– und eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme des Hoffmann und Campe Verlags.
Klassiker, auch moderne Klassiker, müssen von Zeit zu Zeit neu übersetzt werden, das steht außer Frage. Im Fall von Isherwoods „Einzelgänger“ wurde nun allerdings eine vorliegende deutsche Ausgabe recht rabiat vom Markt verdrängt, um eine Neuausgabe zu veranstalten, die in vielem Wortgleich zur 9 Jahre älteren Übersetzung ist.
Ein beliebiges Beispiel:
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Und auf der Camphor Tree Lane wurden zwei Schilder aufgestellt. Das eine warnte davor, die Brunnenkresse zu essen, die entlang des Bachbetts wuchs, da das Wasser verschmutzt sei. (Die ehemaligen Kolonisten hatten sie jahrelang gegessen; auch George und Jim hatten sie probiert, und es hatte vorzüglich geschmeckt, und nichts war passiert.) Auf dem anderen Schild – finstere, schwarze Figuren auf gelbem Grund – stand: HIER SPIELEN KINDER.
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Und an der Camphor Tree Lane wurden zwei Warnschilder angebracht. Das eine warnt davor, auf keinen Fall die Wasserkresse zu essen, die am Rande des Bachs wächst, da dieser verunreinigt sei. (Jahrelang hatten die ehemaligen Koloniebewohner die Kresse gegessen; auch George und Jim haben sei probiert, sie schmeckte ihnen köstlich, und nicht ist passiert.) Das zweite Schild –diese sinistren schwarzen Silhouetten auf gelben Grund – besagt: SPIELENDE KINDER.
Die Unterschiede sind minimal; „schmutzig“ ist Flusswasser immer, ein Schild würde in Deutschland sicher vor „verunreinigten“ Wasser warnen, wie auch auf deutschen Verkehrsschildern „spielende Kinder“, und nicht „hier spielen Kinder“ zu lesen ist. Unter „Kolonist“ stellt sich der deutsche Leser einen mutigen Menschen vor, der in fernen Ländern Kolonien errichtet, und nicht den braven Bewohner einer Schrebergarten-Kolonie, wovon hier die Rede ist. (Thomas Melle schreibt an anderer Stelle auch von „Veteranen“, wo ganz einfach Kriegsheimkehrer, und keine Krüppel, gemeint sind.) Dass schwarze Buchstaben zusätzlich als „finster“ bezeichnet werden, ist doppelt gemoppelt, im Wort „sinister“ kommt die übertragene Bedeutung des Dunkels wohl besser zum Ausdruck.
Wie schon die alte Übersetzung verzichtet Melle darauf, die Aufschrift auf einem kleinen weißen Auto zu übersetzen: Dort steht „slow white“, eine Anspielung auf „Snow white“, also Schneewittchen; in der alten Übersetzung wurde hier in der Fußnote darauf hingewiesen, der Ausdruck sei in etwa mit „Schleichwittchen“ zu übersetzen.
Weshalb gibt Hoffmann und Campe Geld für eine Neuübersetzung aus, die gar nicht neu ist, lediglich in winzigen Details besser oder schlechter als der vorliegende Text? Der Hintergrund ist vor den Lesern verborgen.
2005 erschien im Männerschwarm Verlag eine gründlich überarbeitete deutsche Fassung des „Einzelgängers“. Als Tom Ford den Roman auf recht eigenwillige Art verfilmte – der starke Single wurde zum weinerlichen Homo -, kaufte uns Suhrkamp die Taschenbuchrechte ab. Da unser Hauptrecht für die deutsche Sprache ablief (das Hardcover war vergriffen), ließen wir diese sogenannte Nebenrechtsverwertung von den Rechteinhabern ausdrücklich genehmigen. Die Taschenbuchausgabe bei Suhrkamp verkaufte sich gut und war lieferbar, als plötzlich Don Barchardi, der Erbe Isherwoods, eine neue Agentur mit der Vertretung des Copyrights beauftragte. Die Firma Wileys ist dafür bekannt, astronomische Summen für ihre Autoren auszuhandeln. Vermutlich ohne zu wissen, dass bereits eine deutsche Ausgabe existierte, verkaufte Wileys die Rechte an Hoffmann und Campe, wo man von unserer Ausgabe bzw. der Taschenbuchlizenz bei Suhrkamp vermutlich ebenfalls nichts wusste. Als man das Malheur bemerkte, wandte man sich nicht etwa an uns als Inhaber der deutschen Rechte, sondern machte Suhrkamp die Hölle heiß, die uns ebenfalls nicht darüber informierten, sondern ihre Taschenbuchausgabe stillschweigend vom Markt nahmen. Wir erfuhren nur indirekt davon, indem auf einer Abrechnung der Lizenzgebühren plötzlich das Ende dieser Ausgabe verkündet wurde. Es ist schon frech, dass die Großkopferten im internationalen Rechtehandel bestehende Verträge mit Füßen treten und es nicht einmal für nötig halten, mit einem Kleinverlag wie uns darüber zu reden. Das trifft in diesem Fall auch auf Suhrkamp zu, die zum eigenen Schaden keine Rücksprache mit ihrem Lizenzgeber genommen haben, als ein Gigant wie Wiley mit Anwälten drohte.
Dem Hoffmann und Campe Verlag ist für eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zu danken, indem man dem Kollegen Melle einen ganz offensichtlich überflüssigen Auftrag erteilt hat. Da kann man nur sagen: weiter so! Und dem schönen Buch wünsche ich viele Leser.
Sollte es diesen Leuten tatsächlich zuerst entgangen sein, dass schon eine Übersetzung vorlag? Entging es etwa den gevieften Kinogängern, dass Tom-Ford-Produkte in erster Linie beim Optiker anzutreffen sind? (Ich fand den Film übrigens OPTISCH recht ansprechend, Colin Firth trug eine wunderhübsche Brille, und sehr viel mehr erwarte ich von einem neueren Hollywoodfilm auch nicht.)
Wie schön passt auf das Ganze jedenfalls diese – nur leider etwas zu konventionelle – Strophe von Audens frühem Geburtstagsgedicht an Isherwood, On this Island, XXX, in dem wir zuvor von denjenigen hören, die „the complicated apparatus of amusement“ kontrollieren:
“Greed showing shamelessly her naked money / And all Love’s wandering eloquence debased / To a collector’s slang. Smartness in furs / And Beauty scratching miserably for food, / Honour self-sacrificed for Calculation / And Reason stoned by Mediocrity, / Freedom by Power shockingly maltreated / And Justice exiled till Saint Geoffrey’s Day.”
Bei der Brunnenkresse ging es weniger um verschmutztes Wasser als um die Gefahr der
Übertragung des Leberegels, für dessen Larvenstadium Schnecken, die in Feuchtgebieten leben, einen Zwischenwirt darstellen und über die Kresse in den menschlichen Organismus (als Fehlwirt) gelangen können.