Können Heterosexuelle Romane schreiben? Ein Kommentar zum Dt. Buchpreis 2009

Zwanzig Romane auf der Longlist des Buchpreises 2009, davon erschienen mir diese 5 lesbar. Ob einer davon preiswürdig ist? Vielleicht kann man aushandeln, welcher Text der Beste ist, aber im Grunde sind sie alle nur irgendwie gut.
Dieser Text ist ein kleiner Spaß, denn er beurteilt die eingereichten Texte lediglich anhand von 4-seitigen Leseproben, die in einem kleinen Lesebuch veröffentlicht wurden (und das im Buchhandel erhältlich ist). Wie sagt Oscar Wilde: zur Verkostung eines Weins muss nicht das Fass getrunken werden. Insofern: falls ich falsch liege – nichts für ungut, bitte widersprechen!

Angelika Overath („Flughafenfische“, Luchterhand) schreibt perfekt und sehr sympathisch im Stil der kultivierten bundesdeutschen Nachkriegsprosa, in dem schon tausende von Geschichten erzählt wurden. Die Sprache ist atmosphärisch, aber allgemein und unspezifisch, so dass der Text zwar beeindruckt, aber für einen Preis nicht wirklich in Frage kommt. Inhaltlich ist mit dem Betreuer eines Flughafenaquariums eine klassische Beobachterexistenz evoziert worden, dessen Beobachtungsgegenstände von der Autorin beliebig arrangiert werden können, denn jeder Mensch ist irgendwann einmal auf dem Flughafen. Diese Erzählweise ermöglicht viel und erschwert zu wenig, auch sie ist sehr sympathisch, aber ein wenig lau. Dieses Buch kann jeder jederzeit mit in den Urlaub nehmen, aber es muss keinen Preis erhalten. (Und gleich auf der ersten Seite steht der Satz: „… dass Tobias Augen auf der Bauchhaut des Rochen lagen.“ Das wäre eine schlimme Sache, gemeint ist doch wohl eher der Blick.)

Clemens Setz („Die Frequenzen“, Residenz) ist in einem Alter, in dem man, wenn es nach Viriginia Woolf ginge, noch keine Bücher veröffentlichen sollte (Jg. 1982). Er versucht das zu kompensieren, indem er wie ein alter Mann schreibt, nicht ins Universelle entrückt wie Frau Overath, aber wohlbekannt und ein klein wenig wie ein Märchenonkel. Der perspektivgebende Held ist ein Hausmeister oder Hausbesitzer, der wohl ein wenig älter ist als der Autor, denn immerhin ist seine Frau bereits verstorben. Als Hausmeister/ Hausbesitzer hat dieser Steiner eine ähnliche Beobachterposition wie Overaths Aquarist Tobias, schließlich kann jeder in diesem Haus wohnen oder verkehren. Setz erfreut die Leser mit einer bezwingenden, obwohl eher abwegigen Vorstellungskraft, das Besondere an diesem Buch, das junge Leser wohl mögen werden, sind die kleinen Weltansichten, die der Fantasie des Autors entspringen. Wenn Setz den alten+müden Steiner jedoch den Satz: „Time flies like an arrow“ mit „Zeitfliegen mögen einen Pfeil“ übersetzen lässt, verscherzt er sich die gerade erworbene Sympathie sehr schnell. Kalauer! (Falls die Handlung, wie angenommen werden muss, an einem Sylvesterabend beginnt, liegt der Tod seiner Frau an einem früheren Sylvesterabend eigentlich nicht „mehrere Monate“ zurück, sondern ein Jahr, oder?)

Peter Stamm („Sieben Jahre“, S. Fischer) hat sich die Raunächte, die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr, für seine Ehegeschichte ausgesucht. Sein Clou liegt darin, dass der Mann seiner Frau sagt: „Wir bekommen ein Kind“, und nicht etwa umgekehrt – das Kind wurde mit einer Art Leihmutter gezeugt, da die Gattin anscheinend keine Kinder bekommen kann. In biblischen Zeiten gebaren Mägde auf den Schoß der unfruchtbaren Herrin, das ist bekannt. Man kann sagen: Zielgruppenliteratur für Heterosexuelle, dabei im der ganzen Erzählhaltung sehr an Arnold Stadler erinnernd, bis hin zur sozial höherstehenden Gattin, worunter zu leiden der Mann nicht gern zugibt. Temporeich erzählt, wobei mir nicht klar ist, ob dieses Tempo der Geschichte wirklich guttut. Wen der Stoff interessiert, der wird eine sehr unterhaltsame Lektüre haben.

David Wagner („Vier Äpfel“, Rowohlt) möchte man eigentlich nicht kennenlernen, er sieht aus wie der Ehemann am Nebentisch, der mit markiger Stimme von Extremsportarten oder strategischen Erfolgen in Wirtschaft oder Politik berichtet. Umso mehr überraschen seine schönen, dabei unprätenziösen Sätze, in denen man sich so leicht verläuft. Er kann so schöne Worte wie „Hauptaggregatzustand“ schreiben. Und wenn er über „Spinett? Spinoza? Spinat“ sinniert, so ist das zwar eigentlich so verboten wie die Zeitfliegen des Herrn Setz, aber er rettet sich immerhin solcherart, dass diese Assonanzen das Wort Spinat wie ein Kunstwort erscheinen ließen. Bezogen auf diese Wortfolge stimmt das zwar nicht, soll aber mal so durchgehen. So geht’s dann weiter, scheinbar ein wenig liebenswürdig haltlos und zerstreut, dabei leider – er ist halt Journalist – insgeheim mit belehrender oder aufklärerischer Absicht, die leider nicht geheim bleibt. Falls der sich mal zu Literatur aufschwingt, könnte das gut werden! (Der Supermarkt ist übrigens ebenfalls eine Erzählwelt, in der sich alles abbilden lässt – Kinder, macht’s Euch doch mal ein wenig schwerer!)

Norbert Zähringer („Einer von vielen“, Rowohlt) ist zwar Stuttgarter, aber lebt in Berlin – und so schreibt er auch, eben eine Variante des „modernen Berliner Stils“ der zwanziger, dreißiger Jahre. Seine Geschichte spielt während des zweiten Weltkriegs, als Berlin bombardiert wird. Warum er sich diese Zeit ausgesucht hat, wird in der Leseprobe nicht so ganz klar, aber ich vermute, dass ihn bestimmte Berliner Charaktere, wie sie zu dieser Zeit noch deutlicher als solche zu erkennen waren, interessieren mögen. Diese Berliner Jungs, die um die Ecken flitzen, da denkt man an schmutzige Emil-Detektive. Der Schluss der Leseprobe bringt eine Überraschung, so dass man schließlich keine Ahnung hat, wie es weitergeht. Mir gefällt das, aber ob das zeitgeschichtliche Ambiente nicht irgendwann anstrengend wird, ist nicht auszuschließen.

Für die Shortlist wurden nun sechs Texte nominiert:
# Rainer Merkel: Lichtjahre entfernt (S. Fischer)
Guter Titel, leeres Gerede eines Mannes, der allgegenwärtige Skrupel mit Sensibilität verwechselt.
# Herta Müller: Atemschaukel (Hanser)
Die Erzählstimme hat Sex im Park. „Etwas Verbotenes. Es war absonderlich, dreckig, schamlos und schön.“ Genau, so würde das aber auch absolut jede/jeder beschreiben. Üben!
# Norbert Scheuer: Überm Rauschen (C. H. Beck)
Man soll nie Bücher lesen, die mit den Worten anfangen: „In unserer Kindheit war für meinen Bruder und mich das ganze Haus voller …“ Eine Bruderaufarbeitung, puh!
# Kathrin Schmidt: Du stirbst nicht (Kiepenheuer & Witsch)
Was ist schlimmer als eine Bruderaufarbeitung? Genau: eine Krankheitsaufarbeitung. Walter Vogt darf das, Robert Gernhardt auch, alle anderen nicht. (Erst recht nicht „putzig“!)
# Stephan Thome: Grenzgang (Suhrkamp)
Wir erinnern uns kurz: David Wagner kann „Hauptaggregatzustand” schreiben. Thome schreibt. „… alle Gedanken an das, was er dennoch als die dunkle Gestalt einer begangenen und nicht wieder ungeschehen zu machenden Dummheit zu erkennen begann.“ Auch ich sehe hier die Gestalt einer Dummheit deutlich vor Augen.
# Clemens J. Setz: Die Frequenzen (Residenz)
puh, immerhin einen Treffer!

(über die zehn weiteren Kandidaten der Longlist das Tuch des Schweigens)

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