Ob Schwule die spannenderen Dinge erleben? Oder haben sie einfach nur den Mut, all ihre Peinlichkeiten öffentlich auszusprechen? David Sedaris etwa hat es vorgemacht und Buch um Buch bestsellertauglich seine komplette Biografie wohldosiert in Kurzgeschichten zum Besten gegeben.
Augusten Burroughs hat für den Anfang erst einmal seine reichlich verkorkste Kindheit hingeklotzt. „Krass!“ wurde mittlerweile sogar in China und Japan veröffentlicht und inzwischen verfilmt. Diesen Monat kommt „Running with Scissors“, produziert von Brad Pitt und u. a. mit Annette Bening, Alec Baldwin, Joseph Fiennes und Gwyneth Paltrow in den Hauptrollen, in unsere Kinos.
Wirklich gelungen ist die Leinwandadaption von Ryan Murphy (Erfinder der TV-Serie „Nip/Tuc“) allerdings nicht.
Zu sehr zerfällt sie in bizarre Episoden, ohne einen durchgängigen Ton oder ein wirkliches Zentrum zu entwickeln. Vor allem aber geht der spezielle, über das eigentlich Schreckliche triumphierende Humor verloren und weicht einer eher lähmenden Melancholie.
Eine etwas andere Färbung hat Burroughs jetzt auf Deutsch erschienenes Buch „Werbepause“, ein Band mit zwei Dutzend weiteren Episoden aus seinem Leben. Anders als seine Kindheitsbewältigung und „Trocken!“, seine Erfahrungen bei den Anonymen Alkoholiker, fehlt dem neuen Band das Ausrufungszeichen im (deutschen) Titel. In „Krass!“ und „Trocken!“ versuchte Burroughs tatsächlich fürchterliche und schmerzhafte Erfahrungen durch Sarkasmus und (Selbst-)Ironie erträglich zu machen und zu überwinden. In „Werbepause“ geht es hingegen um weniger existenzielle Peinlichkeiten des Lebens. Das verleiht diesen Anekdoten einen leichteren, aber nicht weniger erfrischend-komischen Ton. Vielleicht liegt’s auch daran, dass in der Mehrzahl dieser Texte Burroughs bereits glücklich liiert ist und sein Leben dadurch einfach geerdeter erscheint und in weniger chaotischen Bahnen verläuft.
Gleichwohl durchzieht er mit seinen Geschichten noch einmal sein gesamtes Leben: Wie er als elfjährige einen Auftritt in einer Limonadenwerbung vermasselt und er sich angesichts von Schuhgröße 47 dann doch nicht für eine Karriere als Transsexuelle entschied. Und vor allem aber geht es immer wieder um Männergeschichten: Dates mit ungeahntem Ausgang, Affären und Sexerlebnissen mit nicht alltäglichen Männern – Blowjobs in den Diensträumen eines Leichenbestatters, mit Psychotherapeuten und katholischen Priestern.
Burroughs schlachtet seine kleinen und großen Abenteuer schonungslos aus. Rücksichtslos gegenüber sich selbst schildert er mit beißender Selbstironie seine Eskapaden und merkwürdigen Begegnungen, offenbart seinen Narzissmuss, seine Neurosen und sein Faible für gutaussehende Männer. Wo die Wahrheit endet und wo die schriftstellerische Freiheit die eine oder andere Pointe hinzufügte, ist nebensächlich – solange diese Geschichten mit ihren bisweilen überraschenden Wendungen so gut unterhalten. Dass er nicht allzu viel erfunden habe kann, legen die Klagen nahe, welche seine einstige Pflegefamilie gegen ihn, seinen Verleger und die Produzenten von „Running with Scissors“ kürzlich angestrengt haben.
Und Burroughs, der seinen Karriere als Werbetexter zugunsten der Literatur aufgegeben hat und mit seinem Lebensgefährten inzwischen von New York aufs Land nach Neuengland gezogen ist, will weiter sein Leben literarisch ausschlachten. Angekündigt sind Bücher über seine diversen Urlaubserlebnisse und über seinen autistischen Bruder, der in jungen Jahren die exzentrischen Gitarren der Rockband Kiss entworfen hat.
Augusten Burroughs: „Werbepause“, Rowohlt Taschenbuch Verlag. Aus dem Englischen von Karolina Fell. 318 Seiten, 8,90 Euro
Originalausgabe: „Magical Thinking. The Secret Notebook of Augusten Burroughs“. Picador, 281 Seiten.
www.augusten.com
„Krass“ (Running With Scissors), USA 2006, Regie Ryan Murphy. Darsteller: Annette Bening (Deirdre Burroughs), Gwyneth Paltrow (Hope), Jill Clayburgh (Agnes Finch), Brian Cox (Dr. Finch), Joseph Fiennes (Neil Bookman), Evan Rachel Wood (Natalie), Alec Baldwin (Norman Burroughs), Joseph Cross (Augusten Burroughs), Kristin Chenoweth (Fern), Heather Clark (Michelle), Beth Grant (Winnie), Colleen Camp (Joan).
Deutscher Kinostart: 18.01.2007
Es ist bei der „Veröffentlichung“ von schwulen Biografien oder von kleinen Stücken davon immer auch zu hinterfragen: „Was wollen die Heteros lesen!“ 😉
Beim Buch „Die Schönheitslinie“ hat ein schweizerischer Kritiker in der NZZ geschrieben, dass er selten einen Roman gelesen hat, bei dem die Homosexualität so schön beschrieben wurde! Schöner als manche „heterosexuelle“ Story..
Er hat auch angemerkt, dass genau dies wahrscheinlich ein Problem von anderen heterosexuellen Kritikern und Lesern sei! 😉
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