Für den bildungsbürgerlichen Schwulen gehört diese Adresse gewissermaßen zum Pflichtprogramm einer München-Sightseeing-Tour: Poschinger Straße 1, inzwischen nach seinem berühmten Bewohner umbenannt in Thomas-Mann-Allee. Hier, dicht an den Isarauen, hatte sich Mann für seine junge Familie 1913/14 eine Villa bauen lassen. Die Kinder Elisabeth und Michael kamen hier zur Welt; hier entstanden der „Zauberberg“ und die beiden ersten „Joseph“-Romane. Und 1929 ereilte Thomas Mann hier die Mitteilung, dass ihm der Nobelpreis für Literatur zugesprochen worden war.
In der Nachbarschaft wohnte die Familie Hallgarten, in dessen Sohn Ricki sich Klaus Mann verliebte. Und um die Ecke lebten die Wedekinds, mit deren Tochter Pamela sich Klaus als 18-Jähriger verloben sollte. Bis zur Emigration 1933 war diese Villa das Heim der Manns. Danach erlebte die Immobilie eine wechselhafte Geschichte und wurde etwa von Heinrich Himmlers Rasseorganisation „Lebensborn genutzt. US-Amerikanische Fliegerbomben machten das Haus 1994 schließlich unbewohnbar.
Ein Förderkreis regte gemeinsam mit Manns jüngster Tochter Elisabeth Mann-Borgese an, auf dem Grundstück eine Gedenkstätte für den berühmten Schriftsteller zu einzurichten. Doch der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) hielt nicht viel von einem „künstlichen Ersatz“ für die einstige Villa. Alexander Dibelius, Deutschland-Chef einer amerikanischen. Investmentbank, hielt von solchen Bedenken nichts.
2005 ließ er die Mann’sche Villa mit seinem Säulenportikus, der bogenförmigen Gartenterrasse und dem markanten Dach nach Originalplänen wieder aufbauen – und hat sich einige architektonische Freiheiten gelassen.
Dachfenster hatten die Manns seinerzeit ganz sicherlich noch nicht. Und auch den Grundriss der 1200-Quadratmeter-Villa wurde einschneidend geändert. Von Thomas Manns Arbeitszimmer, heute ein Wohnraum, führen nun beispielsweise gleich zwei Treppen in den Garten. Eine authentische Aura verströmt der Bau aber auch ansonsten nicht. Wie auch, wenn man an Hochsicherheitszaun samt Videoüberwachungsanlage vorübergeht, kann sich keineswegs die Fantasie entwickeln, dahinter wohne eine illustre Dichterfamlie. Es ist eben doch nur ein steinreicher Banker.
Originalgetreuer, wenn auch auf seine Weise ein ähnliches Potemkinsches Dorf ist das „Poschi“-Duplikat, welches sich auf dem Bavaria Filmgelände für die Dreharbeiten von Heinrich Breloers Fernsehspielserie „Die Manns“ errichtet wurde. Für 1200 Euro pro Tag und Etage kann die Villa dort als Filmkulisse gemietet werden.
Poschinger Straße 1 (heute Thomas-Mann-Allee 10)
Lesetipp:
Dirk Heißerer: „Im Zaubergarten. Thomas Mann in Bayern“. C.H.Beck München 2006.