Jan Seghers heißt eigentlich Matthias Altenburg und zieht sich diesen Namen, wie einmal sagte, nur an, wenn er Krimis schreibt, so wie seine Gummistiefel zur Gartenarbeit. Das sollte den Krimi nicht herabsetzen, sondern zeigen, dass es praktisch ist, in verschiedenen Rollen auch unterschiedlich aufzutreten, inklusive eigener Haltung zu dem, was man da gerade tut.
In seinem neuen,dem dritten Krimi mit Kommissar Marthaler, „Partitur des Todes“, hat nun einer der Polizisten, der so eifrige Petersen, sein Coming-out. Und das wird ihm jetzt angekreidet. Rainer Moritz, Leiter des Hamburger Literaturhauses, charakterisiert im DeutschlandRadio sehr treffend die Schreibweise Seghers‘:
Wie schon in seinen bisherigen Kriminalromanen gelingt es Jan Seghers, Handlungsstränge geschickt miteinander zu verweben und die Leser in die Irre zu führen. Das ist gekonnt gemacht, mit kräftigem Lokalkolorit versehen und mit manchmal etwas dick aufgetragenem sozialkritischen Impetus angereichert. Ein Arsenal mehr oder minder eigenwilliger Charaktere bevölkert das Frankfurter Kommissariat und verleiht Seghers‘ Ermittlern jene menschliche Note, ohne die kein Gegenwartskrimi mehr auskommen mag.
Dick aufgetragen hin oder her, aber eines geht ihm dann doch zu weit:
Leider tut Jan Seghers hier mitunter zu viel des Guten. Alte und neue Liebschaften unter den Kollegen, ein Polizist mit schwulem Comingout; …
Petersen – das muss man dazu sagen – taucht schon im ersten Krimi von Seghers – „Ein allzu schönes Mädchen“ – auf, ganz am Anfang, als der Kommissar gerade darüber räsoniert, wie es um seine Beziehungen zu Frauen steht.
Man ging miteinander aus, man schlief miteinander, nur miteinander leben, das wollte oder konnte man nicht. Und doch war es das, was anscheinend allen fehlte.
Petersen gehört zum festen „Personal“ der Marthaler-Krimis, hat „es“ mit einer Kollegin versucht, und lässt sich im aktuellen Roman zum völlig falschen Zeitpunkt krankschreiben: Warum? Seine Perspektive kommt nicht vor, aber es wird getuschelt, gekichert: Man hat ihn im offenen Cabrio mit einem Mann gesehen. Er hat sich verliebt. Kommt damit nicht klar. Zieht sich zurück. Die Geschichte ist keine „würzende Episode“, sondern zieht sich durch den ganzen Roman. Bis hin zu einem völlig missglückten Gesprächsversuch. Lange hat die Kollegin, mit der er kurz zusammen war, versucht, mit ihm zu reden – dann will er plötzlich:
„Es ist, wie es ist. Ich bin schwul.“
„Und? Weiter? Wofür soll das eine Entschuldigung oder auch nur eine Erklärung sein?“
„Dass ich nicht länger Polizist sein kann.“
Komisch. Jeder Kritiker verlangt auch vom guten, „literarischen“ Krimi, dass es um mehr als Mord und Totschlag geht, dass Figuren „Charaktere“ werden, sich entwickeln, dass im Krimi gesellschaftliche Konflikte gespiegelt, zugespitzt werden. Auch wenn Seghers es bei den Heteros übertreibe, lieber Herr Moritz, warum beklagen Sie sich an einer Stelle, wo sonst – gelinde gesagt – nur untertrieben wird? Sie haben doch unsere erst im letzten Jahr unsere Anthologie „Schwule Nachbarn“ präsentiert (in der Seghers = Altenburg auch vertreten ist) und haben sich dabei mit der .Präsentation / Unterrepräsentation des schwulen Teils der Wirklichkeit in der Literatur beschäftigt!!
Müssten Sie diese Form von „Normalität“ nicht eigentlich loben? Dass endlich, wenn auch nur am Rande, neben den vielen heterosexuellen Verwicklungen, die es in jedem Stück Literatur zu Hauf gibt, der Fokus geweitet wird und ein zum täglichen Leben gehörender Teil der Wirklichkeit hier in den literaischen Alltag eingeflossen ist – statt zu sagen: Du musst draußen bleiben.
Ich fand nur nicht gut, dass dieses Comimg-out so in der Luft hängen blieb. Denn eins ist sicher: Die Polizei ist – wie auch Ihre andere Domäne, der Profi-Fußball – sicher ein gesellschaftlicher Sektor, in dem es noch am problematischsten ist, schwul zu leben. Das zeigen im Krimi ja das Gekicher der Kollegen und die Angst Petersens!
Oder wird das Schwule dann doch wieder auf den Bindestrich geschickt? Nach dem Motto: In die Kriminal–Literatur gehört es – so zumindest – nicht hinein! (Bei Doris Gerckes „Schweigen oder Sterbenâ€(auch hier im Blog kurz vorgestellt) wollen wir es mal akzeptieren, da war der Schwule ja wenigstens das Opfer und der Leser wurde nicht mit mann-männlichen Turteleien belästigt)
Dafür ist doch die Schwulen–Literatur „zuständig“??
Lieber Herr Moritz,
warten wir doch gemeinsam auf den nächsten Seghers und darauf, wie es mit Kollege Petersen weitergeht! – Oder??
Jetzt bin ich aber wieder ausführlich geworden! :-))
Beste Grüße von Detlef Grumbach
Nein, dass Jan Seghers ein schwules Coming-out einbaut, muss man nicht über Gebühr loben. Aus dem einfachen Grund, dass Seghers sich zu krampfhaft bemüht, seinem Krimi „human touch“ zu verleihen. Auch was er an heterosexuellen Verstrickungen anzubieten hat, gehört nicht zu den besten Passagen in „Partitur des Todes“. Das alles wirkt einfach bemüht. Und was ist davon zu halten, dass der gelobte Autor Petersen sogleich als unglücklich dreinblickenden Schwulen zeigt?
Grüße zurück, Rainer Moritz
Im Cabrio macht der Schwule ja erstmal einen ziemlich glücklichen Eindruck. Er glaubt eben nur, als Schwuler nicht Polizist sein zu können – deshalb zieht er sich von KollegInnen zurück, das macht ihn unglücklich. Er ist ja schließlich kein Friseur, sondern im Rahmen eines ziemlichen Macho-Haufens Repräsentant des staatlichen Gewaltmonopols – wenn mir auch mal ein Vorurteil gestattet ist.
Warum kennen wir keinen aktuelle Profi-Fußballer, von dem bekannt sein darf, dass er schwul ist? Warum glaubt ein Polizist, als Schwuler keine Chance in dem Beruf zu haben? Das sind doch Dinge, die am Rande eines Romans, der gesellschaftliche Realität einfangen will, mit verhandelt werden dürfen …
Natürlich dürfen sie verhandelt werden – aber bitte literarisch gelungener!
Zur Auflockerung des Dialogs: beim human touch zu dick aufzutragen ist ohne Frage kritikwürdig. Ich habe die Rezension damals beim Frühstück im Radio gehört und hatte eigentlich erwartetet, dass nun kurz erläutert wird, worin dieser „Auftrag“ denn besteht. Statt dessen folgte der etwas abrupte Verweis auf Petersens Coming-out. Ich dachte dabei, aha, Coming-out ist anscheinend per se „zu dick“. Um die knappe Zeit effektiv zu nutzen wird ein Beispiel gewählt, das jeder sofort als Beleg akzeptiert, ohne dass viele Worte gemacht werden müssen. Könnte es so gewesen sein?
Mir passiert es übrigens oft, dass ich beim Lesen/ Zuschauen denke, o Gott, jetzt auch noch ein Schwuler. Die Tunte als Trottel ist ebenso längst zu einer Chiffre geworden wie der Kinderschänder als Bösewicht, das flutscht den Autoren nur so aus der Feder. Als störend empfindet man solche Themen vor allem in Texten, deren Qualität auch sonst eher bescheiden ist, vielleicht ist das bei diesem Krimi der Fall – ich habe ihn nicht gelesen.
Ich denke jedoch, dass noch ein anderer Aspekt eine Rolle spielt: „Schwul“ ist kein Thema wie jedes andere, sondern löst bei Vielen reflexhaft ein Kichern oder eben ein „o Gott“ aus und dann die Frage: MUSS das sein? Die Antwort lautet natürlich: nö, muss es nicht, aber warum KANN es denn nicht sein? Diese Antwort ist beim schwulen Verleger wahrscheinlich ebenso reflexhaft wie die Frage beim heterosexuellen Publikum.
Übrigens: dieses Genervtsein durch das Modethema „Schwul“ wollten wir mit dem Sammelband „Schwule Nachbarn“ einmal abfragen, denn auch das steht außer Zweifel: große Teile der Medienpräsenz dieser fidelen Bevölkerungsgruppe sind durchaus anstrengend. Leider hat sich kaum jemand getraut, hier die Wahrheit zu sagen. Doch wenn man es dann endlich einmal tut, dann will ich auch wissen, WAS denn konkret als anstrengend empfunden wird und warum. „Per se“ gilt nicht!
kleiner Nachtrag: was sagt der Proustianer eigentlich zum berühmten „ils le sont tous“? der und der und der, und die auch noch – nicht zu dick?
Das hat nun wohl rein gar nichts mit dem Thema zu tun, und ich entschuldige mich auch vorab für diesen Beitrag, der sicherlich das Thema verfehlt, daran dachte ich aber bei diesem „ils le sont tous“ – an unsere Prachtstraße nämlich, die rue Sainte-Croix-de-la-Bretonnerie mitten in Paris, die ich so grundlos wie gewissenhaft zu meiden pflege: Ein beängstigenderes Bild der Verbiegungen, die das manische Konsumieren – nicht von Männern, sondern Konsumgütern, bitteschön – beim unbedarften (fidelen?) Schwulen zur Folge hat, gibt es wohl kaum. Gut, hin und wieder ein von Natur derart hübscher Junge, dass er noch unter dem Zombiekostüm seiner selbst hervorlugt, aber doch verloren in unglaublich gehäufter Hässlichkeit und Entfremdung, die allein darauf zurückzuführen sind, dass das, was man sich einstmals in provokativem Eigenbau zusammengebastelt hat, nun als fertiges Industrieprodukt – also völlig gezähmt – angeboten wird. Man muss nur noch für die entsprechene Kaufkraft bei sich sorgen und kann sich dann aus dem Klischeeschrank bedienen; allerdings nicht nach Herzenslust, sondern den Zwängen des produzierenden Marktes gehorchend und sich selbst in ein Klischee verwandelnd. Um sich an diesem Ort in seiner Eigenschaft als Schwuler frei zu fühlen, muss man in der – nicht anonymen, sondern aus ZWEIFELSFREI Gleichgesinnten bestehenden – Masse untergehen und unterwirft sich mithin einem Identitätsdruck, der vermutlich noch überwältigender ist, als der Verschleierungsdruck in Gesellschaft rückschrittlicher Heteros. Man ist, so scheint es, hier unter lauter möglichen Kojenkameraden erst frei, marschiert man in Uniform und im Gleichschritt, und wird wie in grauer Vorzeit, und in ganz anderem Umfeld, mit verächtlichen Blicken abgestraft, war man über längere Zeit nicht beim Friseur oder trägt trotzig eine nicht abgesegnete Haartracht zur Schau.
Das ist natürlich urdemokratisch, ist jedenfalls demokratischer, als zu verlangen, dass sich jeder selbst mühsam die Elemente seiner Eleganz zusammensucht. Es könnte ja sein, man greift daneben. So muss man sich nur an den zu einer reinen Modezeitung verkommenen Têtu halten, dem Hochglanznachfolger der komplizierten Blätter aus Befreiungstagen; Ladenadresse, Preisempfehlung und alles andere, was von Nutzen sein könnte, ist mit angegeben.
Schwule, die den sogen. gesellschaftlichen Randgruppen entstammen, was hierzulande meisten heißt, dass sie gleichzeitig einer anderen „sichtbaren Minderheit“ angehören, sucht man übrigens fast vergebens, und HIV-Positiven, so hört man es immer wieder, wird bei Bekanntwerden der Infektion, falls irgend möglich, die Bude gekündigt. Die im ehemals jüdischen Marais gelegene rue Sainte-Croix-de-la-Bretonnerie ist bei allem Hedonismus eine durch und durch saubere Straße. Doch keine Bange: Schwule gibt es auch anderswo. Ils sont partout, nur eben dann häufig wie auch manche Polizisten in Zivil verkleidet.
Vielleicht ist die schriftliche Kritik, siehe http://www.dradio.de, etwas klarer?