Lost in Translation – wie Foucaults Texte durch die deutsche Übersetzung entstellt werden.

Michel Foucaults Schriften liegen in Deutschland zum Teil als sinnloses Kauderwelsch vor, und weder der Suhrkamp Verlag, noch das Feuilleton interessiert sich dafür. Was ich durch Zufall herausfand, habe ich aus Anlass von Foucaults 30. Todestag seinem deutschen Verlag mitgeteilt. Als keine Antwort kam, habe ich die hier folgende Sammlung beliebiger Textstellen der Süddeutschen Zeitung, der Frankfurter Allgemeinen und der Zeit zugeschickt: keinerlei Antwort. Am 30. September ist der Namenstag des Hl. Hieronymus, des Schutzheiligen der Übersetzer. Wer gute Übersetzungen will, muss schlechte anprangern. Lost in Translation – wie Foucaults Texte durch die deutsche Übersetzung entstellt werden. weiterlesen

„Deutschland von Sinnen“ – das Problem hinter Pirinçcis und Sarrazins Polemiken

„Der irre Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer“, so lautet die Polemik des Zuwanderers Pirinçci im Untertitel. Er schlägt damit in eine Kerbe, die der aus Thüringen zugewanderte Thilo Sarrazin schon gut vorbereitet hat. Dem schwulen Leser fällt eine verblüffende Parallele auf. Wie hießen doch gleich die drei Teile von Hans Mayers Standardwerk „Außenseiter“: Judith und Dalila, Sodom und Shylock, mit anderen Worten: Frauen, Homosexuelle und (jüdische) Zuwanderer. Im Gegensatz zu Sarrazins und Pirinçcis Geschreibsel ist dieses Buch derzeit nicht lieferbar – Suhrkamp hat wohl andere Sorgen. „Deutschland von Sinnen“ – das Problem hinter Pirinçcis und Sarrazins Polemiken weiterlesen

„Die Rasenden“ – Karin Beiers „Vorzeitsfamilienmordgemälde“

Wie der unvergessene Liedermacher Ulrich Roski so treffend sang, „Selbst der allergrößte Mist/ zahlt sich irgendwann für irgendjemand aus.“ Nachdem ich einen deprimierenden Abend bei Karin Beiers „Rasenden“ im Deutschen Schauspielhaus verbracht habe, gibt mir dieser „allergrößte Mist“ doch immerhin den Vorwand, auf ein wunderbares Buch hinzuweisen, und, wie ich am 18. Januar merken musste, ein höchst prophetisches. „Die Rasenden“ – Karin Beiers „Vorzeitsfamilienmordgemälde“ weiterlesen

Alain Claude Sulzers Erfindung der Literaturtapete

Wer wie ich berufsmäßig damit beschäftigt ist, der Gegenwartsliteratur neue Werke hinzuzufügen (auch wenn es nur durch die Auswahl von Manuskripten geschieht), interessiert sich naturgemäß für den Erfolg oder Misserfolg anderer Autoren, und er wird versuchen, deren Schreibweise zu begreifen und den Pressereaktionen zu entnehmen, mit welchen Mitteln sie ihren Erfolg erreichen. Aus diesem Grund habe ich mich vor längerem mit den Romanen Joachim Helfers beschäftigt; durch seinen perfekten Kellner wurde dann Alain Claude Sulzer zum Shooting Star und Hätschelkind des Feuilletons. Auf den Kellner von Thomas und Klaus Mann folgte die Familienrecherche Zur falschen Zeit (s. Blog 20.9.2010), und nun (Herbst 2012) das vermeintliche opus optimum Aus den Fugen. Wieder steht die Presse Kopf und wirft mit Beurteilungen um sich, dass es nur so scheppert: „meisterhafte Komposition“, „strahlend üppiger Text“, „ein Kleinod“ und „virtuos erzählt“, na, das macht doch neugierig. Alain Claude Sulzers Erfindung der Literaturtapete weiterlesen

Außenseiter sind sexy

Soeben ist ein kleiner Essay veröffentlicht worden: „Wie der Keim einer Südfrucht im Norden – Kleist, Kafka und andere Außenseiter der Literatur“. Der Text bezieht in mancher Hinsicht kontrovers Position, und es würde mich sehr interessieren, was andere zu diesem Thema zu sagen haben; deshalb eröffne ich mit diesem Eintrag die Diskussion. Das Buch selbst gibt es gedruckt oder als Ebook zu kaufen, man sollte es möglichst gelesen haben, bevor man sich an der Diskussion beteiligt. Außenseiter sind sexy weiterlesen

Stephen Spender und Günter Grass oder was kann die Poesie

Der englische Dichter Stephen Spender beschreibt in seinem Roman „Der Tempel“ aus dem Jahr 1931, was gute und was schlechte Lyrik ist. Als Beispiele nimmt er Siegfried Sassoon und Wilfred Owen. Seine Romanfiguren Wilmot (d.i. W.H. Auden) und Paul (d.i. Spender) führen als Studenten in Oxford dieses Gespräch. Auden beginnt:

„Siggy TAUGT NICHTS. Seine Kriegsgedichte HAUEN NICHT HIN.“
Wilmot betonte bestimmte Worte mit fast absurdem Nachdruck, als wären sie aus der Heiligen Schrift.
„Zählen Sassoons Gedichte nicht zur modernen Lyrik?“, fragte Paul.
„Siggy VERKÜNDET WAHRHEITEN. Er VERTRITT MEINUNGEN. Ein Gedicht über die Kämpfe an der Westfront schließt bei ihm mit der Zeile: ‚O Jesus, lass es enden!‘ Das KANN ein Dichter nicht sagen.“
„Was hätte er dann schreiben sollen?“
„Alles, was ein Dichter tun kann, ist, die GELEGENHEIT zu ERGREIFEN, die die Situation ihm bietet, um ein KUNSTWERK AUS WORTEN zu schaffen. Der Krieg ist einfach Material für seine Kunst. Ein DICHTER kann den KRIEG NICHT BEENDEN. Alles, was er tun ist, ist ein Gedicht zu machen aus dem MATERIAL, das er ihm liefert. Wilfred hat geschrieben: ‚Alles, was ein Dichter heute tun kann, ist warnen.‘“
„Wilfred?“
„Wilfred Owen, der einzige Dichter, der sich eine EIGENE SPRACHE der Westfront geschaffen hat. Wilfred sagt nicht: ‚O Jesus, lass es enden!‘“

Mehr ist zum Thema Grass im Grunde nicht zu sagen. Aber wie Thomas Steinfeld in der SZ ganz richtig sagt, im Grunde hat Grass einen Leserbrief geschrieben und kein Gedicht.
Spenders „Der Tempel“ wird auf deutsch übrigens im Herbst 2012 neu erscheinen.

Kracht gegen Krüss oder: ein schwuler Helgoländer in der Südsee

Autor beim Verlag Kiepenheuer und Witsch zu sein erweist sich wieder einmal als Abenteuer. Hatte erst vor wenigen Jahren eine anonyme Literaturwissenschaftlerin versucht, Kiepenheuer-Autor Zaimoglu als Plagiator von Kiepenheuer-Autorin Özdamar zu „entlarven“, so wird das Klima nun rauer, indem Kiepenheuer-Autor Diez Kiepenheuer-Autor Kracht als rassistischen Herrenmenschen bloßstellt, es dann aber wohl doch nicht so gemeint hat. Nun ja, andere Verlage, andere Sitten.
Nachdem Herr Kracht in seinem „Faserland“ nicht mehr heimisch ist, befindet er sich auf Reisen, und da er Schriftsteller ist, schreibt er darüber. Damit das nicht ganz so banal daherkommt, verwendet er seine frisch erworbene Ortskenntnis für historische Travestien: „Imperium“ gibt vor, in den pazifischen Besitztümern des letzten deutschen Kaiserreichs zu spielen, wo der versponnene Vegetarier Engelhardt die Welt mit Hilfe der Kokosnuss zu retten versucht. Man denkt sofort Mr. Smith, der in Graham Greenes „Comedians“ auf Haiti vegetarische Produkte in Mode bringen will (in der Verfilmung gespielt von Paul Ford). Für eine Nebenfigur mag das angehen, sich für die Hauptfigur Engelhardt zu interessieren fällt dagegen nicht ganz leicht.
Unter der Überschrift: „Wir wollen nun über die Liebe sprechen“, bekommt Engelhardt unverhofften Besuch: Aueckens, ein blonder junger Mann von Helgoland, sehr beziehungsreich, da Helgoland gerade erst gegen Sansibar und andere Inseln von England eingetauscht wurde. Aueckens ist „ein erstklassiger Mistkerl“ und schwul. Sofort erzählt er, wie er erfolglos versucht hat, einen jungen Helgoland-Touristen recht rabiat zu vernaschen. Den Misserfolg führt er darauf zurück, dieser junge Mann sei ein ungewaschener Jude gewesen. Als er kurz nach seiner Ankunft den malaiischen Boy Engelhardts, Makeli, brutal vergewaltigt, wird er, mit einem runden Gegenstand erschlagen, tot aufgefunden. Makeli verehrt seinen weißen Herrn seitdem noch inniger.
Kracht mag hier ein wenig durcheinander gekommen sein. Selbst heute, wo in der Tat viele Homosexuelle diese Weltgegend als Sextouristen bereisen, sind die heterosexuellen Europäer weit in der Überzahl, umso mehr zu Beginn des 20. Jhdts. Man ist es irgendwann leid, dass der Bösewicht, der im Roman kurz sein Unwesen treibt und dann natürlich sterben muss, so penetrant und einfallslos ein Schwuler zu sein hat. Und man fragt sich, was die Gegenüberstellung des brutalen Vergewaltigers einerseits, des innig verbundenen Freundespaares Engelhardt-Makeli andererseits wohl zu bedeuten haben mag.
Wer sich für deutsche Herrenmenschen im Kolonialdienst S.M. interessiert, dem sei Hans Dieter Schreebs Roman „Hinter den Mauern von Peking“ aus dem Jahr 1999 empfohlen, auch hier ist der Herrenmensch schwul, aber immerhin eine der Hauptfiguren. Kracht ist in Sachen politischer Korrektheit sicherlich nichts vorzuwerfen, dafür ist sein „Imperium“ ganz einfach zu zahnlos, vor allem, wenn es Vergleiche zu Graham Greene provoziert.