Hempels Sofa – wie unschwul werden Ralf Königs Knollennasen?

„Vollziehen Sie mit «Hempels Sofa» eine sanfte Abkehr von Themen der Homosexualität?“ frage die Neue Zürcher Zeitung am 26.10.2007, und Ralf König antwortet: „Genau, nach 25 Jahren hab ich zu jeder schwulen Marotte etwa dreißig Comics gezeichnet. Ich sehe mich ja im Leben auch nicht auf einer schwulen Insel und mag mich auch in meinen Inhalten nicht mehr nur darauf beschränken. … Die Forderung war einmal: «raus aus dem Schrank». Aber mit den Jahren kann man eher den Eindruck haben, man macht es sich gemeinsam im Schrank gemütlich. In schwulen Zeitschriften geht es fast ausschließlich ums Schwulsein – alle Kunst, Kultur, Berichterstattung beschränkt sich darauf. Mag sein, dass die jüngere Generation das genau so will und braucht, mir ist das schon lange zu inhaltsleer.“
Natürlich drückt sich die noble alte Tante NZZ etwas gewunden aus. Was immer sie mit „Themen der Homosexualität“ gemeint haben mag, Ralf König hat es offenbar als „Darstellung schwuler Marotten“ verstanden. Was er darüber sagt, ist in allen Punkten vollkommen richtig – für eine immerwährende Nabelschau der schwulen Szene gibt die zumindest heutzutage nun wirklich nicht genug Interessantes her. Da andererseits die Medien sich nur dann „schwulen Themen“ zuwenden, wenn sie schrill und tuntig daherkommen, wie Ralf König im weiteren Verlauf des Interviews ebenfalls zutreffend beschreibt, kann man zu Recht folgern, dass wir noch weit von einem „normalen“ Umgang der Mehrheitsgesellschaft mit ihren schwulen Nachbarn entfernt sind.
Genauso, wie es mich herzlich wenig interessiert, wie ein schwuler Familienvater seinen Alltag und sein Sexualleben gestaltet, kann ich gut verstehen, dass Heterosexuelle mein Privatleben nicht weiter kümmert. Es gibt aber viele Anzeigen dafür, dass die jeweilige Lebensweise die Sicht auf die Welt um uns herum stark prägt. Wenn man – um nur ein Beispiel zu nennen – die Literatur zur Midlife-Krise von Schwulen und Heterosexuellen miteinander vergleicht (z.B. Krachts „Faserland“ und Aadlons „Alles im Fluss“), sind die Unterschiede beträchtlich. Insofern wäre es bestimmt eine Bereicherung des kulturellen und sozialen Lebens, wenn von beiden Seiten hin und wieder ein Blick über den Gartenzaun riskiert würde. Für Schwule ist das angesichts der großen Übermacht heterosexueller Veröffentlichung längst selbstverständlich und auch kaum zu vermeiden, die heterosexuellen Leser (und Journalisten) haben das vielfältige und spannende Angebot jedoch offenbar noch nicht entdeckt, das ihnen von schwulen Künstlern gemacht wird. Neugierige Heteros wie Elmar Klages, der vor einigen Jahren erklärt hat, was die Darstellungen schwulen Beziehungslebens, wie Ralf König sie zeichnet, ganz grundsätzlich vom heterosexuell Möglichen unterscheidet, sind bisher dünn gesät (in: „Mal mir mal nen Schwulen“, 1996).
Ein Verzicht auf schwule Nabelschau, wie Ralf König ihn jetzt flächendeckend verkündet, sollte deshalb bitte bitte nicht den Verzicht auf schwule Perspektiven bedeuten. In „Hempels Sofa“ beschränkt sich diese Perspektive auf den schwulen Vorzimmermann der Psychologin und gut gemeinte Ratschläge, das Sexualleben lockerer anzugehen. Damit ist dieser Bert das Gegenstück zum schwulen Sigi in „Wie die Karnickel“, der dort ganz ähnliche Aufklärungsarbeit an seinem Hetero-Nachbarn Horst leistet. Insofern reduzieren die beiden Comic-Romane, in denen Ralf König Schwule nur als Nebenfiguren auftreten lässt, diese Schwulen auf das Klischee des Briefkastenonkels für sexuelle Probleme, wie es ja auch das deutsche Fernsehen mit Matthias Frings und Lilo Wanders alias Ernie Reinhardt getan hat. Das ist naheliegend, aber sicherlich nicht der Weisheit letzter Schluss.
Die große literarische Bedeutung, die den Geschichten von Ralf König ohne jeden Zweifel zukommt, beruht auf der Durchdringung der Klischeevorstellungen über schwule Männer, die ihm gerade zu Anfang seiner Karriere noch viele böse Reaktionen seiner schwulen Leserschaft eingetragen hat, weil die sich nicht so unglamourös sehen wollte. Seine Zeichnung heterosexueller Figuren hat die Komplexität der schwulen Knollennasen noch nicht immer erreicht. Das ist kein Wunder, und natürlich verträgt das Genre ein gewisses Maß an Klischees ganz gut. Ich denke jedoch, dass die Rückkehr zu einer schwulen Erzählperspektive keine schlechte Idee wäre. Mir ist noch der „Fall Pleschinski“ gut im Gedächtnis, dessen Tonfall und Esprit unter dem Wechsel ins „heterosexuelle Fach“ leider sehr gelitten haben. Und schließlich gibt es eine immense Themenvielfalt zwischen Gott und Welt, mit der sich eine schwule Knollennase auseinander setzen kann! Die Schlange Luzi in den FAZ-Cartoons „Der Prototyp“ ist im Grunde natürlich eine böse Tunte, die ihre spezifische Sichtweise auch dann zum Ausdruck bringt, wenn es nicht um Schwules geht. Von solchen Geschichten will ich noch viel mehr lesen!

5 Gedanken zu „Hempels Sofa – wie unschwul werden Ralf Königs Knollennasen?

  1. Meine liebe, besorgte Johanna,

    ich kann Dich beruhigen. Einen ‚Verzicht auf schwule Erzählperspektive‘ wird es bei mir nicht geben, die will ich nicht und kann auch gar nicht vornehmen, da ich viel zu schwul lebe, fühle und denke, um die Perspektive zu wechseln. Aber zu Schwulsein als ‚Thema‘ habe ich einfach derzeit alles gesagt, was ich in meinem Fach in 25 Jahren zu sagen hatte. ‚Hempels Sofa‘ ist nur ein kleiner Schritt in eine andere Richtung, und schon ernte ich Besorgnis?
    Wie kams dazu: Nach den mühsamen 300 Seiten DSCHINN DSCHINN wollte ich nur eine schnelle, kleine, vergnügliche Story zeichnen, ohne grossen politischen oder sonstwelchen Anspruch, ausser zu erheitern, aber durchaus mit dem Ziel, auch mal wieder den Heteros, vielleicht besonders meiner weiblichen Leserschaft, ein deuliches Stück Identifikation zu bieten. Ich glaube, ich kann mich recht gut in die Nöte auch der Heteros hineinversetzen, nicht zuletzt, weil ich auch heterosexuelle Freunde habe, da krieg ich ja auch einiges mit. Und Männer sind eh alle gleich, Heteros können nur nicht so, wie sie wollen. Ich bin ja Heteropornogucker, und in der Unwahrheit der Pornofilme liegt die Wahrheit der eigentlichen Zustände. Ich habe dazu also durchaus etwas zu sagen. Es wäre schade und zu grosse Selbstbeschränkung, nicht über den ominösen Tellerrand zu gucken.

    Fakt ist: Mich gähnt das, was sich seit Jahren als ’schwule Kultur‘ bezeichnet, inzwischen an, und ich konnte mich nie wirklich mit dem, was Schwule tragen, hören, gucken wollen (oder sollen) identifizieren. Ich mochte mich nie in dieses Korsett der Klischees zwängen, ein Blick in meine CD- Sammlung würde zum Beispiel niemand Unbedarften auf die Idee kommen lassen, dass ich hier ein Schwuler wohnt. (Naja, bis auf links oben das Barbra Streisand-Fach, ich gebs ja zu). In den Comics spielen diese Klischees immer eine Rolle, weil ich sie selbst kurios finde und – zum Glück – meistens mit Humor nehme, in meinem Leben und dem meiner schwulen Freunde spielen sie aber nur bedingt eine Rolle.

    Dass Bert in ‚Hempels Sofa‘ nur eine Nebenfigur ist, war eine sehr bewusste Entscheidung, allerdings auch die Idee, dass ohne diese Nebenfigur in der Story gar nichts laufen würde, weil die Heteros es alleine nicht auf die Reihe kriegen mit ihrem Geschlechterkokolores. Das Buch zeichnete sich auch keineswegs locker aus dem Handgelenk. Die Hetero-Hauptfiguren vögeln erst und endlich ab Seite 90, vorher gab es sehr viel Beziehungsklärungs-Dialog, der mir natürlich nicht so leicht von der Hand ging wie der ‚übliche‘ Homo-Jargon.
    Also eine gewisse Ermüdung und Langeweile am ‚Thema‘ lässt mich den schwulen Tellerrand erklimmen, und wenn ich ‚Thema‘ schreibe, dann komm ich zum nächsten Dilemma. Für mich ist Schwulsein natürlich kein ‚Thema‘, wie für einen Hetero seine Heterosexualität kein ‚Thema‘ ist, sondern grosser Teil der eigentlichen Identität. Leider ist ’schwul‘ aber für Heteros nur ein Thema, eins unter vielen, dafür kann er/sie sich interessieren oder auch nicht, kann dem wohlwollend oder ablehnend gegenüber stehen, es ist nur ein Ding unter vielen, mit denen man sich beschäftigen kann, aber nicht muss. Klar, dass da mehr rauszuholen wäre, wenn man die ’schrill und bunt‘ Abteilung mal verlassen und in die Tiefe gehen würde, aber so sind die Medien nun mal nicht. Was ich sagen will: Der schwule Autor steckt immer auch in dem Dilemma, mit seiner Sicht der Dinge nur eine Randgruppe zu erreichen, nämlich Schwule, die, Voraussetzug, auch noch Bücher lesen. Es ist erstaunlich genug, dass ich mit meinen Comics über so viele Jahre mit ‚rein Schwulem‘ so eine breite Leserschaft erreichte. Aber ohne eine Figur, mit dem sich auch der heterosexuelle Mann und die heterosexuelle Frau identifizieren kann, läuft das auf Dauer nicht. Das habe ich zu lange vernachlässigt. Das begrenzt meine persönliche Sicht auf die Welt, was schade ist, und schadet den Auflagen, was fatal ist. Mein Durchbruch und grösster Erfolg war seinerzeit ‚Der bewegte Mann‘, und das wäre garantiert nicht so gekommen, wenn es in der Geschichte ausschliesslich um Schwule gegangen wäre.

    Zwei Dinge finde ich an Deinem Kommentar bezeichnend: Du beziehst dich auf das Interview in der NZZ, aber da stand doch noch mehr als meine Einsichten in die Schwulenthematik, da stand auch, was mich derzeit viel mehr beschäftigt, nämlich meine zutiefst ablehnende Haltung zu den Religionen und mein Engagement in der Giordano-Bruno-Stiftung. Ich nehme stark an, dass meine Buchinhalte demnächst verstärkt in diese Richtung gehen. ‚Prototyp‘ ist da ein erstes Beispiel, es hat Spass gemacht, in der FAZ für zwei Wochen täglich diesen Strip zu bringen, und Reaktionen von Leuten zu bekommen, die sonst nie ein Buch von mir angefasst hätten! Und es gab bemerkenswert heftige Reaktionen von Religiösen, das Buch Genesis sei für Christen und Juden heilig, etc. Blah Blah Blasphemie! Es gab gar wütende Abo-Kündigungen! Dagegen bewege ich mich im schwulen Zeitschriften- und Büchermarkt in einem wohlwollenden Delirium, ohne noch nennenswerte Reaktionen.

    Und abschliessend muss ich Dir leider sagen, dass in ‚Prototyp‘ die Schlange im Baum der Erkenntnis, in Anlehnung an Luzifer ‚Luz‘ heisst, aber keineswegs ‚Luzi‘. Und dass ich nicht einen Moment daran dachte, dass sie ‚im Grunde natürlich eine böse Tunte‘ ist. Es spielt im biblischen Paradies und sie ist einfach nur die Schlange im Baum. Ganz unschwul. Ich muss es wissen, ich bin der Schöpfer.

  2. Luzi wie auch Luz ist ja klar als Luzifer lesen, ich habe natürlich nicht gedacht, dass „Luzi“ ein Tuntennamen sei – aber nimm doch Gründgens als Mephisto in seiner Faust-Inszenierung: was wäre er denn, wenn nicht eine böse Tunte?
    Ansonsten sind wir völlig einer Meinung – das Schlagwort von der „Abkehr“ war in der letzten Zeit allerdings so oft zu hören, dass ich in aller Bescheidenheit einwenden wollte: Man kann doch prima über Flaschengeister oder das Paradies erzählen und sich den eigenen (und damit u.a. schwulen) Zugang zu Thema bewahren – wie Du es ja auch schon getan hast. Und wie ich sehe, war jede Besorgnis völlig überflüssig.
    Für die NZZ war bezeichnender Weise Deine Langeweile bei schwulen Themen, und nicht Deine neuen Interessen, der Aufhänger für die Überschrift, und deshalb bin ich hier vor allem darauf eingegangen. Zum Neuen kann man ja noch nichts sagen, außer: dass ich wirklich sehr gespannt darauf bin, was Dir alles noch einfällt!

  3. Hm, ist denn der Teufel ne Tunte? Im 70er Jahre Schocker ‚Der Exorzist‘ war der Teufel noch ein echter Kerl, wenn auch im Leib von Linda Blair. ‚DEINE MUTTER LUTSCHT SCHWÄNZE IN DER HÖLLE!“ kam jedenfalls mit grollender Dröhnstimme und keineswegs geschwuchtelt.

    Aber stimmt: Wenn Gründgens den Mephisto tuntig gibt, wenn meine Schlange (wie Du meinst) ne Tunte ist, wenn in der köstlichen Cartoon-Serie ‚Cow & Chicken‘ der Teufel hemmungslos rumschwuchtelt und (vor allem) in dem unsäglichen Mel Gibson-Jesusfilm ‚Die Passion Christi‘ der Satan auch höchst androgyne Züge trägt… selbst in Wilhelm Buschs ‚heiligem Antonius von Padua‘ sieht man den Deibel ja im Ballettkleidchen durch den Kamin entfleuchen… also der Teufel ne Tunte? Ein interessanter Gedanke. Und was sagt das aus über den Teufel oder besser die, die ihn sich heute so denken? Na, bei Mel Gibson ist das wohl klar, der alte Schwulenhasser. Ein sehr bedenklicher Film, sowieso, aber klar, dass der Satan ne feminine Figur ist. Da ist die Hölle wieder in Ordnung.

    Ansonsten stimmt, wir sind uns einig darin, dass Schwules durchaus auch in Geschichten vorkommen kann und vorkommen sollte, in denen es überhaupt nicht um Schwules geht. Die Art Gelassenheit meine auch ich allmählich erreicht zu haben. 🙂

  4. Hatte ich ganz vergessen: in Goethes klassischem Faust überlistet Gott den Teufel, indem er leicht bekleidete Knaben herabflattern lässt („Ihr Racker seid auch gar zu appetitlich“), um Fausts Seele vertragswidrig in den Himmel zu entführen! („Statt gewohnter Höllenqualen fühlen Liebeslust die Geister“)

  5. Ich bin seit über 30 Jahren Schwulenaktivist und versuche, meinen schwulen Buchladen in die 30er Jahre hinüberzuretten. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich viele „Neuschwule“ mit vielen Heteroproblemen herumschlagen innerhalb ihres Männer-Beziehungsknatsches, nur eines tun sie krampfhaft nicht: Sich mit Heteros herumschlagen…
    Und eine wichtige Erfahrung habe ich auch gemacht: Heteros interessieren Schwule solange nicht, als sie nicht davon „betroffen“ sind. Ich ergänze: getroffen!!
    Es liegt also auch in unser aller Hand, dies zu ändern!
    Gerne würde ich mal etwas von Ralf sehen und lesen, wie sich so viele Heteros und angeblich Bi-Sexuelle durch die homosexuellen Kontaktplattformen und -Chats stehlen! Auch das Geklöhne der Bisexuellen auf ihren Foren wäre ein interessantes Thema! Natürlich geht es da um die Diskriminierung der Bisexuellen durch Schwule, nicht um die eigene Emanzipation unter den Heterosexuellen. In Australien würden sich auch 30 % der befragten Bisexuellen eher umbringen, als ihren Beziehungsfrauen reines Sperma einzuschenken! 😉
    Warum die meisten Frauen immer gleich davonlaufen, wenn ihre Männer ein schwules coming out haben, ist mir auch schleierhaft!
    Es gibt also durchaus auch heisse Themen mit den Heteros! Ich hoffe, dass Ralf sie auch mal damit pieksen wird!
    (Die Erklärungen, warum Jene schwulen Sex suchen, die ich über 3 Jahre gesammelt habe, können bei mir gratis als Worddatei bestellt werden!
    Was die Religion betrifft, so habe ich auch so meine Predigten geschrieben: Weihnachten als Pädophilie-Feier, oder der Judas als eifersüchtige Tunte, oder Ostern als das Sterben der heterosexuellen Unschuld am Kreuz von Karfreitag und der schwulen Auferstehung an Ostern – also eine Coming out-Geschichte!
    Und genauso wie Gandalf von der Autorin als Schwuler „gedacht“ wurde, können in einer homophoben Bibel sicher die Schwulen nicht fehlen! Was soll denn eine „heterosexuelle“ Schlange, die Eva nicht fickt, sondern nur verführt????

    Eines kann ich in all diesen Jahren auch feststellen. Die ganzen schrillen Schwulen sind keine Zeiterscheinung, sondern sie werden in jeder neuen Generation – mitten unter den Heteros – immer wieder neu geboren! Aber die Heteros interessiert eben nicht, was sie da so „nebenher fabrizieren“!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert