Schweigen ist kein Fortschritt

Das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung vom 26. Januar zeigt auf seiner ersten Seite, wie leicht es auch heute noch passieren kann, dass die Linke nicht weiß, was die Rechte tut. Links schreibt der Afroamerikaner Uzodinma Iweala über die Wahrnehmung des Präsidentschaftskandidaten Barack Obama als „Schwarzer“ in einer angeblich „postrassistischen Gesellschaft“: „Ein Präsident Obama würde uns mit unserer gefährlichen Vorstellung konfrontieren, Farbenblindheit und Gleichberechtigung seien dasselbe. Wir würden lernen, was Fortschritt tatsächlich bedeutet, nämlich Respekt vor dem Anderssein und nicht, einen großen Bogen um dieses Anderssein zu machen.“
Wer meint, das sei nun wirklich ein alter Hut, wird eines Besseren belehrt, wenn er die rechte Spalte derselben Seite liest. Dort bespricht Jens-Christian Rabe den Roman „Zeit der Nähe“ des amerikanischen Autors William Maxwell: „Maxwell erzählt die Geschichte der beiden ungleichen Freunde Spud Latham und Lymie Peters.“ Rabe holt weit aus, um die Problematik zu erläutern, mit der jeder Autor konfrontiert ist, der sich an das Thema Pubertät heranwagt. Was jedoch die Verschiedenheit der „ungleichen Freunde“ ausmacht, erwähnt er mit keinem Wort: Lymie ist schwul.
Ich bin überzeugt, der Rezensent handelt aus den lautersten Motiven. Ihm geht es darum, die besondere Qualität des Romans hervorzuheben, und er weiß, dass jede Thematisierung der homoerotischen Grundströmung (mehr als „Erotik“ ist es nicht) eine erfolgreiche Werbung für „Zeit der Nähe“ vereiteln würde. Leider begreift er nicht, dass sein Verhalten nicht etwa die Lösung, sondern einen wesentlichen Teil des Problems darstellt: „Schweigen ist kein Fortschritt“.

Ein Gedanke zu „Schweigen ist kein Fortschritt

  1. Dazu hätte ich noch einen weiteren Titel als Anregung, einen Zufallsfund: Frank Meier: Gefürchtet und bestaunt: Vom Umgang mit dem Fremden im Mittelalter, Thorbecke 2007
    „Erzählt wird auch davon, dass selbst der eigene Mann oder die eigene Frau aufgrund der Geschlchterdifferenz als Fremde empfunden werden konnten und wie man auch mit Homosexuellen umging.“ (Umschlag)

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