sixties“ wirklich so gewesen, dass es für Schwule keinen Ort gab, weil alle noch Homo waren, mangels Stonewall 😉
Mich würde mal interessieren, wie Frau Liebrand den „Deer Hunter“ (und andere Vietnam-Filme) im Bezug auf das Western-Genre katalogisieren würde, aber vielleicht wollte sie auch einfach nur mal was Lustiges sagen 😉
Wie schön, dass nach so langer Zeit jemand sowohl Liebrand wie auch diesen Eintrag liest! In der Tat schramme ich sehr gern an jeder sich bietenden Oberfläche lang, und vielleicht ist das hier wichtiger, als man auf den ersten Blick denken könnte: Auch wenn man nicht so weit geht wie Oscar Wilde, der bekanntlich der Meinung war, unterhalb der Oberfläche fände man nur Belangloses, sollte mit der Verwendung von Verallgemeinerungen oder gar Strukturanalysen bei der Betrachtung von Literatur sehr vorsichtig sein. „American Psycho“ von Bret Easton Ellis beschreibt verzweifelte Versuche einer Landnahme im übertragenen Sinn, doch glücklicherweise wurde das seinerzeit nicht ernsthaft als Western diskutiert – die Landnahme eines Wall-Street-Managers hat mit Old Shatterhand nun mal nicht viel zu tun.
Oder anders gesagt: anders als beim Ritterroman ist „Cowboy“ ein Beruf, der ganz unspektakulär fortbesteht, auch wenn wirklich alle sozialen Begleitumstände inzwischen verschwunden sind.
Natürlich ist die Diskussion akademisch, Begriffe erhalten ihren Sinn vom gedanklichen Kontext und nicht aus der Realität. Und mein gedanklicher Kontext ist nun mal etwas eigen – was wiederum gar nichts neues ist.
Auch ich habe hier viel Freude an Eigenheiten 🙂
Was den Unterschied zwischen gedanklichem Kontext und Realität anbelangt, sollte der Spalt nicht zu groß werden, sonst ist Verständigung nur noch als Selbstgespräch möglich 😉 „mind the gap“, steht mancherorts an jeder Bahnsteigkante.
Wenn es darum geht, zu überlegen, was „Broke Back Mountain“ über Homosexualität sagt, liefert der Rekurs auf das Genre „Western“ belastbare Ergebnisse.
Und ihn in diesem Zusammenhang zu sehen, meint nicht, den Film auf Folklore beschränken, denn anders als andere Genres (Kostümfilm, Heimatfilm, Sandalenfilm) ist der Western nicht durch seine Hüte definiert.
Aber „American Psycho“… war das nicht ein Dokumentarfilm? 😉
Liebes, American Psycho ist ein Roman und ganz und gar fiktiv. Ob er verfilmt wurde, weiß ich nicht – in Hamburg wurde er im Schauspielhaus dramatisiert, wo die Schauspieler während der Morde auf Rindfleisch einschlugen, dass es durch den Saal spritzte, sehr gelungen.
Sagt Brokeback Mountain etwas über Homosexualität? Ich dachte, er sagt etwas über die amerikanische Gegenwartsgesellschaft. Deren Eigenheiten werden durch latente, unterdrückte oder wie auch sonst nicht ausgelebte, aber virulente Homosexualität ein wenig erläutert. Falls die Eigenheiten der Homosexualität thematisiert werden, so ist mir das in Buch+Film wohl entgangen.
Wie anti-subtil von Dir, Liebes, meinen kleinen Scherz über Aktuelles aus dem Filmschaffen so gründlich misszuverstehen.
Aber um Deine Frage zu beantworten: Ja, „American Psycho“ wurde verfilmt. Zumindest gab es da mal etwas zu sehen, das sich nach Absprache mit den Verlegern so nennen durfte, wie ein bekannter Bestseller von Herrn Ellis.
Was den erhebenden Kunstgenuss im Deutschen Schauspielhaus anbelangt: Wir haben bei uns an der Ecke einen Schlachter, wenn der auf seine Schnitzel klopft, sieht das auch sehr gut aus. Um so was zu sehen, muss man nicht ins Theater, und wenn man den Schlachter lieb bittet, kann man sich vielleicht auch von ihm blutig machen lassen 😉
Was nun die 1960er Jahre anbelangt, würde ich eher von jüngerer Geschichte sprechen, als von Gegenwart, aber wie Du meinst.
Nach dem Eigentlichen, an dem ich wie gesagt immer viel Freude habe, nun zum Wesentlichen.
Es geht in dieser Erörterung aus meiner Sicht um zweierlei. Zuerst zu dem, um das es nicht geht. Es geht nicht um die Frage, ob man Western unter der Oberfläche belanglos findet. Wer sich informiert, wird feststellen, dass es für dieses Genre Erzählkonventionen gibt, die für dieses Genre typisch sind; dazu wurde an dieser Stelle bereits das Wesentliche gesagt.
Wer sich von der Erscheinungsebene nicht den Blick verstellen lässt, wird feststellen, dass sogar Star Trek oft und in vielem ein Western ist. Nämlich durch das Frontier-Thema, das Thema der Herausschieben der Grenze in eine unbekannte Weite und die daran angeschlossene Beobachtung, was das mit den Menschen macht.
Natürlich steht es jedem frei, sich an Cowboy-Hüten gedanklich festzuklammern, die ohne Frage zu jeder guten Pferdeoper gehören. Wer das tut, tut es aber auf eigene Gefahr und muss dann nicht Herrn Wilde zum Thema „Oberflächlichkeit und Belanglosigkeit“ beschwören – schließlich liegt in diesem Fall beides leider ganz und gar im Auge des Betrachters. Vor allem, zumal es nur ein gedankliches Konstrukt ist 😉
Nun zu dem, um was es geht. Wenn man Broke Back Mountain in den Kontext eines Genres stellt – egal, ob man dieses Genre belanglos findet oder nicht – tut man auch das auf eigene Gefahr; man wird dafür allerdings entschädigt dadurch , dass einem ein paar Dinge auffallen, die sonst eventuell nicht aufgefallen wären.
Vor dem Hintergrund des Genres zeigt sich, dass bei Broke Back Mountain zwei Grenzgänger, Out-laws, mit Hilfe ihrer polymorphen Perversion in den rechtsfreien Raum, einen utopischen Ort jenseits aller Gesetze, vordringen. Eine Weile gelingt das mit dem autonomen Vorstoß in unbekannte Weiten ganz gut, aber am Ende werden die beiden Sex-Schurken von der gesellschaftlichen Wirklichkeit recht unsanft eingeholt und zur Strecke gebracht; einer fährt gegen einen den Telegrafenmasten, der andere bekommt Trauer lebenslänglich.
Egal, ob man das jetzt eine doofe Story findet, oder nicht: Innerhalb der typischen Konventionen des Genres ist kein anderes Ende möglich, und es erweist sich das vergangene Jahrzehnt der 1960er als Gnade, denn spielte die Handlung in der Gegenwart, würde sich vielleicht jemand fragen, ob eine/r etwas Unerfreuliches über Homosexualität sagen wollte; seit „The Well of Loneliness“ jedenfalls sah es in kaum einem Homo-Film am Ende so düster aus.
O je, wir reden wohl ein wenig aneinander vorbei. Deshalb nur dies: Wenn Du schreibst, innerhalb der Konventionen des Genres sei kein anderes Ende möglich, welches Genre meinst Du dann? Das Western-Genre doch wohl kaum, Winnetou ist nie vor einen Telegrafenmast gefahren, und Old Shatterhand ist sich weder nach Winnetous Tod noch nach dem NTscho Tschis (wie schreibt sich das???) in endloser Trauer ergangen. Sind wir hier vielleicht ins Genre der Homofilme gerutscht? Da sollte man sich schon entscheiden. Charles Bronson reitet jedenfalls munter der Abendsonne entgegen, und wenn Henry Fonda die Kavallerie befehligt, sind am Ende überhaupt alle tot. Da ist Frau Proulx eher zurückhaltend.
Ach, wir reden aneinander vorbei? *kicher, na, Du musst es ja wissen 😉
Liebes, die Wiederholung von Behauptungen erzeugt keine Argumente, sondern Ideologie. Bisher hast Du hier mit Nichts dargelegt, was Deine Gründe dafür sind, Frau Liebrands These abzulehnen; es ist Dir lediglich gelungen, Deine Meinung zu sagen, in immer wieder anderen Worten.
Was bisher dabei herauskam, erinnert doch sehr an das, was angeblich in bestimmten China-Restaurants passiert: Das abservierte Fleisch wird, nach einer mehr oder weniger gründlichen Wäsche, in immer wieder neuer Garnitur dargereicht. Will sagen: Es bleibt derselbe Inhalt, auch wenn man versucht, ihn in andere Worte zu kleiden.
Es mag sein, dass Du Deine Polemik spaßig findest. Ich bin sehr für Spaß, aber gegen Polemik. Denn: wissenschaftlichen Ansprüchen genügt Dein Vorgehen nicht. Verifizierbarkeit und Falsifizierbarkeit der Argumente? Daran unterscheiden sich die intellektuelle von der nicht-intellektuellen Argumentation, und der Stammtisch vom Symposion.
Warum ist denn das, was Frau Liebrand sagt, für Dich so schlimm? Natürlich kannst Du auf die Oberfläche des Offensichtlichen verweisen, aber das ist selbst oberflächlich und offensichtlich und steht Dir schlecht zu Gesicht, finde ich. Mein Rat: Wenn Du Dich der Mühe des Gedankens aussetzt, sollte es nicht an Sorgfalt gebrechen.
Das gilt natürlich auch für mich, und eventuell habe ich meine Argumente nicht verständlich genug dargestellt. Diese Möglichkeit muss ich zumindest theoretisch einräumen, und deshalb ein letzter Versuch in dieser Sache.
Die beiden entscheidenden Argumente fallen in zwei Kategorien: Das eine ist eine notwendige, das andere eine hinlänglich Bedingung, somit eigentlich wie immer. Ich möchte mit der hinlänglichen Bedingung beginnen.
Hinlängliche Bedingung sind in diesem Fall Motive, auf die das Western-Genre gerne zurückgreift, ohne sie selbst ersonnen zu haben. Bei Broke Back Mountain ist das, unter anderen: Norm vs. Anomie.
Es geht um zwei Männer, die – wegen ihrer sexuellen Handlungen aneinander und miteinander – außerhalb der Ordnung stehen, und sie werden – ganz entsprechend der Konventionen des Western-Genres – deshalb von der Wirklichkeit eingeholt.
Denn: Wer sich im Western in den rechtsfreien Raum begibt, tut das auf eigene Gefahr, und in der Regel wird er/sie dafür bestraft.
Die Natur verzeiht nicht, übrigens auch bei Horacio Quiroga nicht.
Die von Dir bemühten Beispiele zeigen, dass Du das bisher nicht verstanden hast. Wenn Du Charles Bronson nennst, ist das einer von den genremäßig „Guten“, die überleben natürlich.
Die Hauptfiguren von Broke Back Mountain gehören aber nicht in die Kategorie der „Guten“. Qua sexueller Orientierung sind es Out-laws, Gesetzesbrecher, die „Bösen“. Mittlerer Westen, USA 1960, da ging einer für Sodomie in den Knast. Und mit den bösen Jungs passiert bei Broke Back Mountain das, was im Western mit solchen Leuten qua Konvention eben passieren muss – sie werden abgestraft.
Nun ist Norm vs. Anomie kein originäres Motiv des Westerns, es kommt auch in anderen Filmen vor, und auch andere Filme machen Out-laws zu Hauptfiguren, z.B.: „Bonnie & Clyde“, oder „A bout de souffle“, wobei Truffaut bekanntlich ein großer Freund des Westerns war. Ganz zu schweigen von anderen Künsten, ist Norm vs. Anomie ein Topos in der abendländischen Kunst, seit Antigone.
Das in diesem Zusammenhang Originelle an Broke Back Mountain ist, dass die Gesetzlosigkeit primär als auf der sexuellen Orientierung ihrer Protagonisten beruhend gezeigt wird. Und damit Homo-Sex auch heute noch als Anomie erkannt werden kann, muss die Handlung in die Vergangenheit verlegt werden.
Nun zur notwendigen Bedingung: Das ist die Landschaft, das relative Alleinstellungsmerkmal des Westerns; es ist nur ein relatives, weil die Macher von so genannten Road-Movies manchmal die Anwesenheit von Landschaft bereits mit Handlung verwechseln.
Die Landschaft wird angesichts ihrer topographischen Weite zum Spiegelbild existenzieller Weite. Das ist eine Weite, die die Summe aller Möglichkeiten eines Lebens enthält, ermöglicht und erfordert, und schließt den Bruch des herrschenden Rechts ein.
Vor allem erfordert der Westen, als Ort des Westerns, ein besonderes Individuum („Held“), der der Umstände Herr – meist nicht Dame – wird. Das ist bürgerliche Ideologie, aber so ist der Western, und hierin besteht sein originärer Beitrag zur Kulturgeschichte des Abendlandes.
Vielleicht ist nicht wirklich zu verstehen, was topographische Weite mit Menschen machen kann, wenn man sie nicht am eigenen Leib erlebt und erfahren hat. Aber nichts daran schwerverständlich, und nichts daran trivial, und folgerichtig ist es bei Truffaut die Metropole, die die Summe aller Möglichkeiten eines Lebens bereithält, und die Menschen mit ihnen konfrontiert.
Der von Dir aus welchem Grund auch immer so gerne ins Feld geführte Karl Mai übrigens hat sich sein Werk bekanntlich im Hinterzimmer einer Bücherstube zusammenfantasiert, und dieser Mangel an Primärerlebnis macht sein Werk so trivial; das ist wie Pornos von Leuten, die nichts vom Ficken verstehen.
Insofern ist Ang Lee / Frau Proulx mit Broke Back Mountain womöglich wirklich etwas konzeptionell Neues gelungen: Sie haben das mann-männliche Begehren als inhaltliche Rohmasse genommen und innerhalb der Konventionen des Western-Genres verarbeitet, mit dem vorliegenden Ergebnis.
Das Wort „klassisch“ kann einen an Frau Liebrands Äußerung natürlich verwirren, aber es stellt aus meiner Sicht nur den traurigen Versuch dar, das Grau der Theorie mit dem Zeitgeist zu versöhnen um sich interessant zu machen; man sollte es ihr verzeihen.
Nach Lage der Dinge spricht aber aus meiner Sicht nichts dafür, dass Frau Liebrand etwas Dummes gesagt hätte. Und auch wenn Du das weiterhin behauptetest und Dich nach Kräften bemühtest, Trivialität herzustellen, bliebe sie letztlich Deine eigene.
Wir müssen nicht in allem einer Meinung sein, Liebes, aber wenn einer von beiden sich intellektuell verweigert, macht eine Diskussion wenig Sinn. Wenn von Deiner Seite weiterhin keine Argumente kommen, die den Sinn Deiner Ausführungen erhellen, würde ich den Spielstand als 0:3 notieren und mich anderen Dingen zuwenden.
Für meine grauen Zellen immerhin hast Du genug getan und ich möchte nicht noch tiefer in Deiner Schuld stehen, vielen Dank 😉
Nur der Vollständigkeit halber: Außerhalb des Hinterzimmers einer Hamburger Fachbuchhandlung ist es allgemein üblich, Brokeback Mountain als „Western“ zu bezeichnen (http://www.rottentomatoes.com/m/brokeback_mountain/ http://en.wikipedia.org/wiki/Brokeback_Mountain).
Natürlich könnte man unter Zuhilfenahme einer Verschwörungstheorie argumentieren, es handelte sich dabei um eine kollektive Wahrnehmungsstörung, denn schließlich wäre Brokeback Mountain ein Werk (Zitat) „ohne jedes Gaballere, ohne Kühe, Gangster und Indianer“ und nur ein Mensch auf diesem ganzen weiten Erdenrund wäre so gescheit, den bösen Schwindel zu durchschauen (Old Hannchen?!).
Um den Wahrheitsgehalt einer solchen Annahme aber ist es aus meiner Sicht eher schlecht bestellt.
Wer nicht weiß, was ein Western ist, kann sich hier ebenfalls einen ersten Überblick verschaffen: http://en.wikipedia.org/wiki/Western_%28genre%29 (Karl May sucht man da übrigens vergebens – es sollte wohl besser nicht am deutschen Wesen der Western genesen).
Fazit 1: Es lohnt sich, nur zu Dingen eine Meinung zu haben, von denen man eine Ahnung hat.
Natürlich mag der Aspekt der angemessenen Kategorisierung des Werkes für unsere gediegene mitteleuropäische Rezeption insgesamt völlig nebensächlich erscheinen. Andere Leute wiederum sehen auch das das ganz anders (Zitat):
„Robert Knight, der Direktor des Instituts für Kultur und Familie (deren Träger die Concerned Women for America ist), schreibt dem Western-Genre eine Botschaft zu, die er durch Brokeback Mountain beschmutzt sieht. Seiner Meinung nach künde der Western „von wirklicher Bruderschaft“ und sei frei „von jedweder Sexualisierung“. Im World Net Daily behauptet David Kupelian, die Figur des „Schwulen Cowboys“ vergewaltige den „Marlboro Man“. Er sieht die für den Western seiner Meinung nach grundlegenden „jüdisch-christlichen Werte“ bedroht.“
Ich möchte das nicht als Einladung zu einer Diskussion über Sex und Religion verstanden wissen, aber was macht eigentlich die HuK (Homosexuelle und Kirche)?
Fazit: Eigene Wahrheit ≠Wahrheit der Anderen.
Der Leser dieses Blogs muss wissen, dass der so sehr engagierte Gerrit Liskow und meine Person zwischenzeitlich per Email weitere Argumente zur Frage „Western oder nicht Western“ gewechselt haben; ich hatte diesen privaten Weg gewählt, weil das allgemeine Interesse an dieser Auseinandersetzung nicht mehr zu erwarten war. Jetzt soll es hier weitergehen. Die Debatte erinnert mich an eine sehr alte Erzählung von Ephraim Kishon. Herr A besucht Herrn B, und Herr B erwähnt, das gegenüberliegende Hochhaus sei eingestürzt, das habe ihm gerade Herr C erzählt. Herr A ist verwirrt und sagt, wieso, da steht es doch, schau doch aus dem Fenster! Da wird Herr B böse und schreit: Willst du etwa behaupten, Herr C sei ein Lügner?
Falls irgend jemand das Interesse noch nicht verloren haben sollte, so mag er dem oben von Gerrit gelegten Link zu Wikipedia folgen. Unter „Themes“ wird ein Themenspektrum aufgezählt, das sich auf die Handlung von Brokeback Mountain nicht anwenden lässt. Wenn Gerrit selbst diese Definition als Argument anführt, warum debattieren wir dann noch? Ich tu’s jetzt wirklich nicht mehr. Sic tacuisso!