Archiv der Kategorie: Schwule bei Heteros

Schwule Figuren – mal anders

Im Restaurant: Schwule Tischnachbarn in der Literatur

ziegler.jpgWenn man erst mal sensibel geworden ist für eine Sache, begegnet man ihr plötzlich allerorten. So geht es mir mit den „schwulen Nachbarn“ aus der Perspektive der Heterosexuellen, den Begegnungen heterosexueller Figuren mit dem Schwulen in der – wie soll man sagen? – heterosexuellen Literatur. (Habe ich nicht eine Anthologie unter diesem Titel herausgegeben? :-)) Wenn im wirklichen Leben ein heterosexueller Mann zwei Männer innig umarmt sich küssen sieht, so meine These, löst das etwas bei ihm aus. Aber was? Was macht die Literatur aus solchen „Konfrontationen“? Wenn heterosexuelle Figuren einer „schwulen Situation“ begegnen, die sie also solche wahrnehmen – was sehen sie dann? Zwei jüngst gelesene Beispiele möchte ich anfügen, die sich unterscheiden wie Tag und Nacht.

HettcheThomas Hettches Roman „Woraus wir gemacht sind“ war eine der bemerkenswerten Neuerscheinungen des letzten Herbstes – nominiert für den deutschen Buchpreis. Ein deutscher Held kommt nach New York, fährt von dort aus nach Marfa in der texanischen Wüste und ist am Ende in Los Im Restaurant: Schwule Tischnachbarn in der Literatur weiterlesen

Entdeckung: Karnstedt verschwindet

karnstedt.JPGNein, nicht schon wieder klagen. Dass wieder ein Verlag es nicht fertig bringt, den zentralen schwulen Aspekt eines Buches auch in die Ankündigung und auf den Klappentext zu schreiben. Diesmal will ich mich freuen – darüber, dass ich dieses gut getarnte Buch trotzdem entdeckt habe: Alexander Häussers Roman „Karnstedt verschwindet“ – erschienen bei Knaus. Wie ich es entdeckt habe? Das letzte Buch von Häusser hatte mir auch schon gefallen …

Am Anfang des Romans steht das Ende. Karnstedt ist verschwunden. Etwa zwanzig Jahre nach Abitur, nachdem es einen Bruch gegeben hat zwischen ihm und Simon, dem Erzähler der Geschichte. Karnstedt hatte immer eine Macht ausgeübt auf Simon, die diesen fasziniert und auch erschreckt hat. Mit seinem Verschwinden erlangt Karnstedt nach zwanzig Jahren diese Macht über Simon zurück. Er zwingt Entdeckung: Karnstedt verschwindet weiterlesen

Fritz Lamm: Homosexueller Naturfreund

Wie haben uns schon manches Mal darüber Gedanken gemacht, warum „heterosexuelle“ Verlage, auch wenn sie etwas „Schwules“ machen, das Schwule so gerne verstecken. Halten sie es für rufschädigend, schwul draufzuschreiben, wo schwul drin ist. Für unverkäuflich?

Auf Breitbach und den kaschierenden Klappentext in seiner „Susanne Dasseldorf“ bei Wallstein hatte ich hier aufmerksam gemacht, Suhrkamp beispielsweise hatte aus Bernd-Ulrich Hergemöllers biographischem Lexikon zu „Mann-Männlicher Sexualität und Freundesliebe“ bei der TB-Ausgabe schlicht ein „biographisches Lexikon“ gemacht.

Fritz Lamm Jetzt kündigt der Klartext-Verlag eine politische Biographie von Michael Benz über Fritz Lamm an:
Jude – Linkssozialist – Emigrant – Naturfreund„. Aha.

Sucht man Lamm in Hergemöllers Männer-Lexikon, erfährt man: Lamm war schwul, hat deshalb u.a. in der SPD Redeverbot vor Jugendlichen bekommen. Wenn man dann ein bisschen googlet, entdeckt man weitere Hinweise: Bei Wikipedia wird die Biographie von Benz angekündigt unter dem (wohl mal geplanten?) Titel:

Michal Benz: Der lebenslange Außenseiter Fritz Lamm (1911-1977):
Jude, Linkssozialist, Emigrant, Homosexueller„.

Meint Homosexueller und Naturfreund das gleiche?
Warum wird aus dem Homosexuellen im Buchtitel jetzt ein Naturfreund?
Ist das Klartext?
Der Verlag sollte sich schleunigst umbenennen!

Typisch deutsch? Schwule nicht in der Literatur?

„Schwule Nachbarn“ heißt eine Anthologie, die ich bei Männerschwarm herausgebe und die im März erscheint. Heterosexuelle Autoren schreiben Begegnungen mit dem Homosexuellen. Etwas Besonders daran ist nur, weil sie es sonst nicht tun. Wenn ich über mögliche Gründe nachdenke, komme ich auch auf die Frage nach dem Stellenwert, den das Schwule überhaupt in der Literatur hat – besonders in der Deutschen.

Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts erschienen Bücher wie Robert Musils „Verwirrungen des Zöglings Törleß“ (1906), Thomas Manns „Tod in Venedig“ (1912) oder Stefan Zweigs „Verwirrung der Gefühle“. Das Thema Homosexualität ist präsent, doch wird es entweder metaphorisch aufgeladen, mit Krankheit, Tod oder auch der „Zwecklosigkeit“ verbunden, oder im Geiste Emanzipationsbewegung pädagogisiert. Anders als der Franzose André Gide, Typisch deutsch? Schwule nicht in der Literatur? weiterlesen

Noch einmal: Littell: Les Bienveillantes / Die Wohlwollenden

Hajü hat im Oktober (ganz weit unten hier, deshalb kein Kommentar, würde ja kaum jemand finden) schon auf das Buch des in Frankreich aufgewachsenen Amerikaners hingewiesen, auch auf die tolle Resonanz, den dieser Roman in den Feuilletons hervorgerufen hat: Endlich ein Roman über den Nationalsozialismus und seine Verbrechen – aus Sicht der Täter. Und dass der Täter schwul ist, na klar, das wissen wir Noch einmal: Littell: Les Bienveillantes / Die Wohlwollenden weiterlesen

DDR 1979: Dieter Nolls Roman „Kippenberg“

Beschäftige mich gerade noch mal mit der DDR, mit den Spuren, die schwules/homosexuelles Leben in der DDR-Literatur hinterlassen hat. Eigentlich wird hier erst ab den achtziger Jahren „gezählt“. Nun habe ich nochmal Dieter Nolls Roman „Kippenberg“ aus dem Jahr 1979 gelesen, der uns auf Ebene der Handlung ins Jahr 1966 führt …… Und Noll hatte ein Millionen-Publikum!

Olaf Brühls „subjektive Chronik“ unter dem Titel „Sozialistisch und schwul“ (in: Homosexualität in der DDR. Materialien und Meinungen, Biblothek rosa Winkel Bd. 42, 2006) verzeichnet für die 50er bis 70er Jahre lediglich einige Brecht-Aufführungen („Leben König Eduard des Zeiten von England“, Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar“, „Ballade von der Freundschaft“, „Baal“ u.a., auch Frank Wedekinds „Frühlings Erwachen“), Auflagen von Klaus Manns „Wendepunkt“, Werken James Baldwins oder André Gides und Ulrich Berkes Gedichtband „Ikarus über der Stadt“. „Aber wohin tragen wir tags alle Zärtlichkeiten?“, fragt der Lyriker in seinem 1976 erschienenen Gedicht „Orte der Liebe“, in dem er vorsichtig das nächtliche Treiben in den cruising areas andeutet. Sehr vorsichtig.
Bert Thinius nennt in seinem Essay „Erfahrungen schwuler Männer in der DDR und Deutschland-Ost“ (ebenfalls im oben genannten Materialienband) gerade einmal drei wissenschaftliche Titel, die vor 1989 erschienen sind. Er zitiert darüber hinaus Kurt Bachs Lehrbuch „Geschlechtserziehung in der sozialistischen Oberschule“ aus dem Jahr 1974, in dem Bach betont wissenschaftlich-aufklärend und ganz neutral argumentiert, wenn es um Konsequenzen im sozialen Leben geht, aber meint: „Man soll sich nicht mit Homosexuellen befreunden oder ihre Gesellschaft aufsuchen, aber man soll sie auch nicht verunglimpfen.“

Ganz auf der Ebene einer „wissenschaftlichen Weltanschauung“ bewegt sich auch der bislang in diesem Zusammenhang kaum erwähnte Roman „Kippenberg“ von DDR 1979: Dieter Nolls Roman „Kippenberg“ weiterlesen

Partystimmung mit schwulem Massenmörder

Ungebrochen virulent ist das Klischee des schwulen Nazis. Konnte man vor kurzem in den Feuiletons hierzulande erleben, dass die Mitgliedschaft in der Waffen-SS zur Promotion eines Bestsellers ein wunderbar taugliches Mittel ist, so toppt ein Phänomen in Frankreich diese (Werbe-)Kampagne noch: Jonathan Littell schrieb mit „Les bienveillantes“ (erschienen bei Gallimard) einen Mega-Bestseller, den der Verlag jeweils 100.000-fach nachdruckt. Protagonist und Erzähler in Littells Roman ist ein SS-Einsatzgruppenleiter, Max Aue: Stalingrad, Massaker an jüdischen Ukrainern, Verehrer Ernst Jüngers, Muttermörder – und stockschwul! Endlich ein Bericht aus der Täterperspektive, jubelt das Feuilleton, Partystimmung mit schwulem Massenmörder weiterlesen

Schwule angekommen im Bewusstsein der Literatur?

Erinnern wir uns an einen interessanten Roman von Sten Nadolny, vor Jahren erschienen: „Selim oder die Gabe der Rede“. In der Konfrontation mit dem fremden, morgenlaendischen Selim erfaehrt sich der Erzaehler am Ende selber als fremd. Er merkt ploetzlich, dass er Linkshaender ist. Waere er nicht auf den „Anderen“ gestossen, haette er sich selbst nie als „anders“ wahrgenommen. Abgesehen davon, dass hier auf sehr schoene Weise gezeigt wird, wie produktiv die Begegnung mit dem Andersdartigen fuer die sein kann, die sich fuer „normal“ halten, geht die Geschichte irgendwie weiter:

Selim bleibt ein Einzelkind

Unter diesem Titel schreibt neulich Schwule angekommen im Bewusstsein der Literatur? weiterlesen