aus einer Presseerklärung des Börsenvereins des deutschen Buchhandels über das Weihnachtsgeschäft:
„Unangefochten auf Platz eins der meistgenannten Titel in der Warengruppe Belletristik ist Ken Folletts „Sturz der Titanen“ (Lübbe). Auch der All Age-Titel „Smaragdgrün“ von Kerstin Gier (Arena) verkaufte sich sehr gut. Davon abgesehen sorgte eine Vielzahl kleinerer Titel für den Umsatz unter den belletristischen Büchern.
Unter den Sachbüchern ragte „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin (DVA) als Toptitel heraus, gefolgt von „Auf einen Kaffee mit Loki Schmidt“ (Loki Schmidt/Reiner Lehberger, Hoffmann und Campe). Ebenfalls oft nachgefragt waren „Life“ von Keith Richards (Heyne) und – nicht mehr ganz so begehrt wie zu Beginn der Adventszeit – Peter Seewalds Gespräche mit Papst Benedikt XVI. („Licht der Welt“, Herder).
Sarrazin – Loki Schmidt – Keith Richards – Benedikt XVI: wenn Gutenberg das gewusst hätte – vielleicht hätte er es bleiben gelassen.
Gutenberg, nicht Guttenberg!!
Selbe Quelle, Neujahrsumfrage des Börsenblattes zur Zukunft des Buches:
„Die in den letzten Jahren vollzogene Diversifizierung der Produktpalette – zum gedruckten Buch kamen erst die Hörbücher, dann die E-Books hinzu – hat zu einer Revolution in der Buchbranche geführt, die sich in steigenden Umsätzen niederschlägt. Da bei zunehmender Niveauverflachung der Massenmedien die Nachfrage nach anspruchsvoller Unterhaltung steigt, führt der Weg der Buchbranche auch 2011 weiterhin nach oben.“
Meint Hans-Olaf Henkel, „ehemaliger Manager und Altpräsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie“. Und verknüpft also „Buch“ ganz allgemein mit „Niveau“.
Der muß es doch wissen, oder?
Leider entspricht die Niveauverflachung der Massenmedien der Niveauverflachung des Massengeschmacks; ich muss Herrn Henkel also sehr widerwillig attestieren, dass er zu gut von den Menschen denkt.
Wie schreibt doch Wiktor Jerofejew so schön, als er sich über Krimiautoren lustig macht, die auch zur richtigen Literatur gehören wollen: „Die Auflagen geben ihnen Recht. Aber die Auflagen von Klopapier sind noch höher.“
Ist der „Massengeschmack“ wirklich verflacht?
Hat sich das Verhältnis der Verkaufszahlen von trivialer und „hoher“ Literatur in den letzten Jahren/Jahrzehnten tatsächlich verändert?
Gibt´s dafür Zahlen?
Harte Zahlen gibt es nicht, weil schließlich kein Verlag ein Interesse an einer Publikumsbeschimpfung hat – wer als hochnäsig gilt, wird abgestraft. Außerdem gibt es wohl keine allgemeingültige Definition, welches Buch in welche Kategorie gehört. Mir fällt ein Indiz ein: lange vor „Himmelstürmer“ gab es schon einmal eine solche Verlagsgründung, die sofort wieder pleite gemacht hat. Himmelstürmer dagegen verkauft sicher mehr als wir, und das anscheinend, ohne die Bücher selbst zu lesen (neuester Gag: eine Frühjahrsneuerscheinung heißt „Gegen Vaters Wille“).
Gegenfrage: wer bitte schön kennt noch einen Menschen, für den Literatur ALS KUNSTFORM ein fester Teil des Lebens ist? Mit dem man ein Gespräch über Literatur (nicht: „über Bücher“) führen könnte?
Der Massengeschmack hat sich gewiss nicht verflacht, er war immer flach und wird es immer bleiben. Und doch, scheint mir, hat sich etwas verändert. Nicht nur die Schwulen haben (nach der Formulierung, die, wie Bartholomae behauptet, von Dannecker stammt) zu Zeiten über ihrem Niveau gelesen, sondern auch die Gesamtgesellschaft. Literatur hat heute wohl eine andere Bedeutung für die kulturelle Selbstvergewisserung als früher. Eine noch weiter randständige. Es gibt heute schlechterdings weit mehr Orte und Kanäle der Symbolproduktion. Heute ist eher möglichst wendige Medienkompetenz gefragt als literarische Bildung. Wenn überhaupt, liest man, was en vogue ist. Was oft vorkommt, gilt als erfolgreich – und kommt daher noch öfter vor.
Eine weitere Veränderung, sozusagen der Globalisierungsaspekt: Die Buchhandlungen sind fest in der Hand des Übersetzten. Man unterstelle mir bitte keinen Sprachnationalismus: Übersetzungen sind nötig. Manchmal sind sie gut, oft schlecht. So oder so aber ist es bezeichnend, dass es für den Großteil des Publikums keinen Unterschied zu machen scheint, ob sie einen Text im Original lesen oder aus zweiter Hand. Es geht wohl vornehmlich um den „Stoff“ („Inhalt“), die Form, die bei der schönen Literatur doch eminent sprachgebunden ist, interessiert wenig oder gar nicht.
Oder nur einige von denen, die selbst schreiben. Mit denen kann man dann auch über Literatur reden, nicht nur über Bücher …