Aciman, „Ruf mich“ und Kotte, „Abriss“ : Heteros schreiben schwul

„Ruf mich bei deinem Namen“ erzählt eine Erinnerung des Autors an die Zeit des Erwachsenwerdens und ist in vielem durchaus vergleichbar mit Stadlers „Komm, wir gehen“. Ein 17jähriger Sohn aus gutbürgerlicher Familie gibt sich vom Moment der ersten Begegnung an vom deutlichen älteren Sommergast der Familie in den Bann geschlagen. Gründe dafür werden nicht genannt, möglicher Weise ist es ganz einfach der Altersunterschied von knapp zehn Jahren, die Tatsache, dass der Gast allgemein wie ein Erwachsener behandelt wird und sich auch so benimmt, aber als konkreter Mensch seinem jungen Bewunderer noch gar nicht so weit voraus ist.

Der Junge entwickelt die absurdesten Vorstellungen und liefert sich selbst in Gedanken ein Ping-Pong-Spiel von Annäherung und Abstoßung. Jedes noch so unwichtige Ereignis, jede Bewegung und jeder Gesichtsausdruck werden interpretiert, überinterpretiert und in der Regel fehlinterpretiert. Da es sich hier offenbar um eine Art von Besessenheit handelt, stört es weder den Jungen noch den Autor, dass sich dieses Hin und Her im Detail durchaus öfters wiederholt und dabei über Seiten und Seiten hinzieht.

Dass es sich um Besessenheit und nicht etwas um Liebe handelt erkennt man nicht zuletzt daran, dass erotische Spannung nicht erkennbar im Spiel ist (was jedoch auch an der wieder einmal sehr schlechten Übersetzung liegen kann, für die dieser Verlag leider – bei mir – berüchtigt ist). Statt Erotik ist für den Jungen ein recht klischeehaft dargestellter Wunsch nach Hingabe an diesen für ihn irgendwie faszinierenden Mann ausschlaggebend. Die Art, wie die Frage „Ficken oder Arsch hinhalten?“ gehandhabt wird, ist auf eine klebrige Weise dämlich, und was Sexualität und Beisammensein für die beiden schließlich bedeuten, bleibt vollkommen im Dunkeln. Als sie sich schließlich „kriegen“, war mein Interesse an dieser langwierigen Annäherung bereits verbraucht, die nun einmal nur mühsam und nicht spannungsreich verläuft. Offenbar geht es hier ums Schmachten und ums Erhörtwerden, und dadurch scheint bei vielen Lesern ein beträchtlicher Wiedererkennungseffekt zu entstehen.

Man merkt, dass der Autor als Literaturwissenschaftler viel zu Proust gearbeitet hat: Streckenweise gelingt es ihm, einen nach Proust klingenden Stil zu produzieren, ohne dabei jedoch nur ansatzweise die Proustsche Vorstellungswucht zu erreichen. Diese eitle Mimikry geht voll nach hinten los, weil der Vergleich die Schwächen Acimans erst so recht deutlich macht.
Ein Thema von echtem Interesse klingt an: wie es nämlich ist, wenn zwei Heterosexuelle sich warum auch immer zu einer schwulen Affäre hinreißen lassen. Leider verrät der Autor nicht, welche Kräfte hier am Wirken sind und wie die gelebte Sexualität mit der jeweiligen sexuellen Identität vereinbar ist.

Ganz anders dagegen „Abriss Leipzig“ von Henner Kotte
Noch ein heterosexueller Autor, in dessen Roman Schwules auf vielfache Weise eine Rolle spielt: vom pubertären, gemeinsamen „Auf den Keks Wichsen“ über Strich als Hartz-IV-Aufbesserung, fiese Freier und „Umorientierung“ eines gestandenen Familienvaters bis zum schwulen Kommissar (hier ermitteln mehrere Kommissare, es handelt sich also nicht um die Hauptfigur), der mit seinem Freund zusammenlebt und unter dessen Macken leidet. In Leipzig werden Schwule ermordet, und der Autor hat sich sichtlich Mühe gegeben, schwulen Verhaltensweisen auf den Grund zu gehen. Und wo er keine Ahnung hat, wählt er die Erzählweise so geschickt, dass das nicht zum Tragen kommt.

Die Handlung ist klug und realistisch, auch und gerade in Hinblick auf die Polizeiarbeit. Allerdings ist Kotte ein großer Schwaller, der mühelos dreimal nacheinander genau dasselbe schreibt. Ein so vielversprechender Autor hätte ein echtes Lektorat verdient, das auf solche Macken achtet und in der zweiten Hälfte die sachlichen Fehler korrigiert. Das ärgert ein wenig, tut der spannenden Unterhalten jedoch nicht wirklich Abbruch. Und wenn es einen Preis der schwulen Buchläden für das beste Buch eines Heteros zu schwulem Leben gäbe, Kotte hätte ihn verdient!

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