Wahrnehmungsblockade bei „Schwulen Nachbarn“??

Wenn man als Herausgeber viele schöne Rezensionen und nur zwei negative zu einem Buch bekommt, soll man sich gemütlich zurücklehnen und zufrieden sein. Ich will mich auch nicht beklagen. Wenn ich hier trotzdem zu den beiden „Verrissen“ – so schlimm waren sie denn auch nicht! – etwas schreiben möchte, dann, weil sie Fragen aufwerfen.

Worum geht es in den „Schwulen Nachbarn“? Heterosexuelle Autorinnen sollen über ihr Verhältnis zu / ihre Begegnungen mit Homosexuellen schreiben. Ausgangspunkt der Anthologie war die Feststellung (nicht Klage!), dass in der „heterosexuellen Literatur“ die sonst ja alltägliche Begegnung/Konfrontation zwischen den Welten „hetero“ und „schwul“ nicht vorkommt. Es gibt in der Literatur eine Form der Nicht-Wahrnehmung, der Ausblendung, der Scheu. Das sollte einmal bewusst gemacht werden und die Frage war: Was passiert, wenn dies plötzlich mal anders ist?

Die Rezensentin im „Deutschlandfunk Büchermarkt“, Wera Reusch, arbeitet in ihrer Rezension

Wera Reusch / Deustchlandfunk Büchermarkt

durchaus heraus, was die Anthologie dazu hergibt: Verunsicherung heterosexueller Männer („Im besten Falle sind die Vorurteile und Berührungsängste heterosexueller Männer in den Texten treffend und selbstkritisch dargestellt.“), das Bemühen der Frauen, nichts Falsches zu sagen, und so weiter. Aber sie schätzt das nicht, sie empfindet das eher als Manko, bestenfalls als positiven Aspekt im allgemeinen Scheitern. Denn sie geht von einer ganz anderen, falschen Prämisse aus.

„Zehn heterosexuelle Autoren beiderlei Geschlechts sollten Kurzgeschichten über homosexuelle Beziehungen schreiben. Mehr als Kratzen an der Oberfläche kam jedoch nicht heraus.“

Schwuler Verlag macht schwule Literatur. Wenn Hetero sich damit beschäftigt, will er etwas über Schwule erfahren, über „die anderen“, und nicht etwas über sich selbst in der Auseinandersetzung mit den anderen! Statt dem nachzugehen, was die Begegnung mit Homosexuellen/Homosexualität bei heterosexuellen Figuren auslöst, die von heterosexuellen Autoren gestaltet sind, klagt die Rezension: „Den schwulen Figuren fehlt es an Widersprüchlichkeit und Tiefe, normaler Alltag oder Liebesbeziehungen sind völlig ausgespart, Sexualität wird nur im Zusammenhang mit Coming-out-Dramen thematisiert.“

Wirkt hier derselbe Mechanismus der Nicht-Wahrnehmung, der Ausblendung, der Scheu, sich selbst mit seiner Heterosexualität mal aufs Glatteis einer Begegnung zu begeben? Über den Zaun zu schauen, wie es die schwulen Nachbarn so treiben – das geht noch. Aber dabei das Augenmerk darauf zu lenken, was dieser Blick beim Hetero auslöst …. Fehlanzeige?

Ich will nicht klagen. Ich frage nur nach der Wirkungsmacht bestimmter Wahrnehmungsmuster und Selbstbeschränkungen.

Die Rezensentin stellt fest, dass der „Brückenschlag zum anderen Ufer fehlgeschlagen“ (so etwa in der gesendeten Version) ist. Das kann ja sein, und wie der Brückenbau der Hereros fehlschlägt, woran er scheitert, wäre doch mal interessant. Darum sollte es unter anderem gehen. Aber ich habe den Eindruck, dass für die Rezensentin mit ihrer Feststellung auch die Anthologie gescheitert ist.

So ähnlich sieht das aus schwuler Perspektive auch Elmar Kraushaar in der „Berliner Zeitung“.

Elmar Kraushaar / Berliner Zeitung

Kraushaar schreibt: „Das Ergebnis ist niederschmetternd. Schwule kommen nicht vor in diesen „Erlebnissen“, stattdessen werden Zeichen abgehandelt und Symbolisches, liberale Grundhaltungen ausgestellt, Toleranz und Offenheit, Mitleid und Verständnis. Gute Voraussetzungen, sollte man meinen, wenn nicht die Autorinnen und Autoren darin stecken blieben und vor lauter guter Absicht die homosexuellen Menschen vergessen.“

Naja, es sollte auch eigentlich um die heterosexuellen Menschen gehen – ausnahmsweise mal. Aber dazu hat Joachim Bartholomae auch schon etwas in einem Kommentar in diesem Blog geschrieben. In der Rubrik „Neue Bücher“ zum Beitrag „Neu bei Männerschwarm“.

Im amerikanischen gibt es das Bild des gläsernen Dachs. Man sieht es nicht, man kommt aber nicht durch, wenn man nach oben will, und sei es zur „richtigen Wahrnehmung“. Haben wir es hier mit einem „gläsernen Dach“ zu tun? Wenn ja – wie stabil ist das? Denn man muss auch bedenken, dass sich überhaupt nur recht wenige Redaktionen und RezensentInnen für das Buch interessiert haben.

Über Detlef Grumbach

Detlef Grumbach gehört zum Team von Männerschwarm und arbeitet obendrein als freier Kulturjournalist. Schwule Bücher machen, sie "verkaufen" und Literatur insgesamt beobachten - das soll sich hier niederschlagen.

5 Gedanken zu „Wahrnehmungsblockade bei „Schwulen Nachbarn“??

  1. Ich denke, dass Du mit Deinen Vermutungen auf der richtigen Spur bist! Nicht mal im Spiegel können sich Heteros in eine Beziehung zu Schwulen stellen!
    Ich denke, dass es am Platz wäre, zu konstatieren, dass die von allen bejubelte Akzetpanz (furchtbares Wort!) eben doch nicht so weit her ist, wie immer geglaubt werden will!
    Das Desintresse vom Heteroufer ist schlagend! Und die Enttäuschung am anderen Ufer ehrlich! Das können wohl auch Frauen nicht so gut auseinanderhalten!

  2. Vor kurzen lief eine britische Krimiserie im ZDF, die nicht in London, sondern auf dem Lande spielt. Fast in jeder Folge um Kommissar Wexford oder so ähnlich kam eine schwule Figur vor, einfach so. Ebenso bei den Neuverfilmungen einiger Agathe-Christie-Krimis. Wenn ich durch Hamburg, Berlin oder eine andere Großstadt gehe, sehe ich regelmäßig schwule Männer auf der Straße, ebenso wie Schwarze, Asiaten, Rentner etc. Dagegen habe ich den Eindruck, dass deutsche Autoren, wenn sie das Personal für ihre Romane auswählen, die Schwulen einfach vergessen. Vielleicht denken sie auch, „Wenn ich einen Schwulen nehme, ist das gleich ein eigenes Thema, das problematisiert werden muss“, oder so etwas. Oder sie sind nicht in der Lage, eine glaubwürdige schwule Figur zu zeichnen – das wäre dann allerdings bedauerlich und überaus aussagekräftig.

  3. Detlef: Das Buch, das sich Frau Reusch und Herr Kraushaar zu wünschen scheinen („Vignetten homosexuellen Alltagsglücks aus heterosexueller Feder“?) möchte ich nicht unbedingt lesen.

    Joachim: Bücher, wo die Autoren vorher „das Personal auswählen“, möchte ich auch nicht lesen. (ich weiß allerdings genau, was du meinst, und das du es nicht „so“ meinst, aber trotzdem … ) Ich glaube auch nicht, dass es ein guter Autor jede Sorte von Figuren glaubwürdig zeichnen können muss. Der Himmel schütze uns vor „demokratischen“ Romanen! (aber ich weiß *trotzdem*, was du meinst!)

    liebe Grüße! *…ist schon wieder weg …*

  4. Welche Personen einem Autor in den Sinn kommen, so habe ich das gemeint (und Du vielleicht ja auch verstanden, Christine), das ist immer Indiz dafür, welche Teile seiner Umwelt er wahrzunehmen bereit und in der Lage ist, und welchen Teilen seiner Wahrnehmung er bereit ist Bedeutung beizumessen. Eine begnadete Autorin hat vor ein paar Jahren einen skandinavischen Naturforscher geschaffen, der sich weigert, einen sexuell und auch sonst so gar nicht festgelegten Menschen zu „bestimmen“, obwohl der ihn dazu auffordert. „Ich bestimme nur Dinge und Menschen von Bedeutung, nichts derart Wertloses wie Dich“ (sinngemäß) – eigentlich hat diese Autorin mit diesem Streit schon wichtige Teile dieser Debatte vorweggenommen. Meinst Du nicht auch?

  5. Lieber Detlef Grumbach, unter KollegInnen sei der Hinweis gestattet, dass nicht alles, was unter dradio als Text steht, von den RezensentInnen stammt, sondern dass es sich dabei auch um redaktionelle Vorspänne handeln kann. Dies trifft zum Beispiel auf die beiden inkriminierten Zitate „Zehn heterosexuelle Autoren beiderlei Geschlechts sollten Kurzgeschichten über homosexuelle Beziehungen schreiben. Mehr als Kratzen an der Oberfläche kam jedoch nicht heraus“ sowie „Brückenschlag zum anderen Ufer fehlgeschlagen“ zu. Es wäre zumindest fair, den Tenor meiner Rezension korrekt wiederzugeben, nämlich, dass ich die selbstreflexiven Ansätze der heterosexuellen AutorInnen als ersten Schritt durchaus begrüße, jedoch finde, dass man im Jahr 2007 auch glaubwürdige schwule Figurenzeichnungen verlangen kann. Dass dies für mein Empfinden in dieser Anthologie nicht gelungen ist, spricht in keinster Weise gegen das Projekt an sich – es macht nur den Stand der Dinge deutlich. Um es mal polemisch zu formulieren: Wenn ein Sehender einen Text über Blinde schreibt, erwarte ich mehr, als dass ihm plötzlich klar wird, dass er selbst nicht blind ist. Nichts für ungut.

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