Im Newsletter des Buchladens Max&Milian (München) erschien diese Auseinandersetzung mit zwei Übersetzungen Sandro Pennas, die ich mit freundlicher Erlaubnis des Verfassers hier komplett wiedergebe:
„Qual und Entzücken“ lautete der Titel des wunderschönen Büchleins mit Gedichten von Sandro Penna, das 1985 im Verlag Beck & Glückler erschien, längst vergriffen. Jetzt sind etliche seiner Gedichte in einer Neuübersetzung unter dem Titel Mein Junge hat leichte Federn im Pano Verlag erschienen – ein Lehrbeispiel, wie unterschiedliche Übersetzungen vor allem Gedichte ‚manipulieren‘ können. Ein paar Vergleiche sollen dies verdeutlichen. Die frühere Übersetzung stammt von Reinhard von der Marwitz (M), die neue von Christoph Ferber (F). Jeder mag selber entscheiden, was er zutreffender findet* – mein Herz schlägt eher für die Qual und das Entzücken…
Innenraum
Beim Portier war keiner.
Das Licht lag auf ungemachten,
einfachen Betten. Und auf einer Pritsche
schlief ein bildschöner
Bursche.
Aus dem Dunkel seiner Arme
Schlüpfte, zögernd, ein Kätzchen.
(M)
Interieur
Beim Hauswart war niemand.
Licht fiel auf die armen, verwühlten
Betten. Auf einem Holzbrett
schlief ein kräftiger, sehr schöner
junger Mann.
Aus seinen dunklen
Armen sprang zögernd ein Kätzchen.
(F)
********
Ins kühle Pissoir am Bahnhof
stieg ich vom sengenden Hügel hinab.
Staub und Schweiß auf meiner Haut
berauschen mich. In den Augen singt noch
die Sonne. Jetzt geben sich Körper und Seele hin
zwischen leuchtend weißem Porzellan.
(M)
In die frische Bahnhofstoilette
tret ich vom brennenden Hügel.
Staub auf der Haut und Schweiss
sind berauschend. In den Augen
singt noch die Sonne. Seele und Körper
leg ich nun ab zwischen weissschimmernden
Fliesen.
(F)
********
Ich fand mein Engelchen
Auf einem anrüchigen Parkett.
Es rauchte einen Glimmstengel
und hatte blanke Augen…
(M)
Mein sauberes Engelchen hab ich
gefunden in sauberer Runde.
Im Mund einen Zigarettenstummel,
die Augen schimmerten wahrlich…
(F)
Und hier auch noch die Originale:
Interno
Dal portiere non c’era nessuno.
C’era la luce sui poveri letti
disfatti. E sopra un tavolaccio
dormiva un ragazzaccio
bellissimo.
Uscì dale sue braccia
Annuvolate, esitando, un gattino.
Nel fresco orinatoio alla stazione
sono disceso dalla collina ardente.
Sulla mia pelle polvere e sudore
m’inebbriano. Negli occhi ancora canta
il sole. Anima e corpo ora abbandono
fra la lucida bianca porcellana.
Trovato ho il mio angioletto
fra una losca platea.
fumava un sigaretto
e gli occhi lustri avea…
Übersetzung muss mehr sein als Junge mit leichten Federn! 😉
Also, für mich persönlich ist Italienisch zwar nur ein Dialekt des Spanischen, aber hier mal meine Version:
„Innenraum“
(Interieur tönt so, und das find ich schwülstig)
„Beim Pförtner war keiner.“
(das muss ganz alltäglich klingen, weil: Man sagt das zehnmal am Tag in diesen Ländern, wo man nur mit Portier wohnen kann)
„Nur das Licht auf armen Betten,
ungemacht.“….
(hier muss man sich zum ersten Mal wirklich entscheiden: „zerwühlt“ trifft es inhaltlich besser, sagt aber, finde ich, zu früh zu viel)
… „Und auf einer Pritsche“ (das ist zumindest die lexikalische Entsprechung, wie man auf „Holzbrett“ kommt, weiß ich nicht)
„schlief ein strammer Bursche
wunderschön“
(das ist ein ganz einfacher Teil, aber wie die beiden Herren das aufgepimpt haben! Vor allem der F, der dafür so viele viele Worte braucht… umständlich!)
„Aus seinen Armen schlüpfte,
zögerlich, ein Kätzchen.“
(auch das ist – wie gesagt – einfach! Wo sich das Dunkel von M und F verbirgt, weiß ich nicht, soweit ich das sehe, jedenfalls nicht im Arm des strammen Burschen, aber ich kann bloß Spanisch)
„Ins kühle Pinkelhaus am Bahnhof“
(Pinkelhaus, denn Bedürfnisanstalt passt nicht ins Metrum. Die Bremer mögen es verzeihen …)
„stieg ich hinab vom sengenden Hügel“
(brennen ist nicht das selbe wie sengen, Herr F, und selbst wenn die Sonne brennt, so nicht der Hügel – der wird gesengt!)
„Staub und Schweiß auf meiner Haut
berauschen mich. Vor den Augen tanzt noch
die Sonne“…
(es handelt sich um ein an sich alltägliches optisches Phänomen, das mir für Leser in Ländern mit wenig intensiver Sonneneinstrahlung schon schwer genug verständlich scheint. Da muss man es den Leuten nicht noch schwerer machen! Ich setze mich über die lexikalisch zutreffende Übersetzung hinweg, zumal ich Zweifel habe, dass diese expressionistisch-oximoronhafte Wirkung intendiert war, die das „Singen“ der Sonne hätte)
… „Körper und Seele gebe ich
für blendend weißes Porzellan auf.“
(wer scherzhaft von der „Porzellanabteilung“ spricht, meint wahrlich nicht die Fliesen, Herr F. Und an Herrn M: mag sein, dass Sie das so verstehen – im Text steht es so nicht)
„Gefunden habe ich mein Engelchen
auf einem schlüpfrigen Parkett“
(wir waren doch alle schon mal an einer italienischen Autobahnraststätte Pipi machen, oder? „schlüpfrig“ ist das Wort! Und die Übersetzung F ist hier zumindest grob fahrlässig, wenn nicht sogar sinnverfremdend: sauberes Engelchen in sauberer Runde — das steht da nicht, das hat der Übersetzer sich so ausgedacht, erfunden!)
„Er rauchte eine Zigarette
und seine Augen sprühten“
(ich war geneigt diesen Satz um ein keckes „mich an“ zu ergänzen, aber damit hätte ich den kunstvollen Abschluss komplett ruiniert. Irgendwie ergänzt sich dieses „mich an“ auch so. Ohne, dass es da steht, und das ist Teil der Kunst, finde ich)
Fazit: Wenn man italienische Gedichte liest, ist vielleicht besser, dass man nur Spanisch kann 😉
Ich hab’s doch vermutet, Marwitz haut durchaus manchmal zu sehr in die Kacke, das Problem kennen wir ja von der völlig verhunzten Suhrkamp-Ausgabe Garcia Lorcas, wo aus „Barca“ schnell mal „Barke“ wurde, obowohl „Boot“ gereicht hätte. Sie sind jetzt wohl dabei, das zu reparieren.
Marwitz (Herr M) ist von beiden noch der „werktreuere“ Überseter, finde ich. „Glimmstengel“ ist zwar etwas pseudo-salopp, wo doch „Zigarette“ genügt. Aber das ist lässlich, meine ich. Etwas problematischer finde ich diese Reflexivkonstruktion, mit der „Körper und Seele“ in seiner Version ein Eigenleben entfalten, obwohl es im italienischen Text eine Entscheidung des lyrischen Ichs ist, beides aufzugeben/loszulassen/auszuliefern. „Barke“ statt „Boot“ mag durchs Metrum und den ähnlichen Klang zu legitimieren sein – wenn ein „Nachen“ daraus würde, wäre ich allerdings auch dagegen 😉
Bei Ferber (Herrn F) verstehe ich die Motivation nicht, eine Überstezung von Sandro Penna anzufertigen, die anhand der hier dargereichten Exempel klar gegen v.d. Marwitz‘ Vorschlag abfällt. Freie Nachdichtung? In dieser Kategorie läge die Latte ungleich höher, als in der Disziplin Übersetzung…
So beschreibt übrigens der Pano-Verlag Ferbers Beitrag auf seiner Internetpräsenz:
„Die Übersetzungen sind eigenständige deutsche Gedichte, denen man das Original, das mitgedruckt wird, nicht anmerkt, dieses jedoch durch die Übersetzung bereichert.“
Mal abgesehen davon, dass das ein gutgemeinter Ansatz ist, mit dem aber irgendwas nicht ganz zu klappen scheint (das Beispiel, mit dem sich der Pano Verlag im Internet anpreist, bestätigt meinen Eindruck) ist auch in diesem Werbetextchen etwas schräg.
Denn natürlich müsste es: a) „bereichern“ heißen, nicht „bereichert“ – aber dann bereichern die Übersetzungen das Original und das ist irgendwie sinnlos, denn das hat das Original nicht nötig (auch nicht in der von Herrn F vorgeschlagenen Form). Oder b) es fehlt das Modalverb des Passiv („wird“), aber auch dann wird das Original durch die Übersetzung bereichert und es gilt weiterhin das unter a) bereits gesagte.
*kicher 😉
Egal, wie man es dreht oder wendet, was man da getan hat, bleibt – vielleicht nicht bloß sprachlich – etwas sinnlos…
Der Vollständigkeit halber:
Diese „dunklen Arme“: braccia / Annuvolate – span. brazos anublados, wobei annuvolato auch ensombrecido/oscurecido (por nubes, etc.) bedeuten kann. Wörtl.: überschattete, (von Wolken) verfinsterte Arme.
Saubere Runde / anrüchiges Parkett. Das „platea“ (Parkett, Parterre) ist offensichtlich dem Reim geschuldet: platea / avea. „Losca platea“ – gemeint ist ein dubioses Milieu. Dt. „Glimmstengel“ sicherlich etwas schief, aber wohl auch nur wegen „Engel“: angioletto/sigaretto. Engelchen – Glimmsténgelchen.
Was Lorca mit seinen dt. Übersetzern passiert ist, allen voran Enrique Beck, hat er allerdings selbst verschuldet. Behauptete er nicht, der Dichter müsse vor dem Dichten seine Intelligenz an der Garderobe abgeben? Duendehalber oder wie auch immer. (Dieser „Duende“ ist der mystische Rappel des Andalusiers, doch ich möchte nicht alles kleinreden.) Den penetranten pathetischen Gestus ist die span. Lyrik dieses Jahrhunderts jedenfalls kaum mehr losgeworden.
Vielen Dank, Monsieur Schlegel! annuvolate – anublado, ich hätte drauf kommen können (oder wenigstens nachgucken)… Aber meint der Sandro Penna dann damit nicht vielleicht die burscheligen Haarbüschel unter den Armen des Burschis? Wäre doch auch ein poetischer Gedanke, und ich höre, man rasierte sich damals noch nicht überall … 😉
Dass „Engel“ sich auf „Glimmstengel“ reimt, ist ja so platt wie wahr — der arme Herr M, mmer dieser Reimzwang 😉
Ja, ja, der famose „duende“ der „gallegos“ *kicher! In Argentinien sind die „duendes“ ganz putzige glücksbringende Zwerge. Kitschfigürchen, die man zu jedem beliebigen Thema und in jeder gewünschten Größe kaufen kann. Sehen ein bißchen aus, wie Gartenzwerge zur Wunschproduktion 🙂