Alle Beiträge von Detlef Grumbach

Über Detlef Grumbach

Detlef Grumbach gehört zum Team von Männerschwarm und arbeitet obendrein als freier Kulturjournalist. Schwule Bücher machen, sie "verkaufen" und Literatur insgesamt beobachten - das soll sich hier niederschlagen.

Entdeckung: Karnstedt verschwindet

karnstedt.JPGNein, nicht schon wieder klagen. Dass wieder ein Verlag es nicht fertig bringt, den zentralen schwulen Aspekt eines Buches auch in die Ankündigung und auf den Klappentext zu schreiben. Diesmal will ich mich freuen – darüber, dass ich dieses gut getarnte Buch trotzdem entdeckt habe: Alexander Häussers Roman „Karnstedt verschwindet“ – erschienen bei Knaus. Wie ich es entdeckt habe? Das letzte Buch von Häusser hatte mir auch schon gefallen …

Am Anfang des Romans steht das Ende. Karnstedt ist verschwunden. Etwa zwanzig Jahre nach Abitur, nachdem es einen Bruch gegeben hat zwischen ihm und Simon, dem Erzähler der Geschichte. Karnstedt hatte immer eine Macht ausgeübt auf Simon, die diesen fasziniert und auch erschreckt hat. Mit seinem Verschwinden erlangt Karnstedt nach zwanzig Jahren diese Macht über Simon zurück. Er zwingt Entdeckung: Karnstedt verschwindet weiterlesen

Heteronormatives Word

Wenn ich so wenig im Blog bin, liegt das daran, dass ein Verlag ein Saisonbetrieb ist – wie ein Spargelbauer. Es werden also gerade die Frühjahrstitel angehäufelt, korrekturgelesen, gesetzt, druckfertig gemacht. Das kostet viel Zeit.

In einem wissenschaftlichen Sammelband geht es um Heteronormativität und Männlichkeiten. Was es da alles gibt! Ich lese aufmerksam und das schwierige Wort flutscht mir schon beinahe im Schlaf richtig aus den Fingern in die Tastatur – Heteronormativität. Ich find das klasse.

Dann lese ich den nächsten Porno von Fabian Kaden. Das ist einfach, denke ich, da tut es auch die Rechtschreibprüfung von Word – nebst Grammatik, alles neue Regeln. Word korrigiert – und ich kann mich auf die Männlichkeiten konzentrieren. Gibt ja reichlich davon in dem Buch.
Aber was passiert?:

Im Manuskript heißt es an einer hier extra ausgewählten, ganz unverdächtigen und eher romantischen Stelle:

„Ich beobachtete Philipps Gesicht, während Carlo sprach. Es verströmte soviel Zuneigung. Ob er seinen Ex noch liebte?“

Und das „seinen“ natürlich dick und grün unterkringelt. Grammatikfehler. Ich kann auf den ersten Blick keinen entdecken. Also rechte Maustaste! Was schlägt Word vor:

Ob er seine Ex noch liebte?

Heteronormativität – jetzt weiß ich auch, was das im Verlagsalltag bedeutet!

Fritz Lamm: Homosexueller Naturfreund

Wie haben uns schon manches Mal darüber Gedanken gemacht, warum „heterosexuelle“ Verlage, auch wenn sie etwas „Schwules“ machen, das Schwule so gerne verstecken. Halten sie es für rufschädigend, schwul draufzuschreiben, wo schwul drin ist. Für unverkäuflich?

Auf Breitbach und den kaschierenden Klappentext in seiner „Susanne Dasseldorf“ bei Wallstein hatte ich hier aufmerksam gemacht, Suhrkamp beispielsweise hatte aus Bernd-Ulrich Hergemöllers biographischem Lexikon zu „Mann-Männlicher Sexualität und Freundesliebe“ bei der TB-Ausgabe schlicht ein „biographisches Lexikon“ gemacht.

Fritz Lamm Jetzt kündigt der Klartext-Verlag eine politische Biographie von Michael Benz über Fritz Lamm an:
Jude – Linkssozialist – Emigrant – Naturfreund„. Aha.

Sucht man Lamm in Hergemöllers Männer-Lexikon, erfährt man: Lamm war schwul, hat deshalb u.a. in der SPD Redeverbot vor Jugendlichen bekommen. Wenn man dann ein bisschen googlet, entdeckt man weitere Hinweise: Bei Wikipedia wird die Biographie von Benz angekündigt unter dem (wohl mal geplanten?) Titel:

Michal Benz: Der lebenslange Außenseiter Fritz Lamm (1911-1977):
Jude, Linkssozialist, Emigrant, Homosexueller„.

Meint Homosexueller und Naturfreund das gleiche?
Warum wird aus dem Homosexuellen im Buchtitel jetzt ein Naturfreund?
Ist das Klartext?
Der Verlag sollte sich schleunigst umbenennen!

Typisch deutsch? Schwule nicht in der Literatur?

„Schwule Nachbarn“ heißt eine Anthologie, die ich bei Männerschwarm herausgebe und die im März erscheint. Heterosexuelle Autoren schreiben Begegnungen mit dem Homosexuellen. Etwas Besonders daran ist nur, weil sie es sonst nicht tun. Wenn ich über mögliche Gründe nachdenke, komme ich auch auf die Frage nach dem Stellenwert, den das Schwule überhaupt in der Literatur hat – besonders in der Deutschen.

Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts erschienen Bücher wie Robert Musils „Verwirrungen des Zöglings Törleß“ (1906), Thomas Manns „Tod in Venedig“ (1912) oder Stefan Zweigs „Verwirrung der Gefühle“. Das Thema Homosexualität ist präsent, doch wird es entweder metaphorisch aufgeladen, mit Krankheit, Tod oder auch der „Zwecklosigkeit“ verbunden, oder im Geiste Emanzipationsbewegung pädagogisiert. Anders als der Franzose André Gide, Typisch deutsch? Schwule nicht in der Literatur? weiterlesen

Computer Hexameter

Mit der Schwulen Literatur ist es nach den hitzigen Debatten hier nicht so weit her.
Die Verleger schreiben Ankündigungen fürs nächste Frühjahr,
die Rezensenten rezensieren die letzten Titel des letzten Herbstes, …

Da will ich doch mal in fremden Gefilden wildern.
Habe ein wunderbares Gedicht gefunden über die Plage mit dem Computer – und mit dem plagt sich ja auch jeder Blogger!

Hexameter

Nenne mir Muse den Mann, der von Neumanns Rechner durchschaut ganz;
Schlingen kann lösen spaghettiknotrigen Kodes Gewirre!
Zeit zu ersparen geschaffen, erzwingt er Schichten zur Nachtzeit.
Abstürzend treibt er des Blutes Druck hoch zu eil’ger Recover.
Sage uns! Knecht oder Herr ist der Mensch, der Maschine Erzeuger?
Hört doch der Rechner auf niemand, und lang überlebt er den Herrn.
Last soll er tragen, doch Macht übt er aus ohne Einsicht und G’horsam.
Einzeln noch recht, der Kontrolle im Cluster entrinnen die Mittel.
Frei von Gefühlen, Schwankungen fließet sein Denken.
Hören und Sprechen berühren ihn nicht, der des Subjekts ledig.
Taubstumm wie er noch erliegen sie ganz ihrem eigenen Zauber,
Hexer – mit Muse durch kritisches Denken nur leite zu Weitsicht!

Leider verschweigt meine Quelle den Autor.
Aber vielleicht hat der Gründe, seinen Namen nicht zu nennen.

Noch einmal: Littell: Les Bienveillantes / Die Wohlwollenden

Hajü hat im Oktober (ganz weit unten hier, deshalb kein Kommentar, würde ja kaum jemand finden) schon auf das Buch des in Frankreich aufgewachsenen Amerikaners hingewiesen, auch auf die tolle Resonanz, den dieser Roman in den Feuilletons hervorgerufen hat: Endlich ein Roman über den Nationalsozialismus und seine Verbrechen – aus Sicht der Täter. Und dass der Täter schwul ist, na klar, das wissen wir Noch einmal: Littell: Les Bienveillantes / Die Wohlwollenden weiterlesen

DDR 1979: Dieter Nolls Roman „Kippenberg“

Beschäftige mich gerade noch mal mit der DDR, mit den Spuren, die schwules/homosexuelles Leben in der DDR-Literatur hinterlassen hat. Eigentlich wird hier erst ab den achtziger Jahren „gezählt“. Nun habe ich nochmal Dieter Nolls Roman „Kippenberg“ aus dem Jahr 1979 gelesen, der uns auf Ebene der Handlung ins Jahr 1966 führt …… Und Noll hatte ein Millionen-Publikum!

Olaf Brühls „subjektive Chronik“ unter dem Titel „Sozialistisch und schwul“ (in: Homosexualität in der DDR. Materialien und Meinungen, Biblothek rosa Winkel Bd. 42, 2006) verzeichnet für die 50er bis 70er Jahre lediglich einige Brecht-Aufführungen („Leben König Eduard des Zeiten von England“, Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar“, „Ballade von der Freundschaft“, „Baal“ u.a., auch Frank Wedekinds „Frühlings Erwachen“), Auflagen von Klaus Manns „Wendepunkt“, Werken James Baldwins oder André Gides und Ulrich Berkes Gedichtband „Ikarus über der Stadt“. „Aber wohin tragen wir tags alle Zärtlichkeiten?“, fragt der Lyriker in seinem 1976 erschienenen Gedicht „Orte der Liebe“, in dem er vorsichtig das nächtliche Treiben in den cruising areas andeutet. Sehr vorsichtig.
Bert Thinius nennt in seinem Essay „Erfahrungen schwuler Männer in der DDR und Deutschland-Ost“ (ebenfalls im oben genannten Materialienband) gerade einmal drei wissenschaftliche Titel, die vor 1989 erschienen sind. Er zitiert darüber hinaus Kurt Bachs Lehrbuch „Geschlechtserziehung in der sozialistischen Oberschule“ aus dem Jahr 1974, in dem Bach betont wissenschaftlich-aufklärend und ganz neutral argumentiert, wenn es um Konsequenzen im sozialen Leben geht, aber meint: „Man soll sich nicht mit Homosexuellen befreunden oder ihre Gesellschaft aufsuchen, aber man soll sie auch nicht verunglimpfen.“

Ganz auf der Ebene einer „wissenschaftlichen Weltanschauung“ bewegt sich auch der bislang in diesem Zusammenhang kaum erwähnte Roman „Kippenberg“ von DDR 1979: Dieter Nolls Roman „Kippenberg“ weiterlesen

Joseph Breitbachs Gärtnerjunge: Ein bisschen bi – oder nicht doch stockschwul?

Breitbach Dasseldorf Joseph Breitbach kennen viele wegen des spektakulären Auftritts des „Joseph-Breitbach-Preises“ im Jahr 1998, der dem Literaturbetrieb wohl sagen wollte: Was ist schon der Büchner-Preis? Wir zahlen mehr!
Breitbach gelesen haben wenige. In einer Neuausgabe mit Materialienband lieferbar ist jetzt „Die Wandlung der Susanne Dasseldorf“. Der Roman handelt von einem Jahr in Koblenz unter amerikanischer Besatzung nach dem Ersten Weltkrieg. Es geht um Interessen der Franzosen und Amerikaner im Nachkriegseuropa, um die soziale Situation der Reichen und der proletarischen Schichten, um „Einquartierungen“, Fraternisierung und Schwarzmarkt und das ständige gegenseitige Belauern der Leute unter diesen Verhältnissen und um einem schwulen Gärtnerjungen Joseph Breitbachs Gärtnerjunge: Ein bisschen bi – oder nicht doch stockschwul? weiterlesen

Der letzte Bissen

Nun sitze ich auf Naxos im Sturmtief und mache mir meine Gedanken ueber die Repraesentanz des Homosexuellen in der Literatur (Eintrag von Gestern!) – statt zu lesen.

Einen Krimi zum Beispiel. Das kennen wir? Schmierige Homos als Eifersuchtstaeter, als Opfer einer Erpressung, als Strichjunge? Nicht so bei Leo P. Ard, einem Hamburger Krimi-Autor, der in den letzten Jahren vor allem Dehbuecher fuer Fernsehserien geschrieben hat und jetzt eine den Appetit verderbende Krimi-Satire auf Deutschland im vierten Jahr der absolutuen Fleischprohibition geschrieben hat: „Der letzte Bissen“. (Habe ich auf der Buchmesse mitgenommen, weil der Verleger (Grafit) meinte, das waere etwas fuer mich – warum auch immer?!) Mordopfer enden als Mortadella Der letzte Bissen weiterlesen