Katharina Hacker bekam für ihren Roman „Die Habenichtse“ den diesjährigen Deutschen Buchpreis. Man ist ja schon froh, wenn es in der deutschen Gegenwartsliteratur um anderes geht als um die ewigen Themen Kindheit/ Familie oder Selbstfindung von Müttern in einem gewissen Alter. Welche besonderen Merkmale diesen Roman jedoch an die Spitze der Neuerscheinungen im Zeitraum Oktober 2005 bis September 2006 stellen, erschließt sich sicher nicht jedem.
Die Preisverleihung bietet Anlass, ein wenig aus dem Nähkästchen zu plaudern: Frau Hacker bekam vor einigen Jahren von Suhrkamp den Auftrag, einen recht offen schwulen Roman eines jungen Israeli ins Deutsche zu übersetzen. Als der Suhrkamp Verlag das Buch dann lieber doch nicht veröffentlichen wollte, nahm der Männerschwarm-Verlag ihre Arbeit als Grundlage für eine eigene Buchausgabe – und stellte fest, dass zwei Episoden fehlten. Auf Nachfrage erklärte Frau Hacker, dass sie sich weigere, diese Texte ins Deutsche zu übertragen, sie ging sogar soweit, ihre Arbeit komplett zurückzuziehen, falls diese Texte in der deutschen Ausgabe enthalten sein würden. Diese Haltung war immerhin nur vorübergehend. Wer also wissen will, was Frau Hacker so furchtbar gefunden hat, sollte die zwei von Markus Lemke übertragenen Episoden des Romans „Der Garten der toten Bäume“ lesen. Was Frau Hacker wohl sagen würde, wenn ein amerikanischer Übersetzer sich weigert, die Seiten 51 bis 80 der „Habenichtse“ zu übersetzen?
Mit dem „Aspekte Literaturpreis“ 2006 wird der Roman „Warum du mich verlassen hast“ von Paul Ingendaay ausgezeichnet. Immerhin, ein heterosexueller Internatsroman ist so selten wie ein heterosexueller Ballettänzer, das verdient Anerkennung, wie auch die Tatsache, dass Ingendaay der political correctness Genüge tut, indem er auf zwei Seiten die Entlassung eines pädophilen Lehrers schildert. Ansonsten ist jedoch alles, was wir aus dieser Preisverleihung lernen können, die traurige Tatsache, dass die Qualität eines Buches keine große Rolle spielt, wenn nur der Autor (in diesem Fall FAZ-Kulturreporter) ausreichend berühmt ist. Ich kann nicht verstehen, warum ein erwachsener Mann die Mühe auf sich nimmt, eigene Kindheitserinnerungen aufzuarbeiten, wenn er derart von Eitelkeit und Pointen besessen ist, dass aber wirklich jede der z.T. erschütternden Ereignisse in diesem sadistisch angehauchten Internat veralbert und verblödelt wird. Es ist erstaunlich, dass sogar wirklich komische Situationen durch unreflektierte Albernheiten zerstört werden können, das war mir bisher nicht bewusst. Wenn der Verlag SchirmerGraf dann auch noch mit einer Leserstimme wirbt, die der Meinung ist, „Einen Roman, der das Lesen und die Literatur so feiert wie dieser, kann man gar nicht wärmstens genug empfehlen“, dann kann ich meinen Kopf gar nicht schnellstens genug in den Sand stecken, damit es mir nicht allzu sehr graust!
Das Problem mit den Literaturpreisträgern gibt es doch überall, oder? Es gibt immer irgendwen, der es nicht versteht, warum jener Autor oder diese Autorin einen Preis gewann. Man braucht dann nur auf der entsprechenden Klaviatur hämmern, polemisch sein, um das alles in Frage zu stellen.
Ich gebe zu, weder noch gelesen zu haben, ich gestehe aber auch ein, dass es oft Preisträger gab, die sich mir literarisch einfach nicht erschließen wollen.
An und für sich traue ich Deinem Urteil, doch scheint mir dieser Artikel doch etwas polemisch, oder täusche ich mich?
lg/Peter
Preisverleihungen sind ein heikles Thema, denn nicht alle, die schon mal ein Haus betreten haben, verstehen deshalb was von Architektur. Derartige Verallgemeinerungen bringen uns hier aber nicht weiter, denn von da aus ist es nicht mehr weit bis zur Unterstellung von Inkompetenz.
Stiftung Warentest würde bestimmt auch Bücher testen, nur berührte das Urteil vermutlich nicht die literarische Qualität. Das Literarische Quartett hingegen hat es zeitlebens versäumt, einen Sticker zu erfinden, der sich vorne auf den Umschlag kleben lässt (Liebesromane: drei gut, fünf mangelhaft, zwei ungenügend. Und einer zu dick!).
Es ging bei Joachims Beitrag nicht um generelle Betrachtungen zu Preisverleihungen an sich als solchen. Es ging vielmehr um zwei ganz spezifische: die an Frau Hacker und die an Herrn Ingendaay.
Die erste Anekdote wirft im Stil einer „Plauderei aus dem Nähkästchen“ einen amüsanten, dabei ausdrucksstarken Schlagschatten auf Frau Hacker. Aber: Ausgezeichnet wurden ihre literarischen, nicht ihre menschlichen Qualitäten. Sie war schließlich bei keiner Miss-Wahl angetreten.
(Wenn es zu Miss-Wahlen kommt, scheint es mir übrigens der weiblichen Schönheit ähnlich zu ergehen, wie der Architektur: Nicht alle, die schon mal in einer Frau waren…)
Auch die Anmerkungen zu Herrn Ingendaay lassen sich nicht einfach wegverallgemeinern. Denn: Wenn eine/r die Idee an den Effekt verrät, mag das unterhaltsam sein. Es wirft aber auch Fragen auf – womöglich die, um welche Art von Literatur es sich dabei handelt.
Schließlich: Dass ein Verlag, um seine Produkte anzupreisen, lieber echte oder erfundene Leser sprechen lässt, als echte oder erfundene KritikerInnen, scheint mir angesichts der Ausgangslage nur folgerichtig. Auch der Buchmarkt ist ein Markt und um den Ruf von so genannten Analysten und Experten ist auch in anderen Branchen nicht zum Besten bestellt.